Rassismus und Justiz: Mohammed El Hamarwa wurde fälschlich als Schlepper verhaftet und saß über zwei Jahre unschuldig in einem italienischen Gefängnis – einzig aufgrund fragwürdiger Aussagen ohne Beweise. Beweise für seine Unschuld wären die ganze Zeit in seinem Handy gespeichert gewesen.
Reggio Calabria. Von Italien hat Mohammed El Hamarwa bislang nur wenig gesehen: ein Patrouillenboot der Guardia di Finanza, den Hafen von Roccella Ionica und das Gefängnis von Locri. Dort kam er am Tag seiner Ankunft, dem 14. November 2022, direkt in Haft. Am Montag, dem 7. April 2025, öffnete ihm ein Gefängniswärter die Tür zu seiner Zelle, die er sich mit acht weiteren Insassen teilte. Die Nachricht: sofortige Entlassung. Urteil erster Instanz vor dem Gericht in Locri: vollständiger Freispruch – unschuldig.
Mohammed El Hamarwa ist 29 Jahre alt. Seine Inhaftierung beruhte, wie so oft, auf einem Irrtum. Man hatte ihn als 27-Jährigen festgenommen. In Ägypten warteten seine junge Frau und sein sechsjähriger Sohn auf ein Lebenszeichen. Für die Überfahrt hatte er alles verkauft, selbst das Ape-Dreirad, mit dem er als Taxifahrer arbeitete. Doch statt eines Neubeginns landete er ohne jeglichen Beweis im Gefängnis – für zwei Jahre und drei Monate. Der Vorwurf: Beihilfe zur illegalen Einwanderung. Die Ermittlungen: fehlerhaft oder gar nicht durchgeführt.
Beschuldigt auf Basis einiger weniger Fotos
Am 14. November 2021 befand sich Mohammed an Bord eines überfüllten Fischkutters voller Migranten. Der Motor war ausgefallen, das Boot wurde von einem anderen Schiff in italienische Gewässer geschleppt. Dort griff die Guardia di Finanza ein und brachte 263 Menschen an Land – nach Roccella Ionica.
Danach folgten die Identifikation und die Suche nach den vermeintlichen Schleppern. Grundlage für Anklagen sind meist Aussagen von Mitreisenden. In Mohammeds Fall stützte sich die Anklage ausschließlich auf die Aussagen von vier pakistanischen Migranten, die bei der Ankunft Erklärungen unterschrieben. Alle vier beschuldigten fünf Ägypter, darunter Mohammed. Drei der vier Zeugen verschwanden jedoch unmittelbar nach der Aussage. Nur einer erschien zur richterlichen Beweissicherung und gab an, die Beschuldigten aus 19 gezeigten Passfotos ausgewählt zu haben – obwohl sich 260 Menschen an Bord befanden. Ein gängiges Vorgehen bei Massenankünften: Den Zeugen werden nur einzelne Fotos gezeigt, nicht die aller Migranten.
Mohammed wollte keinen Deal eingehen
Mohammed wurde aufgrund dieser dürftigen Identifikation verhaftet. Vier der fünf Beschuldigten akzeptierten später ein Strafmaß in einem Deal und bekannten sich schuldig. Sie wurden zu drei Jahren Haft verurteilt. Mohammed jedoch weigerte sich, ein Schuldeingeständnis abzugeben – er wollte, dass ein italienisches Gericht seine Unschuld anerkennt.
Die Anklage konnte nichts weiter vorlegen als die fraglichen Aussagen bei der Ankunft. Keine Beweise, keine Indizien. Der eine Zeuge behauptete, Mohammed mit einem Messer in der Hand über der Steuerkabine gesehen zu haben – ein Messer, das nie gefunden wurde. Tatsächlich hatte Mohammed bei seiner Ankunft zwei Handys bei sich. Auf einem befanden sich Videos und Fotos, die eindeutig belegten, dass er ein Passagier war wie alle anderen. Doch niemand wertete das Handy aus.
Niemand wertete Handy mit entlastendem Material aus
Ein Video zeigt ihn mit anderen Migrantinnen und Migranten eingepfercht in einem Raum, in dem sie tagelang von Schleppern festgehalten wurden, bis die Zahlungen für die Überfahrt eintrafen. Weitere Bilder dokumentieren seine Anwesenheit am Heck des Kutters – unter denselben Bedingungen wie alle anderen. Dazu kamen Screenshots, die Mohammed seiner Mutter geschickt hatte: Online-Zahlungen an die Schlepper in Höhe von 200.000 ägyptischen Pfund, etwa 3.600 Euro.
All diese Belege legte sein Anwalt Giancarlo Liberati dem Gericht vor. Die Staatsanwältin Rosa Maria Pantano hatte eine sechsjährige Haftstrafe nach Artikel 12 des Einwanderungsgesetzes gefordert – ohne das erschwerende Merkmal des Gewinnstrebens. Doch das Gericht sprach Mohammed frei.
Nach Freilassung: Weder Geld noch Unterkunft
Am Montagabend um halb neun öffneten sich die Tore des Gefängnisses von Locri. Mohammed betrat zum ersten Mal in Freiheit italienischen Boden – mittellos, ohne Telefon, ohne Kontakte, ohne Unterkunft, ohne Essen. Er kannte niemanden. Sein Anwalt holte ihn ab, brachte ihn in ein Hotel, gab ihm ein Mobiltelefon und etwas zu essen. „Das Mindeste, damit sich ein 29-jähriger Mann überhaupt bewegen kann. Was hätte ich tun sollen? Ihn auf der Straße stehen lassen? Aber so geht es vielen, nicht nur ihm“, sagte Liberati.
Im Gefängnis hatte Mohammed als Reinigungskraft gearbeitet, um wenigstens ein wenig Geld zu verdienen. Am kommenden Montag will er sich den Lohn für März und die ersten Tage im April abholen – und sich mit dem Geld ein Zugticket nach Mailand kaufen.
Quelle: Unità