Die Zahl der Obdachlosen könnte sich im Zuge der kapitalistischen Krise verdoppeln. Karitative Projekte können in Einzelfällen helfen, aber nicht die Gesamtproblematik lösen.
Salzburg. Stadt und Land Salzburg bereiten sich auf einen deutlichen Anstieg der Zahl der obdach- und wohnungslosen Menschen vor. Aufgrund von krisenbedingten Einkommensverlusten und ‑ausfällen, von Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit wird die Problematik der hohen Miet- und Wohnkosten wohl vermehrt schlagend. Gegenwärtig gibt es in Salzburg über 300 Obdachlose, also Menschen, die tatsächlich auf der Straße leben oder auf Notschlafstellen angewiesen sind. Hinzu kommen jedoch noch etwa 1.100 Wohnungslose – dies sind Menschen, die keine eigene Wohnung haben und vorübergehend bei Freunden oder öffentlichen Einrichtungen eine Unterkunft erhalten. Freilich sind diese Zahlen schon hoch genug, doch tatsächlich ist in den kommenden Wochen und Monaten damit zu rechnen, dass es überdurchschnittliche viele Wohnungsverluste, Delogierungen, Zwangsräumungen und unfreiwillige Auszüge geben wird.
Dass dies für ein angeblich „reiches Land“ eine Schande ist, erschließt sich offenbar auch der Salzburger Stadt- und Landesregierung. In Zusammenarbeit mit der katholischen Laienorganisation der Vinzenzgemeinschaft Salzburg soll das VinziDach-Projekt „Housing first“ ausgebaut werden. Hier werden bislang 46 ehemalige Obdachlose mit Wohnungen versorgt und betreut, nun will die Stadt ihrerseits zusätzliche Wohnungen dafür zur Verfügung stellen. Ob das reichen wird, ist allerdings fraglich, denn schon vor der Krise war der Bedarf offensichtlich deutlich größer als das Angebot. Wenn man nun mit einer tendenziellen Verdoppelung der obdach- und wohnungslosen Menschen rechnet, so wird es eher um einen Tropfen auf dem heißen Stein gehen. Darüber hinaus muss man festhalten, dass es trotz der Beiträge von Stadt und Land eigentlich nicht die Aufgabe privater karitativer Vereine sein sollte, allen Menschen in Salzburg ein Dach über dem Kopf zu gewähren.
Und unterm Strich stellen sich freilich weitere Fragen: Was ist das für ein mieses Wirtschaftssystem, das nicht befähigt ist, allen Menschen sichere Arbeit, ein ausreichendes Einkommen und menschwürdiges Wohnen zu garantieren? Wie kann es sein, dass einerseits wenige Reiche in Luxusunterkünften und Villen leben, mehrere Wohnsitze haben und bewussten Leerstand als profitables Spekulationsobjekt missbrauchen, während tausende Menschen auf der Straße landen? Warum fressen die Miet- und Wohnkosten den Großteil der Löhne und Gehälter auf? Was ist das für eine Schweinerei, dass Unternehmen die Arbeiterschaft nur als Kostenfaktor und nicht als Menschen betrachten – und sie nach Lust und Laune aus Profitinteressen vor die Hunde gehen lassen? Offensichtlich ist der Kapitalismus als asoziales System nicht in der Lage und nicht willens, den Bedürfnissen der Menschen zu entsprechen – nicht einmal im „reichen“ Österreich. Daher die letzte Frage: Wie lange sollen sich die Menschen das noch bieten lassen?
Quelle: ORF