Die italienische Regierung steht immer noch im Verdacht, Journalisten und Aktivisten illegal mit der Spionagesoftware Graphite abgehört zu haben, wobei unklar bleibt, wer genau für den Einsatz verantwortlich ist. Statt für Transparenz zu sorgen, hat die Regierung widersprüchliche Aussagen gemacht und versucht, die Affäre zu vertuschen, was ernste Fragen zur Demokratie und Pressefreiheit aufwirft.
Rom. Die Fragerunde von Italia Viva (Renzis Nachfolgepartei) hat nun einige Antworten der Regierung zum Graphite-Abhörskandal hervorgebracht. Justizminister Carlo Nordio (Fratelli d‘Italia) erklärte im Parlament, dass das Justizministerium niemals Verträge mit Unternehmen abgeschlossen habe, die Trojaner besitzen, d.h. weder die Justizpolizei noch die Staatsanwaltschaften Italiens.
An diesem Punkt steht jedoch fest: Da sowohl Journalisten als auch politische Aktivisten abgehört wurden und da Graphite, die Software von Paragon, in Italien im Einsatz ist – und die einzigen, die sie nutzen können, die Geheimdienste und die verschiedenen Ermittlungsbehörden im Auftrag der Staatsanwaltschaften sind – so bleibt die Frage: Wer hat sie genutzt?
NGOs und Journalisten betroffen
Es ist dies ein Fall, der die persönliche Freiheit und die Pressefreiheit in Italien infragestellt. Eine Software, die der Regierung zur Verfügung steht, wurde illegal genutzt, um Journalisten und Aktivisten auszuspionieren. Unter den betroffenen Journalisten befindet sich auch der Direktor von Fanpage, einer Online-Zeitung, die eine unabhängige Recherche über die Partei der Ministerpräsidentin durchgeführt hat.
Luca Casarini, einer der am stärksten in die Arbeit der NGO Mediterranea involviert ist, die im Mittelmeer Leben rettet – von der Regierung behindert und vom Vatikan unterstützt – wurde mehr als ein Jahr lang bespitzelt. In diesem Jahr hat er sich mit Dutzenden von Bischöfen und Kardinälen getroffen und telefonischen Kontakt mit ihnen gehabt. Er hat sich auch mit dem Papst getroffen und an der mehrwöchigen Synode teilgenommen (ohne Handy).
Entweder wusste die Regierung nichts von der Abhöraktion – dann sollte sie aber schleunigst herausfinden, wer dafür verantwortlich war und ihn anprangern – oder sie wusste es und hat geschwiegen, dann kann sie nur den Rücktritt einiger ihrer Vertreterinnen und Vertreter anbieten und sich beim Land entschuldigen. Seitdem dieser beunruhigende Fall ans Licht kam, hat die italienische Regierung, anstatt für Aufklärung zu sorgen und die illegal Abgehörten zu verteidigen, nichts anderes getan, als alle möglichen Mittel zur Vertuschung einzusetzen.
Widersprüchliche Vertuschungsversuche
Zunächst berichtete The Guardian, dass das Unternehmen Paragon den Vertrag wegen missbräuchlicher Nutzung der Software ausgesetzt habe. Dann erklärte Minister Luca Ciriani (Fratelli d‘Italia) im Parlament, dass die Software weiterhin voll einsatzfähig sei, und widersprach damit der britischen Zeitung. Einige Tage später teilte jedoch eine offizielle Mitteilung der Regierung genau das mit, was The Guardian berichtet hatte, und widerlegte Ciriani: Die Nutzung der Software sei in Absprache mit dem Herstellerunternehmen ausgesetzt worden, um Verstöße weiter zu untersuchen. Tatsächlich aber soll die Aussetzung auf Wunsch des Herstellers erfolgt sein, weil die Software eben missbräuchlich verwendet wurde.
Wenn schließlich, wie Carlo Nordio sagt, kein Ministerium für den Kauf des israelischen Trojaners verantwortlich ist, dann bleiben nur noch die Geheimdienste als Nutzer dieses Werkzeugs. Sollte Nordios Aussage wahr sein, dann wären sie es gewesen, die diese Abhörmaßnahmen durchgeführt haben – und somit hätte der für die italienischen Geheimdienste zuständige Staatssekretär Alfredo Mantovano (parteilos) dreist gelogen. Vielleicht ist das der Grund, warum Mantovano nicht wollte, dass Nordio im Parlament antwortet, und sich auf Artikel 131 der Geschäftsordnung der Abgeordnetenkammer berief, um ihn daran zu hindern. Doch Carlo Nordio sprach trotzdem und seine Enthüllung lässt Spielraum für Spekulationen.