Osterkommentar von Dominik Maier.
Rechtzeitig vor Ostern wussten Medien der ganzen Welt eine Frohbotschaft zu verkünden: Auf dem Exoplaneten K2-18 b könnte es Leben geben! Hurra, also das Leben geht weiter! Zumindest auf anderen Planeten, selbst wenn wir hier weiter den Imperialismus wüten lassen würden, bis zur versehentlichen oder gewollten, doch sicher nur scheinbar vollständigen Vernichtung. Wohl wahr, wir sind nicht alleine, wenn auch auf ganz andere und viel schönere Weise als es die Christen meinten. Ein aktueller Ö1-Beitrag andererseits befasst sich mit der Apokalypse in der Literatur. Und worum geht’s jetzt wirklich?
Geschwister der Vernunft
Mit den Worten „Wir freuen uns, euch zu sehen, Brüder von Vernunft“, begegnen die Außerirdischen den 14-jährigen Helden im sowjetischen Teenie-Sci-Fi-Zweiteiler „Start zur Kassiopeia“ und „Roboter im Sternbild Kassiopeia“ – anstatt mit der Waffe in den Händen auf beiden Seiten, wie in vielen westlichen Schinken. Auch die Lektion der Geschichte ist eine wesentlich vernünftigere und nützlichere als in den meisten westlichen Storys: Nicht rauschhaftes Glück oder technokratische Vervollkommnung bringen Erfüllung, sondern die schöpferische Arbeit, die Freude bereitet. Man sehe selbst auf Youtube[i]. Der Film von 1974 beginnt übrigens im Jahr 2007 in der kommunistischen Sowjetunion. Manchmal kommt’s eben doch anders, als man denkt.
Noch keine Vernunftgrüße sind vom Planeten K2-18 b gekommen. Sehr wohl aber vermeldeten kürzlich Wissenschaftler in der Zeitschrift „The Astrophysical Journal Letters“, Biosignaturen aus dieser Richtung gemessen zu haben[ii]. Vor Journalisten habe einer der Mitautoren geäußert, so nah sei die Wissenschaft noch nie einem Fund gekommen, dem sie „Leben“ zuordnen könnten[iii]. Von Massenmedien weltweit wurde diese Äußerung dankend übernommen. Je nach Medium wurde der Artikel sachlicher oder reißerischer wiedergekäut. Man kann es den Forscherinnen und Forschern keinesfalls übelnehmen, Schlagzeilen machen zu wollen – ihr Enthusiasmus über ihre Entdeckung ist ebenso nachvollziehbar wie ein mögliches Bedürfnis, ihrer Karriere mit etwas Publicity nachzuhelfen. Schwer genug ist die Arbeit in der Welt der Wissenschaft ohnehin.
Es wäre weiters nicht die Welt der Wissenschaft, hätten nicht sofort andere Wissenschaftler gute Argumente zur Hand gehabt, die der ursprünglich veröffentlichten Interpretation widersprechen. Nachzulesen etwa in einem Artikel der renommierten britischen Zeitschrift Nature[iv]: Es sei nicht ganz sicher, ob wirklich Dimethylsulfid bzw. Dimethyldisulfid gefunden worden sei, zudem könnten diese Moleküle auch durch abiotische Prozesse entstehen. Diese ernüchternde Nachricht hat es freilich nicht in die weltweiten Massenmedien geschafft. Die Auswertung weiterer Daten wird fürs Erste ebenso weitergehen wie die Diskussion über deren Interpretation, die Suche nach anderen womöglich belebten Planeten und der Klassenkampf auf Erden.
Jedenfalls, selbst für den Fall, dass auf K2-18 b bereits vernunftbegabte Lebewesen hausen würden, sei darauf hingewiesen: Ein einmaliger Nachrichtenaustausch zwischen Erde und K2-18 b dauert 248 Jahre. Selbst wenn uns unsere Geschwister der Vernunft von K2-18 b bereits unmittelbar nach Erhalt der Arecibo-Botschaft[v] aus dem Jahr 1974 eine Antwort übermitteln würden, müssten wir bis zum Jahr 2222 darauf warten. Bis dahin wird’s schon noch mit der sozialistischen Revolution und dem Aufbau des Erdkommunismus. Bestimmt.
Der Weltraum – unendliche Weiten
Von K2-18 b abgesehen ist das Universum jedoch ohnehin groß genug, dass man ruhigen Gewissens behaupten kann, dass es noch viele weitere Planeten gibt, auf denen Leben und in manchen Fällen auch intelligentes Leben entstanden ist, noch fortbesteht und weiterhin neu entstehen wird. Manche dieser Zivilisationen werden vielleicht irgendwann untereinander in Kontakt und Begegnung treten und so für sich das Fermi-Paradoxon auflösen[vi]. Mutter Antonina Alexejewna aus Teil 2 des sowjetischen Films durchaus zum Trotz, die meinte: „Paradoxe sind Paradoxe – dagegen kann man nichts ausrichten“[vii].
