Während der Regierung der Unidad Popular (1970–1973) und zum Zeitpunkt des faschistischen Militärputsches am 11. September 1973 war Luis Corvalán Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chiles und Salvador Allendes wichtigster Partner. Wir veröffentlichen einen biografischen Abriss zu seinem Leben und Wirken.
„Haben Sie ein eigenes Haus?“ – „Nein.“ – „Haben Sie ein Sommerhaus?“ – „Nein.“ – „Haben Sie ein Auto?“ – „Nein.“ – „Aber was haben Sie dann für einen Besitz?“ – „Nun, ich habe einen Hund, eine Katze und drei Hühner.“
So antwortete Luis Corvalán 1969 in einer Umfrage des chilenischen Rundfunks unter den führenden Politikern des Landes. Im Gegensatz zur politischen „Elite“, die sich damals wie heute schamlos bereichert, verzichtete Corvalán zur Gänze auf sein (ansehnliches) Abgeordnetengehalt. Stattdessen erhielt er als Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chiles von der Partei eine monatliche Summe, die dem Durchschnittslohn eines Arbeiters entsprach.
Geboren wurde Luis Corvalán Lepe am 14. September 1916 in Puerto Montt, im Süden Chiles an der Pazifikküste gelegen. Seine Mutter kam aus einer Bauernfamilie, war mittellos und Analphabetin, der Vater, ein Volksschullehrer, verließ die Familie, als Luis gerade einmal fünf Jahre alt war. Ab dieser Zeit musste die Mutter ihre fünf Kinder allein ernähren und erziehen, was sie in der Hafenstadt Tomé tat. Luis Corvalán zeichnete sich als hervorragender Schüler aus, was es ihm ermöglichte, einen Platz am staatlichen Lehrerausbildungsseminar zu erhalten. 1934 machte er seinen Abschluss als Volksschullehrer und übte zunächst auch diesen Beruf aus. Seine Berufung sollte jedoch eine andere sein.
Im Jahr 1931, als Chile von der Weltwirtschaftskrise stark gebeutelt wurde, kam es auch politisch zu folgenreichen Ereignissen. Die Militärdiktatur von Carlos Ibáñez wurde gestürzt, es folgten Staatsstreiche und Gegenstreiche, militärische und zivile Regierung, die schnell einander ablösten. In dieser Zeit politischer Wirren entwickelte der sechzehnjährige Corvalán seinen Standpunkt. Er trat 1932 der nun wieder legalen, 1922 gegründeten Kommunistischen Partei Chiles bei – einer Partei, die stark mit der Arbeiterklasse verbunden und in der Gewerkschaftsbewegung einflussreich war sowie über ein zwar noch nicht umfassend gefestigtes, aber doch marxistisch-leninistisches theoretisches Fundament verfügte.
Gemeinsam mit der erst 1933 gegründeten Sozialistischen Partei sowie mit der „linksliberal“-reformistischen Radikalen Partei bildete die KP Chiles 1936 die „Frente Popular“ als antifaschistisches Bündnis. Corvalán war – vor allem im Zuge der großen Streiks der Salpeterarbeiter – für die Partei und das Bündnis propagandistisch aktiv, als Vortragender und als Journalist. Die Staatsmacht entzog ihm daraufhin die Lehrbefugnis und entließ ihn aus dem Schuldienst. Von dieser Zeit an widmete sich Corvalán hauptsächlich der revolutionären Arbeit, zunächst vorrangig auf journalistische Weise. Nun setzte sich Corvalán auch intensiver mit dem Studium verschiedener Schriften von Marx, Engels und Lenin auseinander, was jedoch – nach seiner eigenen Ansicht – nicht im quantitativ von ihm gewünschten Ausmaß möglich war – zu sehr nahm ihn die praktische Tätigkeit in Anspruch. Nichtsdestotrotz entwickelte sich Corvalán zu einem fundierten Kenner des Marxismus-Leninismus, der in den folgenden Jahrzehnten auch einige wichtige Schriften zur antiimperialistischen und revolutionären Strategie verfassen sollte.
Ab 1940 war Corvalán Chefredakteur der Zeitung „El Siglo“ („Das Jahrhundert“), des wichtigsten Printmediums der chilenischen KP. Im Jahr davor hatte die „Frente Popular“ die Wahlen gewonnen und stellte die Regierung. Während des Zweiten Weltkrieges schieden die Sozialisten und Kommunisten (aus Protest gegen die ausbleibende Landreform) jedoch aus, es verblieb eine radikale Alleinregierung, die sich der Unterstützung durch die Sozialisten aber bis 1952 weiter gewiss sein konnte. In den Jahren 1947 und 1948 startete die Regierung eine antikommunistische Unterdrückungswelle, die KP wurde verboten, was im Kongress auch mit der Hälfte der Abgeordnetenstimmen der Sozialisten beschlossen wurde. Viele Kommunisten wurden verhaftet, in Konzentrationslager gesperrt oder verbannt. In dieser Zeit der abermaligen Illegalität leitete Corvalán die Herausgabe mehrerer kommunistischer Zeitungen, die Produktion von Flugblättern und die Durchführung verschiedener Widerstandsaktivitäten.
