Am 19. Mai 1925 wurde Malcolm X, eine der wichtigsten revolutionären Stimmen im schwarzen Befreiungskampf der USA geboren – am 21. Februar 1965 wurde er vor den Augen seiner Familie und hunderter Anhängerinnen und Anhängern in New York ermordet. 60 Jahre nach dem Mord sind die wahren Hintergründe des politischen Attentats noch immer nicht vollständig aufgeklärt. Doch neue juristische Initiativen, politische Auseinandersetzungen und Aussagen von Zeugen zeigen: Die Rolle des US-Staatsapparats war weit größer, als es jahrzehntelang zugegeben wurde.
Malcolm X, geboren als Malcolm Little, wurde in jungen Jahren durch rassistische Gewalt geprägt. Bereits seine Eltern unterstützten Marcus Garveys Universal Negro Improvement Association, die für eine Verbesserung der Lage der Schwarzen weltweit eintrat, wodurch die Familie regelmäßig rassistischen Angriffen ausgesetzt war. Nach dem Tod seines Vaters kamen Malcolm und seine Schwester in verschiedene Einrichtungen, und er wurde zum Kleinkriminellen. Im Gefängnis, wo er wegen Einbruchs mit etwa 20 eine Haftstrafe absaß, konvertierte er zum Islam und schloss sich der Nation of Islam (NOI) an.
Die Nation – eine ausschließlich schwarze Organisation ohne Anbindung an die Hauptströmungen des Islam – setzte sich für die Schwarze Selbstbestimmung ein und vertritt und vertrat, wie jede religiöse Gruppe, teilweise fragwürdige Positionen. In der Organisation wurde X schnell zu einer der prominentesten Stimmen im Kampf gegen weiße Vorherrschaft und soziale Ausgrenzung. Kaum jemand im 20. Jahrhundert war so unbequem wie Malcolm X, er hat dem weißen und dem Schwarzen Establishment die Tiefe und Brutalität der Apartheid in den USA vor Augen geführt und das System hinterfragt.
Die zu dieser Zeit in den USA aktive Bürgerrechtsbewegung, in der unter anderem Martin Luther King oder Rosa Parks zu prominenten Vertretern wurden, wurde auf Gewaltlosigkeit als Mittel gesetzt und es konnte so auch einige kleinere Erfolge erzielt werden. Nichtsdestotrotz begegnete man den Gewaltlosen mit Gewalt, seitens des Staates und der Rassisten, auch in Form des Ku-Klux-Klans. Die Frage nach der Strategie der Gewaltlosigkeit polarisierte und es bildeten sich u.a. die Black Panthers als Antwort heraus, sie traten für und mit bewaffnetem Widerstand gegen den Polizeirassismus auf. Die NOI arbeitete mit den unterschiedlichen Bewegungen nicht zusammen. X selbst war kein Vertreter der Gewaltlosigkeit. Er vertritt die Position, dass man zwar nicht von sich aus Gewalt ausüben sollte, aber das Recht auf Selbstverteidigung habe und dies ein notwendiges Mittel sei. Mit seinen Positionen und seinem Kampfgeist attraktivierte er viele unzufriedene Schwarze.
Doch seine zunehmende Kritik am Führerkult der NOI und sein wachsender internationalistischer Horizont – besonders nach seiner Pilgerreise nach Mekka – führten zum Bruch mit der Organisation. Er wurde verfolgt und geächtet. Als El-Hajj Malik El-Shabazz entwickelte er ein radikales politisches Programm, das die Unterdrückung Schwarzer nicht nur als US-amerikanisches Problem, sondern als globales Menschenrechtsverbrechen begriff – verbunden mit dem Aufruf an die Vereinten Nationen, das koloniale Erbe des Rassismus zu verurteilen. Er zweifelte die Idee des Schwarzen Separatismus an und öffnete sich der Zusammenarbeit mit Martin Luther King, den er vorher seines Integrationismus wegen verspottet hatte.