Als hätte das Universum mitgedacht und es gut mit dem Leben und der Vernunft gemeint, hat es sich so eingerichtet, dass die Abstände zwischen den Sonnensystemen so groß sind, dass eine Kommunikation oder gar direkte Begegnung so viele Ressourcen und wissenschaftlich-technische Meisterschaft erfordern, dass man davon ausgehen kann, dass eine Gesellschaft, die das schafft, bereits kommunistisch ist. Das beugt der gegenseitigen Vernichtung vor.
Zeit ist übrigens noch genug: Das Universum ist dem Standardmodell der Kosmologie zufolge gerade einmal 13,8 Milliarden Jahre alt, während der Beginn der Ära der Degeneration in Richtung Kältetod erst frühestens in 100 Billionen Jahren erwartet wird. Exakte Berechnungen in dieser Angelegenheit sind schwierig und es könnte sein, dass die Ära der Degeneration auch erst in 10 Sextilliarden Jahren beginnt. Angesichts der Tatsache, dass sich die Bewegungsformen der Materie auf jeder Entwicklungsstufe noch weiter beschleunigen, darf man nur staunen, was in diesem Universum zukünftig noch alles vor sich gehen mag. Wer braucht angesichts solch natürlicher Erhabenheit noch Religion? Selbst auf der Erde bleiben noch 250 Millionen Jahre, bis es aufgrund der Ausdehnung der Sonne zu heiß für Säugetiere wird. Genug Zeit also noch, um zu übersiedeln, und warum nicht auch gleich mit dem ganzen Planeten wie in der zeitgenössischen Novelle „Die wandernde Erde“ von Liu Cixin[viii].
Mit unwahrscheinlichem Pech könnte der Kampf zwischen Sozialismus und imperialistischer Barbarei zwar zu einem Ergebnis führen, das nicht nur einen Rückschlag zu einem prä- bzw. postzivilisatorischen zwischenmenschlichen Zusammenleben, sondern einen Einschnitt für höher organisierte Leben auf diesem Planeten insgesamt bedeutet. Unzählige Kleinlebewesen, Meeresbewohner sowie Myriaden Mikroben würden jedoch trotzdem überleben, sich veränderten Umständen evolutionär anpassen und das Erbe des irdischen Lebens antreten – irgendwann vielleicht auch wieder erhobenen Hauptes. Gemessen an den 250 Millionen Jahren, bis es für Säugetiere zu heiß wird, würden sich ein paar Massenaussterben wie vor 66 Millionen Jahren sowie weitere Runden der Evolution noch ausgehen.
Man kann also sagen: Wir Menschen tragen nicht die alleinige Verantwortung dafür, dass es vernünftig weitergeht im Universum. Die schon in der Bibel behauptete Prinzipalität des Logos gilt universell. Unsere Geschwister der Vernunft auf unzähligen Planeten ziehen am selben Strang und die biotische Evolution ist voll schöpferischer Hartnäckigkeit.
Alles in allem: Beruhigend – oder nicht?
Apokalypse in der Literatur
In einem aktuellen Beitrag „Wir werden alle sterben“ wurde im Ö1 die Literaturwissenschafterin Julia Hoydis zu ihrem Forschungsthema der postapokalyptischen Literatur interviewt[ix]. Modern sei heutzutage vor allem Climate Fiction und Extinction Narratives, die sich mit den Folgen des Klimawandels befassen. Nuclear Fiction sei hingegen überhaupt nicht mehr in Mode. Literarische Texte werden als kulturelle Modelle für die Zukunft verstanden, ergänzend zu den mathematischen Modellen, welche die erwartbaren Entwicklungen einschätzen sollen. Ein Zusammenhang des apokalyptischen Denkens mit dem Christentum wurde ebenso hergestellt, wie reflektiert wurde, dass neben dystopischer Drastik auch utopische Möglichkeitsräume notwendig sind.
Was in dem Gespräch allerdings gar nicht vorkam und auch sonst im bürgerlichen Diskurs gekonnt ausgeklammert wird, ist die Tatsache, dass die gegenwärtige apokalyptische Stimmung nicht nur mögliche Szenarien von Klimawandel, Artensterben und Krieg reflektiert. Sie sind vor allem der bezeichnende Ausdruck des kapitalistischen Verfalls. Selbst in kapitalistischen Ländern, die weniger auf dem absteigenden Ast sind wie im Westen, ist weniger Weltuntergangsstimmung zu spüren. Wie sehr könnte erst ein sozialistisches Wirtschaftssystem mit seinem Staat für eine im Grunde optimistische Einstellung sorgen, trotz aller kapitalistisch verursachten Krisen!
