Weil die neue Megayacht von Jeff Bezos zu groß für die Durchfahrt ist, muss in Rotterdam eine denkmalgeschützte Brücke demontiert werden – auf Anweisung der sozialdemokratischen Stadtverwaltung.
Rotterdam. Bei den superreichen Multimilliardären der Welt gibt’s ja gewisse Vergleichskämpfe im Bereich der Geltungssucht. Manche kaufen sich große Sportklubs, um in der einen oder anderen Liga zu triumphieren. Andere leisten sich private Weltraumprogramme. Und dann ist da noch der Größenvergleich auf See, nämlich die Frage: Wer besitzt die längste Yacht? Amazon-Eigentümer Jeff Bezos schlägt in dieser Konkurrenz aktuell zurück, um einen dreistelligen Millionenbetrag bestellte er bei der niederländischen Werft Oceano eine 127 Meter messende Egoverlängerung – es handelt sich allerdings nur um die zweitgrößte private Segelyacht, denn Andrei Melnitschenko setzte noch 15 Meter drauf. Vielleicht noch ein anderer aufschlussreicher Vergleich: Die Santa Maria, das Flaggschiff von Christoph Kolumbus, maß keine 24 Meter Länge.
Wie dem auch sei – um die Länge geht’s jetzt gar nicht, sondern um die Höhe. Denn die Megayacht von Herrn Bezos ist ein (zusätzlich freilich auch motorisierter) Dreimaster, wobei diese Segelmasten eben auch rund 80 Meter hoch sind. Und hier beginnt das Problem: Die Oceano-Werft, in der das Schiff mit der vorläufigen Bezeichnung Y721 gebaut wurde, befindet sich im südholländischen Ablasserdam, am Rhein-Maas-Delta, etwa 15 Kilometer südöstlich von Rotterdam. Um zum Meer, also zum Hafen von Rotterdam zu gelangen, muss die Yacht nun durch die Kanäle manövriert werden. Auf diesem Weg befindet sich über dem Koningshaven, zwischen den Rotterdamer Stadtteilen Feijenoord und Noordereiland, die Brücke „de Hef“ – und unter die passt Bezos’ Prachtstück leider nicht durch. Wie der Namen schon andeutet, handelt es sich zwar um eine Hubbrücke, doch ihr mittleres Hebeelement kann lediglich auf eine Höhe von 46,5 Metern emporgezogen werden – und das ist viel zu niedrig für die 80-Meter-Masten von Y721.
Was also tun? Früher nachdenken, wäre auch im anarchischen Kapitalismus eine Möglichkeit gewesen, aber dafür ist es jetzt zu spät – das Schiff ist schon fertig. Die Masten erst auf See zu montieren, erschien der Werft zu aufwendig. Daher bleibt selbstverständlich nur eines: Die Brücke muss weg. Sie steht zwar unter Denkmalschutz, doch wenn Herr Bezos anruft, kann die sozialdemokratische Stadtregierung von Rotterdam freilich nichts abschlagen. Bezos und Oceano tragen die Kosten für die – vorübergehende – Demontage der Koningshavenbrug, die Bevölkerung des Arbeiterbezirks Feijenoord ist trotzdem empört: Sie hat 1993 schon dafür gesorgt, dass die 1927 fertiggestellte, aber nicht mehr in Betrieb befindliche Eisenbahnbrücke nicht abgerissen wurde, sondern als Industriedenkmal erhalten blieb. Seit 22 Jahren gilt sie als „Rijksmonument“, erst vor Kurzem wurde sie generalsaniert. Und nun soll wegen der Luxusyacht eines US-Multimilliardärs wieder Hand angelegt werden an das identitätsstiftende Bauwerk der Rotterdamer Arbeiterklasse?
Nun, wer das Geld hat, macht offenbar die Regeln. Herr Bezos kann sich anscheinend alles kaufen – Superyachten, Raumschiffe und Sonderbehandlungen durch sozialdemokratische Politiker. Dies markiert zwar nicht das zugrundeliegende Problem des Kapitalismus, ist aber ein illustres Beispiel für seine kranken Auswüchse. Man sollte wohl wieder vermehrt die Gegenwehr organisieren, Herrn Bezos und Konsorten enteignen und die Milliardenausgaben für den monströsen privaten Luxus einer Handvoll Schmarotzer und Ausbeuter für Besseres verwenden.
Quelle: Der Standard