Mit Gerd Müller starb am vergangenen Sonntag der beste Strafraumstürmer der Fußballgeschichte. Mit seinen Toren ermöglichte er dem FC Bayern München den Aufstieg zur Spitzenmannschaft der BRD.
München. Geboren wurde Gerhard „Gerd“ Müller am 3. November 1945 in der bayerisch-schwäbischen Kleinstadt Nördlingen. Es war damals erst ein halbes Jahr seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa und des deutschen Faschismus vergangen, Bayern war US-Besatzungszone. Müllers Eltern kamen kaum über die Runden, der Vater arbeitete als LKW-Fahrer, die Mutter als Reinigungskraft: Die Familie lebte in ärmlichen, einfachen und bildungsfernen Verhältnissen. Für ihr jüngstes von fünf Kindern reichte es nur für eine nach heutigen Maßstäben recht kurze Schuldbildung, mit 14 Jahren hatte Gerd die Hauptschule abgeschlossen, um danach eine Weberlehre zu absolvieren. Zu dieser Zeit hatte er jedoch bereits mit dem Fußballspielen begonnen – zunächst auf der Straße, ab 1958 beim Nachwuchs des TSV Nördlingen.
Schon in den Jugendmannschaften zeichnete sich Müller durch eine schier unglaubliche Torquote aus, weswegen er zum Inbegriff des Strafraumstürmers werden sollte: In der Saison 1962/63 erzielte er in der A‑Jugend 180 von insgesamt 204 Toren seines Teams. 1963/64 sorgte er mit 47 Toren in 28 Spielen für den Landesligaaufstieg der Nördlinger Kampfmannschaft. Das erregte natürlich Aufsehen und Begehrlichkeiten, auch wenn das Scouting damals noch nicht so professionell betrieben wurde wie heute: Der TSV 1860 München, seinerzeit noch der erfolgreichere Verein aus der bayrischen Landeshauptstadt, bemühte sich um den 17-Jährigen, doch das Rennen machte der FC Bayern, obwohl dieser die Teilnahme an der neugeschaffenen BRD-weiten Bundesliga verpasst hatte. Am 10. Juli 1964 unterschrieb Müller beim FCB, er sollte nebenher aber auch in einem Möbelhaus arbeiten – das „zweite Standbein“ erwies sich freilich als nicht notwendig.
Goalgetter bei Bayern München
Der Trainer soll von der Neuerwerbung zunächst mäßig begeistert gewesen sein, er hielt Müller für pummelig, zu klein, unbeweglich und langsam. Am 18. Oktober 1964 ließ er den Spieler mit der Figur eines „Gewichthebers“ dennoch auflaufen – und Müller erzielte prompt sein erstes Tor. Mit insgesamt 33 Treffern im Grunddurchgang und sechs weiteren in der Aufstiegsrunde hatte er erheblichen Anteil am Aufstieg des FC Bayern aus der Regional- in die Bundesliga in der Saison 1964/65. Daher trat das Team, dem damals auch schon Franz Beckenbauer und Sepp Maier angehörten, 1965/66 erstmals in der höchsten bundesweiten Spielklasse der BRD an. Mit 14 Toren schoss Müller den FCB in der Premierensaison zum dritten Platz in der Liga – Meister wurde Lokalrivale 1860 –, außerdem wurde der Pokalbewerb gewonnen. Dies wiederum war die Grundlage, für den endgültigen Durchbruch der Bayern und Müllers in der Folgesaison: Müller sicherte sich mit 28 Treffern die Krone als Torschützenkönig der Bundesliga, international holten der FCB im Europacup der Pokalsieger den ersten europäischen Titel. Bereits 1968/69 gewann man die BRD-Meisterschaft.
Mit Udo Lattek als neuem Trainer und den Verpflichtungen von Uli Hoeneß oder Paul Breitner folgten in den 1970er Jahren die bis dahin erfolgreichsten Jahre von Bayern München, an denen Müller maßgeblichen Anteil hatte: Er selbst erzielte für den FCB bis 1979 nicht weniger als 735 Tore in 795 Pflichtspielen, darunter 365 Bundesliga-Tore (in 427 Matches) – dies bedeutete siebenmal die Auszeichnung als erfolgreichster Goalgetter der Liga. Der Schnitt von 26,07 Treffern pro BL-Saison ist bis heute Rekord. Der Topwert von 40 Toren in einer Meisterschaftssaison (1971/72) wurde erst in der letzten Runde der vergangenen Saison von Robert Lewandowski übertroffen. 1970 und 1972 erhielt Müller den „Goldenen Schuh“ für den besten Torschützen Europas. All dies machte sich auch für den Verein bezahlt: Mit Müller feierte der FCB vier Meistertitel (1969, 1972, 1973, 1974), ebenso viele Pokaltitel und v.a. auch dreimal den Gewinn des europäischen Meistercups (heute: Champions League), nämlich von 1974 bis 1976, als man schließlich auch den Weltpokal holte.
