Das faschistische Lager Reichenau soll historisch aufgearbeitet und besser dokumentiert werden. Geplant ist ein größerer Gedenkort.
Innsbruck. In der Tiroler Landeshauptstadt wird zurzeit Bildmaterial aus der Zeit des Faschismus gesucht. Die Rede ist dabei vom Arbeits- und Umerziehungslager Reichenau, dessen Geschichte bis dato nur unzureichend aufgearbeitet wurde. Seit Mai vergangenen Jahres hat sich eine aus acht Historikerinnen und Historikern bestehende Kommission der Sache angenommen. Auf Basis der Arbeit dieser Kommission ist in Zukunft auch die Eröffnung eines Gedenkorts geplant.
Das Stadtarchiv ist ebenfalls in diese Arbeit involviert. Lukas Morscher, Leiter des Innsbrucker Stadtarchivs, gab zu bedenken, dass gerade die Bilddokumentation eine große Herausforderung darstelle, weil es an Fotos des Lagers und der Nebenlager fehle:
„Konkret suchen wir Fotos aus der Kriegszeit, auf denen Spuren des Lagers zu sehen sind. Auf Dachböden oder in Kellern gibt es vielleicht noch alte Bilder, die für eine genaue Dokumentation sehr wertvoll und wichtig sind. Es kann auch interessant sein, wenn eine Baracke nur im Hintergrund zu sehen ist“, so Morscher.
Daraus ergibt sich der Appell an die hiesige Bevölkerung, in den eigenen Archiven, Kellern und Dachböden nach Fotos zu stöbern. Der Aufruf wurde auch von der Stadt übernommen.
Das Lager Reichenau 1941–1945
Das Lager selbst wurde im Jahr 1941 errichtet. Es entstand im Auftrag des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) Berlin in Kooperation mit dem Landesarbeitsamt Innsbruck. Bis zum Sommer 1942 wurde es als Auffanglager für sogenannte Zivilarbeiterinnen und Zivilarbeiter italienischer Herkunft genutzt, ehe sie der Zwangsarbeit an anderen Orten zugeführt wurden. Später wurde es zu einem Straflager umfunktioniert, das „arbeitsvertragsbrüchige“ Arbeitskräfte und darüberhinaus auch bald politische Häftlinge aus ganz Europa umerziehen sollte. Während die Inhaftierten zur Arbeit „erzogen“ wurden, wurden sie aber auch dem heimischen Arbeitsmarkt ausgeliehen. Die Tiroler Unternehmen der damaligen Zeit konnten beim Arbeitsamt Arbeitskräfte aus dem Lager anfordern, das die Zwangsarbeiter dann zu Arbeitseinsätzen schickte. Daneben wurde es auch als Durchgangslager für Jüdinnen und Juden aus Norditalien genutzt, die aus dem Durchgangslager Bozen kamen. Die Opferzahlen betragen laut heutigem Kenntnisstand 130 Tote durch Mord oder Folter. Insgesamt waren etwa 8.500 Menschen im Lager und in Nebenlagern interniert.
1972 wurde der Gebäudekomplex abgerissen und stattdessen ein Gedenkstein errichtet, auf dem geschrieben steht:
„Hier stand in den Jahren 1941–1945 das Gestapo-Auffanglager Reichenau, in dem Patrioten aus allen vom Nationalsozialismus besetzten Ländern inhaftiert und gefoltert wurden. Viele von ihnen fanden hier den Tod.“
Quellen: ORF / MeinBezirk / Tiroler Tageszeitung