Tel Aviv/Westjordanland. In einer weiteren Eskalation der israelischen Besatzungspolitik genehmigte das israelische Sicherheitskabinett am vergangenen Samstag den Bau einer separaten Umgehungsstraße nur für Palästinenser in der sogenannten „E1-Zone“ östlich von Jerusalem. Hintergrund ist das Ziel, die jüdische Siedlung Maale Adumim (rund 37.500 Bewohnerinnen und Bewohner) mit der israelischen Hauptstadt zu vereinen. Zahlreiche Friedens- und Menschenrechtsorganisationen, darunter Peace Now, kritisieren dieses Projekt als klaren Bruch des Völkerrechts und einen entscheidenden Schritt in Israels Bestreben, das Westjordanland endgültig zu annektieren.
Bisher führt die Route 1, die größte Ost-West-Verbindung im Raum, mitten durch das E1-Gebiet. Künftig müssen Palästinenser jedoch auf eine neu geplante Umgehungsstraße ausweichen, während Israelis die bisherige Strecke exklusiv nutzen dürfen. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu begründet das Vorhaben offen mit dem Bestreben, für die jüdischen Bewohner einen zügigeren und „sicheren“ Weg nach Jerusalem zu schaffen. Dass das neue Straßenbauprojekt Palästinensern die freie Passage praktisch entzieht und viele arabische Gemeinden isoliert, wird von Netanjahu nicht nur billigend in Kauf genommen, sondern bewusst forciert.
Diese Straße ist nichts anderes als ein weiteres Symbol der Apartheid-Politik, erklärte Peace Now, eine israelkritische Menschenrechtsgruppe. Die Organisation rechnet damit, dass palästinensische Dörfer im E1-Gebiet damit vom Rest des Westjordanlands abgeschnitten sind, was für die Bevölkerung eine faktische Vertreibung bedeuten könnte. Ohne Anschluss an Hauptverkehrsrouten wären medizinische Versorgung, Handelskontakte und Arbeitswege massiv erschwert oder unmöglich.
Befürworter des Projekts heben laut Medienberichten sogar offen hervor, dass die neue Straße ein Schritt zur vollen Eingliederung des Westjordanlands in das israelische Staatsgebiet sei. Der Vorsitzende der Siedlerführung in Beit El, Shai Alon, nennt es ganz klar einen „Weg zur Souveränität über ganz Judäa und Samaria“. Mit dem Begriff „Judäa und Samaria“ wird in Israel das besetzte Westjordanland bezeichnet, wobei ignoriert wird, dass dieses Gebiet nach internationalem Recht palästinensisches Land ist.
Von offizieller Seite hält Netanjahu diesen Ansatz nicht für problematisch. „Wir stärken weiterhin die Sicherheit der israelischen Bürger und entwickeln unsere Siedlungen“, äußerte er am Sonntag. Dass in diesem Prozess zahllose palästinensische Familien aus ihren Dörfern verdrängt werden, gerät zur Nebensache. International ist indes unstrittig, dass die jüdischen Siedlungen – gegründet seit 1975 – völkerrechtswidrig sind. Rechtsgutachten und UNO-Resolutionen sprechen von einer andauernden Besatzung und fordern Israel immer wieder auf, jegliche Annexion zu unterlassen.
Die neue Schnellstraße hat aus Sicht palästinensischer Organisationen gravierende Konsequenzen für die Region östlich von Jerusalem, die als Herzstück eines künftigen palästinensischen Staats gelten könnte. Ein zusammenhängendes Territorium zwischen Ramallah, Ostjerusalem und Bethlehem würde weiter zerteilt, so Peace Now. Die Schaffung eines palästinensischen Staats in diesen Gebieten werde damit nahezu unmöglich. Unter dem Deckmantel der „Sicherheit“ und einer vermeintlich besser organisierten Verkehrsinfrastruktur setzt Israels Regierung ein klares Signal: Eine Zweistaatenlösung scheint zunehmend unrealistisch.
Besonders absurd wirkt dabei die Finanzierung dieser Infrastrukturmaßnahme. Wie die Times of Israel berichtet, sollen die geschätzten 84,3 Millionen Euro Kosten nicht aus dem israelischen Staatshaushalt kommen, sondern überwiegend aus Mitteln, die die israelische Zivilverwaltung im Westjordanland von der palästinensischen Bevölkerung einzieht. Dass man den Betroffenen nicht nur ihr Land beschlagnahmt, sondern sie obendrein für den Bau dieser Apartheid-Straße zahlen lässt, zeigt eindrücklich die Ungleichheit im besetzten Gebiet.
Netanjahu hat den Bau der E1-Siedlungsprojekte zwar schon lange gewünscht, war aber häufig an Veto-Einwänden der USA gescheitert. Mit der erneuten Präsidentschaft von Donald Trump sieht sich die israelische Rechte im Aufwind. Der Bürgermeister von Maale Adumim kündigte bereits an, die Zone künftig in „Trump One“ – oder T1 – umzubenennen. Ein Name, der beim US-Präsidenten zweifellos gut ankommen dürfte. Denn in den vergangenen Jahren hat Trump bereits zahlreiche Entscheidungen getroffen, die israelische Annexionsbestrebungen begünstigten – so etwa die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem.
Menschenrechtsorganisationen sprechen gar von einer „schleichenden ethnischen Säuberung“, wenn das Leben in den betroffenen palästinensischen Dörfern „praktisch unmöglich gemacht wird“. Dass Palästinenser mithilfe einer eigenen Umgehungsstraße ausgesperrt und isoliert werden, verdeutlicht die Apartheid-ähnlichen Zustände. Die Weltgemeinschaft bleibt mehrheitlich bei Lippenbekenntnissen, wenn es heißt, Israel möge eine Zweistaatenlösung nicht verunmöglichen. Tatsächlich setzen Netanjahu und Verbündete alles daran, jedwede Hoffnungen auf einen palästinensischen Staat zu zerschlagen.
Quelle: junge Welt