Nationalmannschaft und Karriereende
Als bester Stürmer des BRD wurde Müller natürlich auch in die Nationalmannschaft einberufen und konnte auch hier reüssieren: In 62 Spielen im DFB-Trikot erzielte er 68 Tore – eine Quote, die ihresgleichen sucht und wohl niemals übertroffen wird. Müller war Torschützenkönig der Weltmeisterschaft 1970 und der Europameisterschaft 1972 – auch dies schlug sich für das Team nieder: 1970 wurde die BRD WM-Dritter, 1972 Europameister und 1974 (trotz der Vorrundenniederlage gegen die DDR) Weltmeister, mit dem entscheidenden Tor durch Müller im Finale gegen die Niederlande. Nach dem Triumph bei der WM-Endrunde im eigenen Land verkündete Müller jedoch im Alter von erst 28 Jahren seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft, wofür private Gründe ausschlaggebend waren – dies wirkte sich negativ auf das DFB-Team aus, denn mit Müller hätte die BRD 1978 in Cordoba gegen Österreich vielleicht doch eine Chance gehabt…
1979 ging Müllers Spielerkarriere auch beim FC Bayern München zu Ende: Er wechselt in die neue Profiliga der USA, wo auch Pelé, Beckenbauer und George Best kickten, und spielte noch drei Saisonen für die Fort Lauderdale Strikers: Die Torquote von 38 Treffern in 71 Spielen konnte sich immer noch sehen lassen, für einen Titelgewinn reichte es jedoch nicht mehr. Auch ansonsten sollen Müller und seine Gattin Uschi in Florida nicht rundum glücklich gewesen sein, wozu mangelnde Englischkenntnisse, aber wohl auch leichte Fitnessdefizite Müllers beitrugen. Am 11. August 1981 beendete Gerd Müller im Alter von 35 Jahren seine aktive Karriere als Profifußballer. Bis 1984 verblieb er jedoch in den USA und führte dort ein Restaurant. Allerdings fand sich Müller in der Rolle als „Promi-Gastgeber“ nicht ganz zurecht, weswegen er mit seiner Familie wieder nach München zurückkehrte.
Krankheit und Andenken
Anhaltende Alkoholprobleme führte 1991 zu einer „Intervention“ seiner früheren FCB-Kollegen Beckenbauer und Honeß, nach Abschluss einer Entziehungskur wurde er 1992 beim FC Bayern als Assistenztrainer der zweiten Mannschaft bzw. der Amateure engagiert. Diesen Job konnte er bis 2014 ausüben. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich bereits eine Alzheimererkrankung bemerkbar gemacht, die im Oktober 2015 in einer Erklärung des FCB offiziell bestätigt wurde. Der Verein organisierte eine professionelle medizinische Betreuung, zuletzt lebte Müller in einem Pflegeheim. Nun starb er im Alter von 75 Jahren am 15. August 2021. Er hinterlässt seine Frau Uschi, mit der er seit 1967 verheiratet war, eine Tochter und einen Enkelsohn.
Gerd Müllers Andenken wird noch lange Zeit erhalten bleiben – man ist geneigt zu sagen: „für immer“. Denn viele seiner Rekorde werden unerreichbar bleiben, wenngleich manche dadurch übertrumpft wurden und werden, dass heutzutage mehr Spiele stattfinden: So ist z.B. Lionel Messi der einzige Spieler, der in einem Kalenderjahr mehr Pflichtspieltore als Müller erzielt hat, nämlich 91 (2012). Allerdings benötigte der Argentinier dafür 69 Matches, Müller hingegen traf 1972 in lediglich 60 Spielen 85 Mal, womit die Quote eine höhere ist. Ohnedies für alle Zeiten im Fußballgedächtnis eingraviert ist Müller Spielstil: Auf einem vermeintlichen körperlichen Defizit basierte sein Erfolg: Die relativ kurzen Beine und der tiefe Schwerpunkt machten ihn zum besten Strafraumstürmer der Geschichte – seine erstaunliche und überraschende Wendigkeit, die rasche Drehung, wenn er mit dem Rücken zum Tor stand, der Torinstinkt aus und in allen Lagen und Positionen stellten jede Abwehr vor unlösbare Probleme und waren sein Markenzeichen. Jeder weiß, was Messi, CR7 oder Lewandowski machen, wenn sie am Ball sind, aber man konnte nie so genau antizipieren, was Müller machen würde – außer einem Tor natürlich, denn nur das war sicher. Und so ist der Beiname als „Bomber der Nation“ vielleicht etwas zu martialisch und v.a. bezüglich des Spielverständnisses unzutreffend, doch die Statistiken, Rekorde und Erfolge sprechen für sich.
Quelle: ORF