Als Genre freilich spielen sowohl Dystopien als auch Utopien ihre wichtigen Rollen in der Reflexion der Wirklichkeit und im Weitertragen des menschlichen Denkens. Wenn sich das heute stark um die Themen Climate Fiction und Extinction Narratives dreht, reflektiert das einerseits zeitgemäß tatsächliche Entwicklungen, andererseits aber auch eine Engführung im bürgerlichen Diskurs. Ob einem Buch ein fortschrittlicher oder ein den Fortschritt lähmender Charakter zukommt, ist jeweils im Einzelfall zu prüfen. Wie wir bereits von Friedrich Engels wissen, können Utopien für den politischen Kampf nützlich sein, wie sie andererseits auch in die Irre führen und ablenken können. Dystopien können kritische Widerspiegelungen kapitalistischer Verfallserscheinungen sein oder aber der Widerhall des antihumanistischen Glaubenssatzes, wonach Menschen im Grunde eben schlecht seien. Wichtige Kriterien bei der konkreten Einschätzung sind: Wird ein Zusammenhang zu den in der Gesellschaft wirkenden Kräften sichtbar gemacht, streben Akteure zu politischer Handlungsfähigkeit, wird die Notwendigkeit einer Überwindung des Kapitalismus zumindest indirekt deutlich?
Bloß „verzweifelte Aufschreie gegen imaginierte Weltuntergangsszenarien“ charakterisiert die Partei der Arbeit in ihrer Resolution „Die Arbeiterklasse wird das Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur wiederherstellen und weiterentwickeln“ jedenfalls zu Recht als kleinbürgerlich.[x] Dem setzt die Partei der Arbeit in Kenntnis der gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen auf Basis einer konkreten Analyse der konkreten Situation eine revolutionäre Zukunftsgewandtheit entgegen.
Ohne Etwas ist Alles Nichts
Worum geht es jetzt also? Es geht heute nicht um die Apokalypse oder deren Abwendung. Es geht nicht um Alles oder Nichts. Nein, die Lage ist gewissermaßen noch viel dramatischer: Es geht wirklich um Etwas!
Es geht um die sozialistische Revolution, es geht um die Frage, ob sie später oder schon etwas früher möglich sein wird, es geht darum, wie viele Menschen noch in imperialistischen Kriegen aufeinandergehetzt und ermordet werden, es geht darum, wie viele Menschen es noch geben wird, die sich notwendige gesundheitliche Versorgung nicht leisten können, es geht darum wie viele Menschen noch an Hunger, Durst, Kälte und Hitze sterben werden, es darum, wie viele Stunden sie noch hungern, dürsten, frieren und schwitzen müssen, es geht um die einzelnen Menschen, die hinter diesen Schicksalen stehen, es geht um ihre Namen, ihre Gesichter, ihre Geschichten, ihre Beziehungen, ihre Widersprüche, ihre Gefühle, ihren Willen, ihre Bedürfnisse, ihre Wünsche, ihre Hoffnungen, ihre Kämpfe, ihre Stimme, ihre Kraft, ihren Tatendrang, ihr Schöpfertum. Es geht um ihr Leid und es geht um ihr Glück, es geht „um den Lohngroschen, um das Teewasser und um die Macht im Staat“[xi].
Kurzum: Es geht um etwas. Etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Aber sowas von.
Verlassen wir uns dabei nicht zu sehr auf einen „Sonderbeauftragten der interplanetaren Behörde“, wie er in den beiden sowjetischen Jugendfilmen als guter Geist auftritt[xii]. Wir können und müssen dem kapitalistischen System schon selbst das Handwerk legen. Durchaus auch der interstellaren Gemeinschaft zuliebe: Unseren außerirdischen Geschwistern der Vernunft soll das irdische Geschwisterkind mit seinen liebenswerten Besonderheiten und wertvollen Erfahrungen nicht verloren gehen, nur weil es eine schwere Pubertät hat.
In diesem Sinne:
Καλή Ανάσταση! Καλή Επανάσταση!
Kalí Anástasi! Kalí Epanástasi!
Frohe Ostern! Frohe Revolution!
[i] Start zur Kassiopeia (1974), https://www.youtube.com/watch?v=pqKR0daes54
Roboter im Sternbild Kassiopeia (1975), https://www.youtube.com/watch?v=tQmks3W9534
[ii] The Astrophysical Journal Letters: New Constraints on DMS and DMDS in the Atmosphere of K2-18 b from JWST MIRI, 17.04.2025, https://iopscience.iop.org/article/10.3847/2041–8213/adc1c8
[iii] ORF: Anzeichen für Leben auf fremden Planeten, 17.04.2025, https://science.orf.at/stories/3229836/
[iv] Nature: Signs of life on a distant planet? Not so fast, say these astronomers, 17.04.2025, https://www.nature.com/articles/d41586-025–01264‑z
[v] Vgl. Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Arecibo-Botschaft
[vi] Vgl. Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Fermi-Paradoxon
[vii] Roboter im Sternbild Kassiopeia, s.o.
[viii] Cixin Liu: Die wandernde Erde (2000), vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Die_wandernde_Erde_(Novelle)
[ix] Ö1: Wir werden alle sterben, 18.04.2025, https://oe1.orf.at/programm/20250418#791765/Wir-werden-alle-sterben
[x] Resolution des 5. Parteitages der Partei der Arbeit Österreichs: Die Arbeiterklasse wird das Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur wiederherstellen und weiterentwickeln, Einheit und Widerspruch 10, 2024, https://parteiderarbeit.at/einheit-widerspruch/
[xi] Bertolt Brecht: Lob des Revolutionärs, https://www.youtube.com/watch?v=8jaJKGfjMng
[xii] Start zur Kassiopeia, s.o.