HomeInternationalesBRD vor Streikwelle: Unternehmen und Gewerkschaften im Konflikt um Arbeitsplätze

BRD vor Streikwelle: Unternehmen und Gewerkschaften im Konflikt um Arbeitsplätze

Deutschland steht 2025 vor massiven Arbeitskonflikten, da Unternehmen aufgrund wirtschaftlicher Schwäche, hoher Arbeitskosten und globalem Wettbewerb verstärkt Stellen abbauen, Werke schließen und Personal ins Ausland verlagern. Dabei wird an der Basis eingespart und nicht bei teuren Arbeitsplätzen, die nicht gebraucht werden: Etwa Manager- und CEO-Posten. 

Berlin. Die BRD steht im Jahr 2025 vor großen Arbeitskonflikten. Die Arbeitnehmervertreter der Industriegiganten Bosch, Thyssenkrupp, ZF Friedrichshafen und Volkswagen – die zusammen mehr als eine halbe Million deutsche Arbeiterinnen und Arbeiter vertreten – sagen, dass die Unternehmen dreist eine neue Entschlossenheit an den Tag legen, Arbeitsplätze abzubauen, Fabriken zu schließen und Personal ins Ausland zu verlagern.

Im Gegensatz zu früheren Krisen sind die Vorstände weniger kompromissbereit und haben in einigen Fällen einseitig Tarifverträge gekündigt oder Gespräche mit den Beschäftigten abgebrochen, so die Ergebnisse von mehr als einem Dutzend Interviews mit Gewerkschaften, Politikern, Führungskräften und Wirtschaftswissenschaftlerinnen und ‑wissenschaftlern in Deutschland.

„Jahr der Auseinandersetzungen“ steht bevor

„Wir müssen uns auf ein Jahr der Auseinandersetzungen einstellen“, sagte diesbezüglich Knut Giesler, stellvertretender Vorsitzender der Stahlsparte von Thyssenkrupp und Chef der IG Metall in Nordrhein-Westfalen, wo der Konzern seinen Sitz hat. Er sagte, Deutschland erlebe derzeit einen Kampf um die Mitbestimmung, auch bei Thyssenkrupp, wo Management und Beschäftigte über Pläne zum Abbau oder zur Auslagerung von 11.000 Arbeitsplätzen – etwa elf Prozent der Belegschaft – streiten.

Giesler sagte, dass die Stahlarbeiterinnen und Stahlarbeiter schnell in den Konfliktmodus übergehen könnten, wenn sie sich von den im Rahmen der derzeitigen Tarifverträge festgelegten Streikverboten befreien.

„Die Suche nach mitbestimmungsfreien Zonen und niedrigsten Arbeitskosten hat Hochkonjunktur“, sagte Achim Dietrich, Betriebsratschef des Automobilzulieferers ZF Friedrichshafen, der rund ein Drittel seiner deutschen Werke schließen und mehr als ein Viertel der deutschen Arbeitsplätze abbauen könnte.

„Einige (Führungskräfte) glauben, dass man einen Arm abschneiden muss, um den Rest des Körpers zu retten“, sagte er und fügte hinzu, dass die derzeitige Situation viel schlimmer sei als die Finanzkrise 2008, als die Unternehmensführer offener für Kompromisse gewesen seien.

Rückgang der Gewerkschaftsmitglieder

Der wirtschaftliche Wandel wirkt sich bereits auf die deutschen Gewerkschaften aus. Daten der Hans-Böckler-Stiftung zeigen, dass die Zahl der nicht vertretenen Arbeiterinnen und Arbeiter in den größten Unternehmen der BRD seit 2019 um rund 14 Prozent gestiegen ist. Die Gewerkschaften IG Metall und Verdi haben seit 2016 einen Mitgliederrückgang von acht bzw. sechs Prozent zu verzeichnen.

Die Gewerkschaften leugnen zwar nicht den Zustand der Wirtschaft – die Insolvenzzahlen haben den höchsten Stand seit fast zehn Jahren erreicht -, werfen aber den Vorständen vor, die aktuelle Situation auszunutzen, um einen radikalen Wandel durchzusetzen. Dazu gehört auch der weltgrößte Autozulieferer Bosch, der in der BRD rund 3.800 Stellen abbauen will.

„Die Gespräche sind seit dem Sommer völlig gescheitert“, sagte Axel Petruzzelli, Betriebsratschef im Stuttgarter Bosch-Werk, dem weltweit größten, und fügte hinzu, die Gewerkschaften hätten Vorschläge unterbreitet, um den Stellenabbau zu vermeiden.

„Es gibt kein Feedback, es gibt keine Gespräche. [Die Geschäftsführung] will nicht reden“, fügte er hinzu und sagte, dass die Beschäftigten in naher Zukunft weitere Aktionen durchführen würden.

Bosch sagte, man werde sich an bestehende Vereinbarungen mit den Arbeitnehmervertretern halten und unter anderem auf betriebsbedingte Kündigungen verzichten. ZF Friedrichshafen erklärte, dass man sich weiterhin der Mitbestimmung verpflichtet fühle, während Thyssenkrupp auf die Äußerungen des Vorstandsvorsitzenden Miguel Lopez vom vergangenen Monat verwies, wonach eine Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmern weiterhin von entscheidender Bedeutung sei.

Tiefgreifende Strukturreformen notwendig (auf Kosten der Arbeiter)

Alle Unternehmen haben darauf hingewiesen, dass angesichts der Überkapazitäten und des zunehmenden Wettbewerbs aus dem Ausland tiefgreifende Strukturreformen erforderlich seien. Die Autoproduktion in der BRD ist seit 2016 um 28 Prozent auf 4,1 Millionen Fahrzeuge im vergangenen Jahr gesunken, während die Zahl der Arbeitsplätze in der Automobilbranche nur um vier Prozent zurückging, so die Daten des Branchenverbands VDA und des Statistischen Landesamtes.

Mona Neubaur, Wirtschaftsministerin von Nordrhein-Westfalen, dem bevölkerungsreichsten Bundesland, bezeichnete den sich verschärfenden Konflikt zwischen Arbeitnehmern und Unternehmen als „extreme Belastung“ und forderte die Firmen auf, die Zusammenarbeit mit ihren Mitarbeitern zu suchen.

Periode größerer Streiks

Statistiken der Bundesagentur für Arbeit zeigen, dass deutsche Unternehmen im Jahr 2023 von fast 600.000 Streiktagen betroffen waren, mehr als doppelt so viele wie im Jahr zuvor und der höchste Stand seit 2015. Und obwohl die Zahlen für 2024 noch nicht vorliegen, haben allein die weitreichenden Arbeitsniederlegungen bei Lufthansa, Deutsche Bahn und Volkswagen die Unternehmen im letzten Jahr fast 800 Millionen Euro (829 Millionen Dollar) gekostet.

Da die deutsche Wirtschaft voraussichtlich schwach bleiben wird – Ökonomen prognostizieren ein BIP-Wachstum von bestenfalls 0,2 Prozent im Jahr 2025 – seien Unternehmen und Gewerkschaften nach dieser Lesart gezwungen, die Umstrukturierung mithilfe von Stellenstreichungen neu zu lernen, sagte Hagen Lesch vom IW-Wirtschaftsinstitut in Köln. „Es wird immer teurer, Arbeitsplätze zu erhalten, die nicht mehr gebraucht werden,“ so die Meinung der bürgerlichen Wirtschaftsexperten und der Herrschenden. Gemeint sind damit aber leider nicht die CEO-Posten.

Quelle: Reuters

- Advertisment -spot_img
- Advertisment -spot_img

MEIST GELESEN