Mit der Debut-Single Mamma Tirol traut sich Schützenkommandant Jürgen Wirth-Anderlan auf neue, so gar nicht traditionelle musikalische Pfade. Leider geht dabei so manches schief, so gut wie alle Vorurteile, mit denen Schützen zu kämpfen haben, werden im Lied bedient.
Italien/Südtirol. Der Südtiroler Schützenbund hat sich am Ende des Jahres 2020 viele Gedanken darüber gemacht, wie man die in diesem Bund vertretene reaktionäre Ideologie kurz und bündig und mit wenig Budget verbreiten könnte. Musikalisch hätte man dabei gewiss in Form von Volksmusik etwas zu bieten gehabt, aber – kommt das auch bei der heutigen Jugend gut an? Der Südtiroler Schützenbund hat sich diesmal für einen moderneren Zugang entschieden und versucht sich nun im Deutschrap. In der Regel braucht es dazu ja nur eine stimmengewaltige Persönlichkeit, einen gereimten Text – die Musik? Die kann man sich ja von bekannten und etablierten Künstlerinnen und Künstlern leihen (ein Schelm, wer schon bei den ersten Noten von Mamma Tirol an Sido´s Augen auf denkt).
Das Video zum Song besteht aus Einblendungen von Kundgebungen, Märschen, Naturfotos, katholische Rückbesinnungen und aber auch in Abgrenzung dazu aus Feindbildern: So etwa italienische Flaggen, italienische (!) Faschisten, geschminkte Frauen und Menschen mit supponiertem Migrationshintergrund. Abgesehen von den irreführenden Montagen ist die Einstellung des Rappers vordergründig, der sich in einem dunklen, nur von Kerzen beleuchtetem Raum befindet, raucht, an seinem Rotwein schlürft, eine Sammlung vergilbter Fotos durchgeht und dabei seinen Text vorspricht. Das Hauptsetting ist so gesehen eher einer Mischung aus Pagan- und Black Metal zuzuordnen.
Xenophobie, Homophobie, Frauenfeindlichkeit, deutschnationales Gedankengut
Nach der verwirrenden optischen Aufmachung lohnt es auch darauf einzugehen, was die Lyrics so zu bieten haben. Darin werden reimweise die Angelegenheiten angesprochen, die der SSB in Bildern nicht so leicht rüberbringen konnte. Heutzutage, so der Songtext, würden die Südtiroler Schützen in der „falschen Nation“ leben, man sei sogar von „Lügnern“ und „Spionen“ in der unmittelbaren Nachbarschaft umgeben, „diese Heimatverräter“ würden immer mehr werden und hätten keinen Respekt vor den eigenen Vätern, den Andreas Hofer habe man mit Greta Thunberg ausgewechselt und als ob das nicht genug wäre: „Im Park vor meinem Haus liebt der Dieter den Peter“.
Die Schützen hingegen seien die „Unrechtsbeender“, sie würden ihre Heimat lieben, man verstehe sich als „Tiroler, Demokraten und Christen“, alle anderen würden sich nur an das „marode System“ anpassen. Wo sind nur die „Typen, die unsere Werte noch vertreten“ geblieben? Zurückgeblieben seien nämlich nur mehr „Migranten, Studenten und viele Propheten“ die den Planeten retten wollen, anstatt sich auf die alten Werte zu konzentrieren. Im Text distanzieren sich die Schützen zwar von Rassismus, Neofaschismus und von einem sogenannten linken Populismus, gemeint ist aber nur die italienische Form des Faschismus. Auch in den Bildern werden nur Aufmärsche von italienischen Nationalisten und einer Casa-Pound-Demo gezeigt. Da ist es natürlich einfach für den Schützenbund, sich antifaschistisch zu geben, wenn es der antiitalienischen Sache dient. Von der extrem rechten Partei Südtiroler Freiheit distanziert man sich indes nicht, ihre Flaggen werden neben Südtirol-Fahnen kurz vor dem Ende des Videos geschwenkt. Selbst fühlt man sich ja als Tiroler, jedoch begeht der SSB dabei den aus historischer Ignoranz resultierenden Fehler, zwischen Österreich und Deutschland nicht zu differenzieren. Vielmehr beruft man sich auf eine hundertjährige „deutsche Struktur“, wie auch immer diese aussehen mag.
