Egon Erwin Kisch (1885–1948) gilt als Meister der Reportage, doch er war auch Aufdeckungsjournalist, antifaschistischer Aktivist und kommunistischer Revolutionär. Wir liefern zum 75. Todestag einen Überblick zu Werk und Wirken.
Am 31. März 1948 starb Egon Erwin Kisch in Prag. Es erscheint fast müßig und in gebotener Übersichtlichkeit unmöglich, hier aus seinem ereignisreichen Leben und über sein umfangreiches Werk erzählen zu wollen. Als Journalist und „rasender Reporter“ wurde er weltbekannt, als deutschsprachiger Tscheche zum Weltbürger, als Antifaschist und Jude verfolgt, als Kommunist in der BRD und Österreich misstrauisch betrachtet.
Kisch, am 29. April 1885 in eine durchaus wohlhabende Prager Familie geboren, begann seine Karriere mit Berichten und Feuilletonbeiträgen für Zeitungen in seiner Heimatstadt. Erstmals größere Bekanntheit erlangte er 1913 mit seinen Aufdeckungen in der Affäre um Oberst Redl – also damit, was man heute als Investigativjournalismus bezeichnet. Die Erfahrungen der Fronteinsätze im Ersten Weltkrieg in den Reihen der österreichischen Armee prägten Kisch bezüglich seiner weiteren politischen Entwicklung: 1917 wurde er Mitglied des ersten illegalen Arbeiter- und Soldatenrates, zu Jahresbeginn 1918 nahm er organisatorischen Anteil am großen Jännerstreik, im November desselben Jahres war er Mitbegründer und erster Kommandant der kommunistischen Roten Garde in Wien. Weithin berühmt ist seine zweitägige Besetzung der Redaktion der Tageszeitung „Die Presse“, als er dort seinen eigenen Bruder des Arbeitsplatzes verwies und dieser im dafür androhte, er würde ihn bei der Mama verpetzen. Kisch wurde Mitglied der Föderation Revolutionärer Sozialisten „Internationale“, im Mai 1919 der wenige Monate zuvor gegründeten KPÖ.
Nach Stabilisierung der Verhältnisse in Österreich wurde Kisch als bekannter Kommunist des Landes verwiesen. Er ging 1921 nach Berlin, 1925 trat er der KPD bei. Dies ermöglichte ihm Reisen durch die Sowjetunion, über deren Errungenschaften er in mehreren Reportagen berichtete. Weniger positiv äußerte er sich über seine Eindrücke aus den USA, die er ironisch mit dem Titel „Paradies Amerika“ versah. Als letztes erschien in der Weimarer Republik ein Reportageband über Kischs Reise nach China 1932. Danach kamen die Nazis an die Macht. Am Tag nach dem Reichstagsbrand, am 28. Februar 1933, wurde er als angeblicher Verdächtiger verhaftet und erst nach zwei Wochen sowie nach Intervention der tschechoslowakischen Botschaft freigelassen. Kisch verlegte sein „Hauptquartier“ nach Paris, seine Schriften konnten nun nur noch in Emigrationsverlagen und ‑zeitschriften erscheinen. Dementsprechend konzentrierte er sich auch auf die antifaschistische Arbeit.
1934 sorgte seine Reise nach Australien für Aufsehen, als ihn die Regierung als Kommunisten nicht einreisen lassen wollte und dies zu einer berühmten Episode führte: Kisch sprang im Hafen von Melbourne kurzerhand von der Schiffsreling auf den Kai und brach sich ein Bein – und durfte, auch aufgrund linker Proteste, im Land bleiben. 1935, wieder zurück in Europa, beteiligte er sich an den antifaschistischen Internationalen Schriftstellerkongressen, ab 1937 berichtete er aus dem Spanischen Bürgerkrieg und von den Internationalen Brigaden, unter anderem mit der Reportage „Die drei Kühe“ über den Tiroler Bauern und Spanienkämpfer Max Bair, der nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst KPÖ-Funktionär und schließlich Mitarbeiter der Regierung der DDR wurde.
Mit Kriegsbeginn 1939 musste Kisch auch Frankreich verlassen. Er emigrierte über die USA nach Mexiko, wo er u.a. mit Anna Seghers in Kontakt war. 1941 erschienen seine vorläufigen Memoiren unter dem Titel „Marktplatz der Sensationen“, 1945 seine letzter Reportageband „Entdeckungen in Mexiko“. Im Februar 1946 machte sich Kisch auf die Rückreise nach Europa, am 21. März kam er in Prag an. Er unterstützte die volksdemokratische Umwälzung in der Tschechoslowakei und die hierbei maßgebliche Kommunistische Partei, zu diesem Zweck begann er auch sein letztes Werk „Karl Marx in Karlsbad“. Im November verschlechterte sich sein Gesundheitszustand jedoch massiv, und nach zwei Schlaganfällen starb Egon Erwin Kisch am 31. März 1948 im Alter von 62 Jahren in Prag. Er wurde auf dem Friedhof Vinohrady beigesetzt.
In den sozialistischen Staaten, nicht zuletzt in der DDR, erfreuten sich Kischs Werke auch nach seinem Tod über Jahrzehnte großer Beliebtheit. Im kapitalistischen Westen mussten hingegen kommunistische Verlage für Neuerscheinungen sorgen, so auch in Österreich. Seit der Konterrevolution wagen auch bürgerliche Verlage und Medien einen entspannteren Umgang mit Kisch, wobei die kommunistische Gesinnung gerne ausgeblendet und Kisch schlichtweg zum Meister der Reportage erklärt wird. Auch das mag zutreffen, doch wir wollen zum 75. Todestag auch den Revolutionär Egon Erwin Kisch würdigen, der in keiner kommunistischen Bibliothek fehlen darf.
Literatur: Egon Erwin Kisch bei „Projekt Gutenberg“