Jerusalem. Die Ära Netanjahu geht nach zwölf Jahren zu Ende, die Vertreibungs- und Besatzungspolitik wird bleiben. So in etwa könnte man die politische Konstellation bezeichnen, die sich seit dem Ausgang der Neuwahlen – die 4. Runde in zwei Jahren – abzeichnet. Naftali Bennett, früher Bildungsminister unter Netanyahu und Vorsitzender der rechten Siedlerpartei Jamina, wird gemeinsam mit dem linksliberalen Star-Journalisten und Ex-Finanzminister Yair Lapid eine Megakoalition bilden. Teil dieser Koalition sollen acht Parteien werden, die unter anderem säkulare und rechtsextreme sowie religiöse Kräfte umfasst. Zum ersten Mal in der israelischen Staatsgeschichte soll auch eine arabische Partei – die islamistische Ra’am, die eine Nähe zur Muslimbruderschaft pflegt – Teil der neuen Koalition werden.
Hauptsache nicht Netanjahu
In gewisser Weise folgen die meisten Parteien dem Wählerwillen vieler, vor allem junger Israelis, die nichts anderes kennen als den korrupten und ausbeuterischen Autoritarismus Netanjahus. Je mehr sich die Korruptionsaffären rund um Netanjahu, seine Familie und seine politische Clique im Allgemeinen verschärften, begannen auch die Antiregierungsproteste im Zuge der Corona-Pandemie immer stärker eine Anti-Netanjahu- und Anti-Likud-Haltung einzunehmen, anstatt klare politische Positionen zu beziehen. Der Ruf nach dem kleineren Übel, um wieder zur „Normalität“ zurückzukehren, wurde besonders von der zionistischen Linken propagiert, diese ist aber praktisch machtlos, da die wichtigsten Ministerposten unter klarer Schirmherrschaft von rechtsextremen bzw. klerikalen Kräften stehen
Der Posten des Premierministers soll zwischen Bennett und Lapid per Rotationsprinzip wechseln. Bennett steht zurzeit in der Kritik von rechtsextremen Gruppierungen und Teilen seiner Partei selbst. Über seine politischen Absichten besteht dennoch kein Zweifel: Naftali Bennett war jahrelang Vorsitzender des sogenannten Yesha-Rates – jenes Gremium, welches die illegal hausenden Siedlerinnen und Siedler im Westjordanland politisch vertritt.
Der neue „gute Araber“ des israelischen Establishments
Wie auch der linkszionistische Mainstream, hat sich Mansour Abbas‘ islamistische Ra’am (Vereinte Arabische Liste) billig an Jamina und Jesh Atid verkauft. Abbas spaltete, wie die Zeitung der Arbeit berichtete, schon im Vorfeld der Parlamentswahlen die Einheitsliste bestehend aus arabischen Parteien sowie dem arabisch-jüdischen Wahlbündnis Chadasch, bei der die Kommunistische Partei Israels führend ist. Unter dem Vorwand, die arabische Bevölkerung Israels an den Verhandlungstisch zu bringen, verkündete Abbas, dass sie jeder israelischen Regierung – egal ob links oder rechts, ob mit den kosmopolitischen Meretz-Leuten oder den rechtsextremen Kahanisten – beitreten würden.
Was kann sich die arabische Bevölkerung Besonderes erwarten? Abbas versprach vor allem höhere Budgets für die arabischen Kleinstädte, in denen die Kriminalität außer Kontrolle gerät, und eine Anerkennung von Beduinen-Dörfern in der Negev-Wüste, welche routinemäßig vom israelischen Militär demoliert werden. Bekommen hat er schwammige Zusagen Bennetts, man werde gewisse Subventionen in der Zukunft für die arabischen Kleinstädte und Nachbarschaften bereitstellen und eine Kommission in der Knesset einrichten, die über mögliche Anerkennungen von einer Handvoll Beduinen-Siedlungen beraten wird. Ansonsten wird die Ra’am als bloßer Lückenfüller sein Dasein fristen – keine der rassistischen und antidemokratischen Gesetzgebungen, wie das Nationalitätengesetz, wird angetastet werden. Zwar hat noch keine arabische Partei in Israel bisher formell einer Regierung angehört, jedoch gab es in der israelischen Geschichte immer wieder Bestrebungen, Teile der palästinensischen Bourgeoisie zu integrieren. Prominente Beispiele wären die Muchtars, die als Dorfvorsteher vom israelischen Staat bestochen und dafür eingesetzt wurden, die israelische Politik effektiv durchzusetzen. Auch gab es in höheren Positionen des israelischen Staates Palästinenserinnen und Palästinenser – am gesellschaftlichen Rassismus, der Vertreibungs- und Siedlungspolitik hat sich dennoch nichts geändert.
Kommunisten schenken Koalition kein Vertrauen
Die arabisch-jüdische Einheitsliste wird einer Koalition, die von Bennett angeführt wird, kein Vertrauen schenken. So spricht sich die Kommunistische Partei Israels, die eine wichtige Rolle in dem Wahlbündnis einnimmt, klar gegen eine Koalition aus, die dort weitermachen wird, wo die Regierungen der letzten Jahrzehnte aufgehört haben. In einer gemeinsamen Presseaussendung der KPI und der Chadasch vom 1. Juni stellen sie klar, dass sie an einem Wechsel des politischen Kurses und nicht des politischen Personals interessiert seien. Ob die Ta’al, eine der drei Parteien der Einheitsliste, gegen die neue Regierung stimmen wird oder sich enthält, ist offen.
Unabhängig von den dutzend Intrigen und Taktierereien im israelischen Parlament hat die letzte Offensive des israelischen Staates gegen das palästinensische Volk gezeigt, dass dieses auch in Israel und der besetzten Westbank immer stärker auf seine eigene Kraft setzt. Die teils militanten, teils friedlichen Demonstrationen gegen die Angriffe auf die Al-Aqsa-Moschee und die Vertreibung der Bewohner im Stadtteil Sheikh-Jarra, aber auch die arabisch-jüdischen Antikriegsdemonstrationen gegen das Massaker in Gaza fanden zum Großteil ohne die Führung der arabischen Parteien statt. Wobei bei letzteren die Chadasch und die KPI eine tragende Rolle spielten. Besonders der Generalstreik, der in praktisch allen arabischen Gebieten der Region die Wirtschaft zum Stillstand brachte und sich gegen die israelische, aber auch palästinensische Bourgeoisie richtete, zeugt von der immensen Widerstandskraft einer von bürgerlichen Parteien unabhängigen, klassenkämpferischen Front.
Quelle: Communist Party of Israel / 972Mag / 972Mag