Trotz negativem Datenschutzbescheid wollen Arbeitsministerium und ‑amt weiterhin Arbeitslose über ein Computerprogramm taxieren lassen. Dies unterstreicht nicht nur die Menschenunwürdigkeit des Kapitalismus, sondern markiert auch eine bemerkenswerte Geldverschwendung.
Wien. Über eine halbe Million Euro wurden rund um den berüchtigten „AMS-Algorithmus“ von der Regierung bereits in den Sand gesetzt. Dies geht aus einer aktuellen parlamentarischen Anfragebeantwortung der zuständigen Ministerin Christine Aschbacher (ÖVP) hervor – viel Geld für ein System, das aufgrund seiner Gesetzwidrigkeit nicht zur Anwendung kommt und ohnedies fragwürdig wäre. Doch der Reihe nach: Mit dem Arbeitsmarktchancen-Assistenzsystem (AMAS) sollten beim Arbeitsmarktservice (AMS) gemeldete Beschäftigungslose künftig computer- und datenbankgestützt erfasst und auch gleich kategorisiert werden – in Menschen mit hohen, mittleren und niedrigen Jobaussichten. Bei den letzteren, so der Plan, würde man sich etwaige Förderungen und Weiterbildungen gleich sparen können. Für eine solche Entscheidung bräuchte es dann auch keinen menschlichen AMS-Betreuer mehr, womit man auch gleich beim eigenen Personal sparen und einige Betreuer blitzschnell zu „Kunden“ des AMS machen könnte – nein, es braucht lediglich ein Computerprogramm, das auf Basis vorliegender Informationen Wahrscheinlichkeiten und Maßnahmen errechnet. Anders gesagt: Menschen ohne Arbeitsplatz sollen nicht mehr als Individuen persönlich beraten werden, sondern maschinell taxiert und aussortiert werden. Brave new Arbeitswelt!
Hier liegen freilich mehrere Probleme begraben. Die österreichische Datenschutzbehörde (DSB) stellte schwere Mängel fest und untersagte die geplante AMAS-Einführung per 1. Jänner 2021. Bei der amtlichen Prüfung ist das Programm nämlich durchgefallen: Einerseits würden personenbezogene Daten verarbeitet, die unter Profiling fallen, wofür das AMS keine gesetzliche Befugnis hat; zum anderen fehlen Kontroll- und Berufungsmechanismen. Das AMS legte gegen den DBS-Bescheid Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht ein, hier steht eine Entscheidung aber noch aus. Doch natürlich hat die Regierung auch die theoretische Möglichkeit, die DSB durch einen legislativen Akt ihrer Parlamentsfraktionen auszuhebeln. Abgesehen vom Datenschutz gibt es allerdings noch weitere Kritikpunkte am AMAS: Experten rechnen nicht nur mit Fehlentscheidungen aufgrund falscher Grundlagen (nicht zuletzt im Zuge der Corona-Epidemie), sondern auch mit einer begünstigten Reproduktion systematischer Benachteiligung durch den Algorithmus. So würden z.B. Frauen oder auch Menschen mit Migrationshintergrund schlechtere „Arbeitsmarktchancen“ in Rechnung gestellt, was sich nicht nur im errechneten Computerergebnis, sondern genau dadurch erst recht auch in der Realität der Arbeitswelt wiederum fortsetzen würde: Sie wären nicht förderungswürdig und würden weiter diskriminiert – nun eben mit der mathematischen Präzision und Rechtfertigung einer elektronischen Rechenmaschine.
Wir haben also: Ein untaugliches, widersinniges, menschenverachtendes und gesetzwidriges Computersystem, das schon 550.000 Euro verschlungen hat und weitere Kosten verursachen wird. – Vielleicht hätte man mal die Regierungsmitglieder auf ihre Fähigkeiten und Berufsperspektiven abchecken sollen. Der AMS-Algorithmus hätte den meisten von ihnen wohl kaum einen Ministerposten in Aussicht gestellt, aber vielleicht nützliche Schulungsmaßnahmen in passenderen Bereichen angeordnet.
Quelle: Der Standard