Brüssel/Belgrad/Sarajevo/Bukarest. Die jüngsten Entwicklungen in Südosteuropa zeigen in aller Deutlichkeit: Der Balkan ist erneut in das Zentrum geopolitischer Spannungen gerückt – und mit ihm ein komplexes Geflecht aus imperialistischen Interessen, Stellvertreterpolitik und wachsender Kriegsgefahr. Was sich derzeit zwischen Belgrad, Banja Luka, Sarajevo, Brüssel, Washington und Moskau abspielt, ist Ausdruck eines immer gefährlicheren Wettstreits zwischen den westlichen Machtblöcken und konkurrierenden geopolitischen Akteuren. In dieser Konfrontation sind die Völker der Region, wie so oft in der Geschichte, nicht die Akteure, sondern Spielbälle in der imperialistischen Konfrontation.
Demokratie als Vorwand, NATO als Ordnungsmacht
Ein zentrales Beispiel für die westliche Einmischung lieferte jüngst Rumänien. Dort wurde das Ergebnis der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen vom Verfassungsgericht annulliert – mit der Begründung einer angeblichen „russischen Einflussnahme“. Calin Georgescu, der die Runde klar gewonnen hatte, erklärte daraufhin öffentlich, die Wahl sei von außen beeinflusst worden – nicht etwa von Russland, sondern durch den früheren US-Außenminister Antony Blinken. Die USA hätten laut Georgescu dem rumänischen System „diktiert, was zu tun sei“.
Bei dem Versuch seine Kandidatur für die Wahlwiederholung wurde Georgescu kurzzeitig inhaftiert wegen des Vorwurfs der Anstiftung zu Handlungen gegen die verfassungsmäßige Ordnung, falscher Angaben zu den Finanzierungsquellen seines Wahlkampfs und Förderung faschistischen Gedankenguts. Mittlerweile wurde ihm eine Teilnahme an der Wahlwiederholung gerichtlich untersagt.
Derartige Vorgänge sind keine Ausnahmen, sondern gehören zur westlichen „Demokratieförderung“ à la carte: Wo Wahlergebnisse nicht mit den geostrategischen Interessen der NATO und der EU vereinbar sind, wird das Resultat einfach delegitimiert. Diese Praxis ist nicht neu – doch angesichts des verschärften Konkurrenzkampfs mit Russland und China gewinnt sie an neuer Brisanz.
Militärische Blockbildung und Aufrüstung
Währenddessen schreitet die Militarisierung der Region rasant voran. Die Bildung zweier sich gegenüberstehender Militärbündnisse – einerseits Kroatien, Albanien und das NATO-Protektorat Kosovo, andererseits Serbien und Ungarn, die Anfang des Monats als Reaktion darauf ebenfalls ein Abkommen unterzeichneten – macht deutlich, dass sich der Balkan zunehmend entlang neuer Blockgrenzen organisiert. Die bosnische Teilrepublik Republika Srpska hat ebenfalls bereits angekündigt dem Bündnis von Serbien und Ungarn beitreten zu wollen. Die Rolle der NATO ist dabei zentral: Unter dem Banner der „Strategischen Konzeption“ werden Rüstungsindustrie und Militärstrukturen eng verknüpft, gemeinsame Übungen durchgeführt und hybride Kriegführung – von Cyberabwehr bis zur „Bekämpfung von Desinformation“ – vorbereitet.
Dass die Spannungen keine bloßen Planspiele sind, zeigt die neuerliche Aufrüstung. Kroatien etwa kauft französische Rafale-Kampfjets und verhandelt über Leopard-Panzer, während Serbien sowohl mit Frankreich als auch mit Russland und China Waffendeals abschließt. Die nationalen Armeen werden systematisch in die geopolitischen Rivalitäten eingespannt. Wer nicht auf Linie ist – wie die Republika Srpska – wird durch politische, ökonomische und juristische Mittel unter Druck gesetzt.
Die offene Krise in Bosnien-Herzegowina
Besonders zugespitzt hat sich die Lage in Bosnien und Herzegowina, wo die westliche Ordnung zunehmend bröckelt. Der Hohe Repräsentant Christian Schmidt, de facto Statthalter westlicher Interessen, regiert mit autoritärer Hand und ohne UN-Mandat. Seine Eingriffe in die Gesetzgebung, das Wahlrecht und in Fragen des Eigentums haben massive politische Gegenreaktionen ausgelöst, insbesondere in der serbisch geprägten Republika Srpska.
Deren Präsident Milorad Dodik, der einst mit westlicher Unterstützung ins Amt gekommen ist, hat sich inzwischen offen gegen die Zentralregierung und den Hohen Repräsentanten gestellt. Im Zentrum des Konflikts stehen auch wirtschaftliche Interessen: In den umstrittenen Gebieten werden wertvolle Rohstoffe wie Lithium vermutet – ein begehrter Rohstoff für die grüne Wende des Westens. Wer darüber verfügen darf, ist nicht nur eine rechtliche, sondern eine geopolitische Frage. Im konkreten Fall geht es darum ob Bosnien-Herzegowina oder die Teilrepublik Republika Srpska darüber verfügen.
Dass Dodik sich inzwischen juristisch verfolgt sieht – mit internationalem Haftbefehl und Anklagen wegen angeblicher Amtsmissbräuche – verdeutlicht die Repressionsstrategie des Westens gegenüber unbotmäßigen Kräften. Seine jüngste Reise nach Moskau zeigt nicht nur eine symbolische Abwendung vom Westen, sondern auch die wachsende Bedeutung der russischen Diplomatie in der Region.
Imperialistische Widersprüche spitzen sich zu
Was sich im Moment auf dem Balkan abzeichnet, ist nicht bloß eine regionale Krise – es ist eine scharfe Ausdrucksform der globalen imperialistischen Widersprüche. Der Westen – in Form von NATO, EU und US-Außenpolitik – versucht verzweifelt, seine Einflusssphären zu stabilisieren, während andere Akteure – Russland und China – sich neue Spielräume verschaffen wollen.
In diesem Szenario geht es nie um „Demokratie“, „Rechtsstaatlichkeit“ oder „Sicherheit“, sondern um Kontrolle: Kontrolle über Ressourcen, strategische Korridore, Rüstungsprojekte und politische Bündnisse. Die Bevölkerung – ob in Belgrad, Budapest, Sarajevo, Bukarest oder Banja Luka – spielt in den Berechnungen der Großmächte sowie der lokalen Regierungen keine Rolle. Ihre Interessen stehen im Widerspruch zu denen der imperialistischen Zentren – ganz gleich, ob sie in Washington, Brüssel, Moskau oder Peking sitzen.
Der Balkan ist keine Randnotiz der Weltpolitik – er ist ein Spiegel globaler Klassenverhältnisse und imperialistischer Machtkämpfe. Wenn sich heute wieder militärische Allianzen formieren, Wahlen manipuliert, Richter instrumentalisiert und Panzer bewegt werden, dann stehen nicht nationale „Sicherheitsinteressen“ im Zentrum, sondern die brutale Logik des Kapitals.