Im Zuge dieser Tätigkeiten fiel Corvalán im Jahre 1950 – das Jahr, in dem Corvalán auch ins Zentralkomitee der KP gewählt wurde – der Polizei in die Hände: Eine ganze Nacht lang wurde er gefoltert, doch er gab keinerlei Informationen über die Aktivitäten der KP und über seine Genossen Preis. Später sagte Corvalán darüber: „Mir tat alles weh, aber ich hatte einen gewaltigen Sieg errungen. Für einen Kommunisten kann die Folter zur Bestätigung seiner Kräfte und seiner Ideen werden.“ Er wurde für ein Jahr in ein abgelegenes kleines Dorf verbannt, jedoch wurde erfolgreich seine Freilassung erkämpft, wodurch er 1952 wieder die Leitung des „El Siglo“ übernehmen konnte.
1956 wurde in Cartagena illegal der 10. Parteitag der KP Chiles abgehalten. Corvalán, der sich nun bereits 20 Jahre bewährt hatte, wurde dabei als Mitglied des Parteisekretariats gewählt. Zwei Jahre später, als der bisherige KP-Generalsekretär Galo González verstarb, wurde Corvalán einstimmig zu dessen Nachfolger gewählt. Damit stand er nun an der Spitze der Partei, an der er mehr als drei Jahrzehnte bleiben sollte.
1958 und 1964 – die KP war wieder legalisiert worden – unterstützte die Partei jeweils die Präsidentschaftskandidatur des Sozialisten Salvador Allende für das Linksbündnis „Frente de Acción Popular“ – beide Male unterlag Allende einem bürgerlichen Kandidaten. 1970 jedoch, nachdem 1969 das Volksfrontbündnis „Unidad Popular“ (UP) gegründet worden war, gewann Allende tatsächlich die Präsidentschaftswahl. Neben seiner eigenen Sozialistischen Partei stützte sich die folgende Regierung Allendes vor allem auf die KP, die bei den vorherigen Kongresswahlen 17 Prozent der Stimmen erreichen konnte, aber auch auf einige kleinere Parteien sowie auf die Gewerkschaftszentrale CUT, in der die Kommunisten die Mehrheit hatten.
Die darauffolgenden Ereignisse sind hinlänglich bekannt: Die Regierung der UP schlug einen antimonopolistischen und antiimperialistischen Weg zum Sozialismus ein, der am 11. September 1973 durch den von den USA unterstützten faschistischen Pinochet-Putsch blutig beendet wurde. Präsident Allende wurde in seinem Amtssitz getötet, tausende Menschen wurden ermordet, zigtausende verschleppt, misshandelt oder in Konzentrationslagern interniert – so auch Corvalán: Das faschistische Diktaturregime steckte ihn in das Konzentrationslager Pitroque auf der Insel Dawson in der Magellanstraße.
Was folgte, war eine einzigartige weltweite Solidaritätskampagne für die Freilassung Corvaláns. Auch im deutschsprachigen Europa traten Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, Friedensaktivisten und Antifaschisten mit aller Kraft für Corvalán ein. Tatsächlich wurde Corvalán am 18. Dezember 1976 freigelassen, Asyl fand er in der UdSSR. Dieser große Erfolg der Chile-Solidaritätsbewegung wurde auch künstlerisch verarbeitet – in einer „Oktoberklub“-Version des bekannten Liedes „Was wollen wir trinken?“ heißt es 1977 zum Beispiel: „Am Roten Platz steht Corvalán. / Auf unsere Sache stößt er mit uns an. / Wir trinken auf Luis Corvalán!“
1988 kehrte Corvalán nach Chile zurück, um den Demokratisierungsprozess, der 1990 zum Ende der Pinochet-Diktatur führte, zu unterstützen. Nun, da der antifaschistische Kampf vorerst gewonnen war, trat Corvalán als Generalsekretär zurück, er blieb jedoch bis zu seinem Tod Mitglied des Zentralkomitees der KP Chiles. Im Dezember 2009 gab es noch einmal Grund zur Freude: Trotz des undemokratischen Wahlsystems gelang es der KP Chiles, erstmals seit 1973 wieder Abgeordnetenmandate im nationalen Parlament zu erreichen.
Persönlich lebte Corvalán in den letzten Jahren wieder in aller Bescheidenheit in Santiago. Er wandte sich lediglich mit Büchern an die Öffentlichkeit, so u.a. mit „Die Regierung Salvador Allendes“ (2003) oder „Die Kommunisten und die Demokratie“ (2008). 2000/2001 veröffentlichte Corvalán ein Buch über seine „Gespräche mit Margot Honecker über das andere Deutschland“, über die DDR.
Am 21. Juli 2010 verstarb Luis Corvalán im Alter von 93 Jahren in Santiago de Chile.
Quelle: Redigierter Auszug aus „Wir trinken auf Luis Corvalán!“, in: Tibor Zenker, „Faschismus/Antifaschismus“, Wien 2011