Inmitten einer weltweiten Pandemie, die Österreich gerade besonders hart trifft, erblickt eine kontraproduktive, sich gegen die Interessen der Studierenden gerichtete Novelle der Regierung das Licht der Welt.
Österreich. Ab dem Wintersemester 2021 soll eine neue Studienregelung in Kraft treten, die besagt, dass Studierende innerhalb von zwei Jahren eine Mindeststudienleistung von 24 ECTS-Punkten aufweisen müssen, um ihr Studium weiter betreiben zu können. Die ECTS-Pflicht soll im Studienrecht verankert werden, der Vorschlag wird diese oder nächste Woche begutachtet. Wer 24 ECTS-Punkte im Laufe der ersten vier Semester nicht aufweisen kann, wird demnach exmatrikuliert. Die Zulassung zum Studium erlischt dann unwiederbringlich und man verliert alle bisher mehr oder weniger hart verdienten ECTS-Punkte. Die Regelung soll für Bachelor- und Diplomstudien gelten.
Es stellt sich die Frage, welchen Nutzen ein Land, das gerade zunehmend von einem Virus in die Knie gezwungen wird, davon hat, Studierenden noch mehr Rechte zu nehmen und die Studiendauer praktisch durch Exmatrikulationsandrohung zu verkürzen. Das Argument der Herrschenden lautet, „Ernsthaftigkeit und Verbindlichkeit“ zu steigern und das Studium zügiger zu machen. Dass darunter längerfristig aber die Qualität der Bildung leiden wird, sollte ebenso klar sein, wie dass diese Studentinnen und Studenten, die nun dazu genötigt werden, ihr Studium so oberflächlich und schnell als möglich zu beenden, die zukünftigen Fachkräfte des Landes darstellen werden. Expertinnen und Experten von wissenschaftlichen Gebieten, in die sie drei bis fünf Jahre lang reinschnuppern durften.
Weit von der Realität entfernt
Realistische, das Leben von Studierenden tangierende Faktoren werden bei der Neuregelung wie immer nicht berücksichtigt – etwa dass der Großteil der Studentinnen und Studenten nebenher arbeiten muss, um sich das Studium irgendwie finanzieren zu können, oder dass private, unvorhergesehene Umstände eintreten können, oder, besonders aktuell: länger andauernde Krankheiten. Dass die ECTS-Verteilung nicht nur von Studienort zu Studienort, von Universität zu Universität, sondern sogar von Fakultät zu Fakultät unterschiedlich ausfällt, dürfte sich inzwischen ebenfalls herumgesprochen haben.
Wie romantisch angehauchte Belletristik liest sich die Bemerkung der aktuellen ÖH-Vorsitzenden Sabine Hanger (AG), die tatsächlich die gesetzlich verankerte Interessensvertretung von über 370.000 Studierenden darstellt, so wenn sie sich darüber freut, „dass unsere Bedenken vor allem hinsichtlich jener Studierender mit Doppelbelastungen gehört und ernst genommen wurden“. Hier spielt sie wahrscheinlich darauf an, dass es nicht mehr die ursprünglich anvisierten 16 ECTS pro Studienjahr als Studienvoraussetzung sind. Aber nichtsdestotrotz war offensichtlich ja das gerade Gegenteil davon der Fall. Aber dabei blieb es ja nicht: Wissenschaftsminister Heinz Faßmann (ÖVP) wurde außerdem mit einer höflichen Bittschrift der ÖH-Vorsitzenden geradezu in die Enge getrieben, in der darum gebeten wurde, die allzu rigiden Konsequenzen (Exmatrikulation etwa) noch einmal zu überdenken. Der Ausgang dieses Generationenkampfes innerhalb der ÖVP bleibt also noch bis zu einem gewissen Grad offen. Auch weil am Ende des offenen Briefes noch einmal auf die „bisherig gute und konstruktive Gesprächsbasis bei diesem wichtigen Thema“ aufmerksam gemacht wird.
Schwache, systemstabilisierende Kritik
Kritik kommt von den (nach Selbsteinschätzung) linken ÖH-Fraktionen, die sich aber seit Jahren gegen eine wirkliche Mobilisierung der Studierenden stellen und im ÖH-System fest verankert sind. Und warum sollte man daran auch etwas ändern? Immerhin haben die radikalen Aktivistinnen und Aktivisten in der ÖH die Chance, sich Zusatzqualifikationen für ihre späteren Jobs in den etablierten Parteien anzueignen. Die Nöte der Studierenden kann man ja dann und wann für die eigenen propagandistischen Zwecke hernehmen, denn man will ja wiedergewählt werden.
Fakt ist, dass den Studierenden in den letzten Jahren immer mehr Rechte weggenommen, die Lehre einem kapitalistischen Diktat unterworfen und die Bildung regelrecht ökonomisiert worden ist. Da kann man sich noch so sehr mit dem illusorischen Erfolg brüsten, dass statt den vorher geforderten 16 ECTS-Punkten pro Jahr nun mit 12 zu rechnen ist. Immerhin vier Punkte weniger. Gut, dass die ÖH für die Studierenden kämpft.