Diese politische Position und Entschlossenheit machten ihn zum Feindbild der Herrschenden in den USA. FBI, CIA und das New York Police Department (NYPD) hatten ihn längst ins Visier genommen. Am 21. Februar 1965 wurde er während einer Rede in Harlem erschossen – in einem von Agenten durchsetzten Raum, unter den Augen des Staates.
Die darauffolgenden Prozesse dienten weniger der Aufklärung als der Vertuschung. Zwei Unschuldige – Muhammad Abdul Aziz und Khalil Islam – wurden 1966 zu lebenslanger Haft verurteilt. Erst 2021, nach über 20 Jahren Gefängnis und Jahrzehnten der Verleugnung, wurden sie rehabilitiert – angestoßen durch die Netflix-Dokumentation Who Killed Malcolm X?, die massiven öffentlichen Druck erzeugte. Inzwischen wurden sie und die Familie des 2009 verstorbenen Islam mit 36 Millionen US-Dollar entschädigt – ein symbolischer Akt, der die politische Verantwortung der US-Behörden jedoch nicht annähernd anerkennt.
Im Januar 2025 berichtete die Amsterdam News von einem Gesetzesvorhaben im Bundesstaat New York, das endlich Licht in diesen Cold Case bringen soll. Der Malcolm X Unsolved Civil Rights Crime Act, eingebracht von Stadträtin Nantasha Williams und Senator James Sanders Jr., soll eine neue offizielle Untersuchung ermöglichen – ähnlich wie der Emmett Till Antilynching Act, der 2022 auf Bundesebene verabschiedet wurde. Senator Sanders, selbst von Malcolm X politisiert, will damit einen Schritt zur historischen Gerechtigkeit setzen.
Doch der Kampf um Wahrheit geht weit über symbolische Gesetze hinaus. Im Herbst 2024 reichten Malcolm X’ Töchter, unterstützt von Bürgerrechtsanwälten wie Ben Crump und Flint Taylor, eine Klage gegen CIA, FBI und NYPD ein. Zeugenaussagen zufolge war das Attentat staatlich vorbereitet: Malcolm X’ Leibwächter wurden kurz vor der Tat willkürlich verhaftet und durch Undercover-Agenten ersetzt. Einer dieser Agenten, so der Vorwurf, sei ein ehemaliger Marinesoldat gewesen, der die Ermordung koordinierte.
Was sich hier zeigt, ist kein „Einzelfall“, sondern Teil eines systemischen Vorgehens gegen revolutionäre, antikapitalistische Kräfte in den USA. Der Mord an Malcolm X reiht sich ein in die staatlich orchestrierten Angriffe auf die Black Panther Party, auf Fred Hampton, auf Paul Robeson, auf Angela Davis und unzählige andere. Die US-Geheimdienste führten unter dem Namen COINTELPRO einen offenen Krieg gegen schwarze und linke Organisationen – ein Krieg, dessen Auswirkungen bis heute spürbar sind.
Malcolm X war nicht nur eine Stimme der Schwarzen in den USA. Er war ein revolutionärer Internationalist, der den Zusammenhang von Rassismus, Kapitalismus und Imperialismus erkannt und benannt hat. Seine Ermordung war ein politischer Akt – getragen von einem System, das bis heute von der Spaltung, Ausbeutung und Unterdrückung der Mehrheit profitiert.
60 Jahre später bleibt der Kampf um Wahrheit, Gerechtigkeit und Befreiung aktuell. Nicht nur in den USA, sondern weltweit. Die Forderung muss lauten: volle Offenlegung aller staatlichen Dokumente, juristische Konsequenzen für die Verantwortlichen, Anerkennung des systemischen Rassismus – und vor allem: die Fortführung des revolutionären Erbes von Malcolm X in den heutigen Kämpfen gegen Faschismus, Imperialismus und kapitalistische Ausbeutung.
Malcolm X sagte einst: »You can’t have capitalism without racism.« Seine Analyse ist aktueller denn je.