Vier Jahre nach dem Tod eines Wehrpflichtigen in Niederösterreich leitet der EGMR ein Verfahren gegen die Republik Österreich ein.
Straßburg/Wien. Vor fast genau vier Jahren, am 3. August 2017, verstarb ein 19-jähriger Rekrut des österreichischen Bundesheeres an den Folgen eines Hitzemarsches. Der junge Mann, der im niederösterreichischen Horn stationiert war, wurde bei bis zu 35 Grad Celsius mit seinen Kameraden schwer bepackt auf einen Gewaltmarsch gejagt, dem der Körper des Rekruten nicht gewachsen war: Er wies seinen Vorgesetzten darauf hin, dass er vor dem Kollaps stünde, doch dies wurde zunächst ignoriert. Erst später, als er zusammenbrach, brachte man ihn per LKW zurück in die Kaserne und verständigte die Rettung, doch der Wehrpflichtige war nicht mehr zu retten: Er starb an hitzebedingtem Herzstillstand und Organversagen im Krankenhaus.
Staatsanwaltschaft stellte Verfahren ein
Die Ermittlungen der Kremser Staatsanwaltschaft gegen vier Vorgesetzte wurden jedoch eingestellt und ein Fortführungsantrag der Mutter des Verstorbenen abgelehnt: Es sei gegen keine Vorschriften verstoßen worden, hieß es. Auch disziplinarrechtlich gab es im Bundesheer keine Konsequenzen. Daher wandte sich die Mutter an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) – und dieser gab nun der Beschwerde Recht und leitete am vergangenen Montag ein Verfahren gegen die Republik Österreich ein. Konkret bedeutet dies zunächst, dass die österreichische Regierung sich für den Vorfall und dessen juristische Behandlung wird rechtfertigen müssen, anhand einiger vom EGMR vorgelegten Fragen, die sich um mögliche Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention drehen.
Es ist davon auszugehen, dass Regierung und Verteidigungsministerium schon ein paar Ausreden finden werden (verantwortlicher Verteidigungsminister seinerzeit: Hans Peter Doskozil). Doch allein die Tatsache, dass der EGMR die Sache weiterverfolgt, was nur in zehn Prozent der vorgelegten Fälle geschieht, unterstreicht, dass es hier Versäumnisse und mangelnde Aufklärung gab. Und inwiefern das Bundesheer, bei aller notwendigen innermilitärischen Hierarchie und Befehlsgewalt, im 21. Jahrhundert ein Hort rücksichtsloser Schinderei und menschenrechtsfreier Willkür sein soll, darf auch hinterfragt werden. Aber das ist eine politische Angelegenheit.
Quelle: ORF