Kritik
Es brauchte nicht lange, bis von mehreren Seiten berechtigte Kritik geübt wurde. Der Landesbeirat für Chancengleichheit fokussiert in seiner Kritik auf die Frauenfeindlichkeit:
„Der Südtiroler Schützenbund hat zum Jahresende einen Deutschrap mit passendem Musikvideo veröffentlicht, in welchem Frauen als „billige Hur“, die „zu Hause nur Rumliegen“ beschimpft und somit mit vorwiegend negativen Aspekten in Verbindung gebracht werden. Im Video, welches einen Männerkult produziert, sind Frauen lediglich schmückendes Beiwerk, in dem Frauen dem Mann untergeordnet sind und somit die traditionellen Geschlechterhierarchien gepflegt werden.“
Er rief die Südtirolerinnen und Südtiroler dazu auf, keine Toleranz mehr für Gewalt gegen Frauen in Musikvideos und ‑texten walten zu lassen, die Lieder nicht zu hören und sie auch nicht weiterzuverbreiten. Aber auch beim Nordtiroler Pendant stieß die musikalische Darbietung auf Kritik. Landeskommandant Thomas Saurer distanzierte sich von dem Song: „Der Bund der Tiroler Schützenkompanien sieht es als seine Pflicht an, darüber proaktiv zu informieren, dass wir uns zu bestimmten Inhalten dieses Videos – ungeachtet ob Zusammenhänge bewusst oder unbewusst passierten – klar distanzieren“. Das Benehmen der Südtiroler Schützen habe ja auch einen Einfluss auf die Außenwirkung der Nordtiroler Schützen. Saurer macht die Vorbildfunktion eines Landeskommandanten geltend und betont, andere Wege der Kommunikation zu gehen:
„Der Landeskommandant des Südtiroler Schützenbundes hat in seiner Eigenständigkeit diesen Weg der Kommunikation gewählt. Als Landeskommandant im Bund der Tiroler Schützenkompanien ist es jedoch nicht meine Art der Verständigung. Ich setze auf Dialog, Einbindung und Bewusstseinsbildung, nicht auf Provokation. Und ich versuche als Landeskommandant eine Vorbildrolle gegenüber unseren Schützenkameraden, Marktenderinnen und Jungschützen einzunehmen. Projekte, die als Ziel zum Nachdenken anregen, sollen für die Stärkung unserer gemeinsamen Landesidentität nützlich sein, verletzen, spalten und ausgrenzen dürfen sie jedoch nicht.“
Jürgen Wirth-Anderlan hingegen fühlt sich und seine Kunst missverstanden. Er betont in einer Aussendung, dass er die volle Verantwortung für den Text übernehme, auch weil das Projekt ohne Absprache mit der Bundesleitung und mit eigenen Mitteln entstanden wäre. Es täte ihm Leid, wenn das Video missverstanden worden sei: „Rassismus, Frauenfeindlichkeit bzw. Homophobie waren nie mein Ansinnen bei der Erstellung dieses Werkes und entsprechen nicht meiner Einstellung. Als Beweis hierfür der Text zum Nachlesen. […] Als Landeskommandant übernehme ich die volle Verantwortung für diesen Text. Jeder, der ihn liest, wird erkennen, dass er nicht von dem abweicht, was ich seit meinem Amtsantritt auch an anderer Stelle gesagt habe.“ Das Video würde in absehbarer Zeit wieder offline-genommen werden, (nicht etwa wegen des provokatorischen Inhalts), weil sich in der Zwischenzeit eine Person gemeldet hätte, die im Video auftaucht und sich in den Persönlichkeitsrechten verletzt sehe.
Unbehagen in der Kultur
Es ist bemerkenswert, dass der Landeskommandant des SSB glaubt, die Missverständnisse ließen sich durch den Abdruck des ohnehin verständlichen Songtextes beheben. Das von ihm und den Schützen gebotene Bild zementiert die Vorurteile, die man volens nolens gegen diese Menschengruppe hegt, ob man nun aus Südtirol stammt oder nicht. Der Homophobie wird ein ganzer Vers gewidmet, sie ist nicht hineininterpretiert oder in kritischem Geist entkontextualisiert dargestellt. Migration wird durch Bild und Text verzerrt als Ursache von Übeln präsentiert und kann gar nicht anders, als ausländerfeindlich interpretiert werden.
Umgekehrt gehört auch eine vermeintliche Heimatverbundenheit hinterfragt, die in Südtirol von einer „deutschen Struktur“ fabuliert und sich in Gänze gegen ökologische Verbesserungen ausspricht, die nicht zuletzt Natur und Landschaft betreffen, die man so sehr zu lieben vorgibt. Während man sich von linkem und rechtem Gedankengut pro forma distanziert, werden im gleiche Zuge Feindbilder konstruiert und dargeboten, die einzig und allein dem rechten Spektrum zuzuordnen sind.
Insgesamt entsteht durch das Video der Eindruck fehlgeschlagener Integration von christlichem Fundamentalismus in der Südtiroler Gesellschaft.
Quelle: Südtirol News/Rain News/Mein Bezirk