In einem rassistischen Diskriminierungsakt schließt die estnische Regierung mit einem Schlag über 200.000 Menschen von jeder demokratischen Teilhabe aus. Der “Fehler” der Betroffenen ist die russische Muttersprache.
Tallinn. In Estland ist eine Verfassungsänderung in Kraft getreten, die rund 200.000 Angehörigen der russischen Minderheit selbst das minimalste Wahlrecht streicht – nämlich auch jenes auf kommunaler Ebene. Auf gesamtstaatlicher Ebene waren sie ohnedies schon ausgeschlossen.
Formell hatte das estnische Parlament freilich beschlossen, allen Drittstaatsangehörigen (d.h. allen Nicht-EU-Bürgern) das kommunale Wahlrecht zu entziehen – faktisch sowie quantitativ relevant betroffen und politisch gemeint sind aber natürlich nur die Russinnen und Russen. Diese leben seit Jahrzehnten in Estland, ihre Vorfahren waren bereits zu Zeiten der Sowjetunion nach Estland übersiedelt, manche sogar noch früher. Nach der Auflösung der UdSSR verweigerte das neue nationalistische Regime in Tallinn den ethnischen Russen in Estland jedoch die Staatsbürgerschaft und erklärte sie zu Ausländern. Dadurch wurde rund eine halbe Million – ein Drittel der estnischen Wohnbevölkerung -, die zuvor Bürger der Estnischen SSR waren, schlagartig staatenlos.
200.000 Angehörige der Minderheit ließen sich tatsächlich vertreiben und zogen nach Russland. 100.000 erlangten nach langwierigen und schwierigen Prozessen – darunter ein komplizierter estnischer Sprachtest – die estnische Staatsbürgerschaft, 200.000 verblieben in Unsicherheit. Um diese Menschen nicht gänzlich von der Gesellschaft auszuschließen, wurde ihnen zumindest das kommunale Wahlrecht zugestanden. Diese rassistische Diskriminierung wurde von der UNO wiederholt beanstandet, doch nach EU-Kritieren bleibt Estland natürlich ein Hort der Demokratie, Freiheit und Gleichheit.
Im Zuge der nunmehrigen antirussischen Eskalation rund um den Ukrainekrieg war der estnischen Regierung offenbar auch das kommunale Wahlrecht für Russinnen und Russen zu viel, weswegen es nun wieder abgeschafft wurde. Damit verbleiben rund 25 Prozent der estnischen Bevölkerung und 45 Prozent der Einwohner der Hauptstadt Tallinn künftig ohne jede demokratische Teilhabe.
Quelle: ORF