HomeFeuilletonWissenschaftFree Willy schlägt zurück

Free Willy schlägt zurück

Zuletzt mehrten sich Berichte über Schwertwalattacken auf Schiffe vor der europäischen Atlantikküste – in diesen interspezifischen Konflikt dürfte sich der Mensch selbst hineinmanövriert haben.

Spanien/Nordatlantik. Klingt ein bisschen nach B‑Movie aus dem Tierhorrorgenre, doch der britische „Guardian“ beharrt darauf: In den vergangenen Wochen seien mehrmals Schiffe und Boote vor der spanischen Küste von Schwertwalen angegriffen worden. Dies wäre in der Tat recht ungewöhnlich, aber es handelt sich um gleich mehrere Berichte von unerfreulichen Begegnungen zwischen dem Meeressäugetier Orcinus orca und dem eher landaffinen Homo sapiens, der an sich auf dem Meer weniger verloren hat, sich dort aber trotzdem herumtreibt und breit macht. Jedenfalls: Mehrere Segelyachten, Fischerboote und sogar ein Marineschiff sollen vor der Atlantikküste Spaniens zum Ziel von gezielten und orchestrierten Schwertwalattacken geworden sein. Mit all ihrem bis zu sieben Tonnen schweren Gewicht rammten die Wale in diesen Fällen wiederholt und über einen längeren Zeitraum den Schiffsrumpf, verfolgten und drehten die Fahrzeuge um bis zu 180 Grad, zerstörten Schiffsruder und setzten Motoren außer Betrieb – einige Schiffe trieben sodann hilflos umher und mussten abgeschleppt werden. An Bord trugen Besatzungsmitglieder durch die Wucht des Aufpralls Blessuren davon. Aber immerhin: Gefressen wurde niemand.

Intelligenter und organisierter Spitzenprädator

Nicht selbstverständlich, denn der Schwertwal ist der unangefochtene Spitzenprädator des marinen Ökosystems, d.h. er steht – weltweit in allen Ozeanen – ganz oben in der Nahrungspyramide. Er hat selbst keine Fressfeinde, ist aber ein überaus gut organisierter, intelligenter und kräftiger Räuber, der auch in koordinierten, spezialisierten und miteinander kommunizierenden Gruppen auf die Jagd geht (oder vielmehr schwimmt). Auf diese Weise stehen auf seinem Speiseplan nicht nur Fische, sondern auch Robben, Pinguine, andere Wale und Delfine sowie sogar Haie. Von daher rührt übrigens die trotzdem ein wenig diffamierende Bezeichnung „Killerwal“ (niemand betitelt Löwen als „Killerkatzen“). Zu den besonders bemerkenswerten Fähigkeiten des Orcas gehört es, Beutetiere auf Eisschollen aufzuspüren, diese umzukippen oder zu zerbrechen, um das darauf befindliche Zielobjekt ins Wasser zu werfen, wo es kein Entkommen mehr gibt. Trotzdem ist nicht anzunehmen, dass die nunmehrigen Attacken auf Schiffe und Boote dem Ansinnen geschuldet waren, auch Menschen dem Menü hinzuzufügen, wenngleich das interspezifische Verhältnis ohnedies belastet ist: Viele Schwertwale wurden und werden in menschliche Gefangenschaft verschleppt.

Kampf um Nahrungssicherheit?

Viel eher dürfte es sich hintergründig um eine konflikthafte Konkurrenzsituation handeln, zumal Forscher davon ausgehen, dass die gegenwärtig aggressive Population gestresst sei. Vor allem im Sommer und Frühherbst gehen die Schwertwale vor der spanischen, portugiesischen und französischen Küste immer auf konzentrierte Thunfischjagd, da sich diese hier jedes Jahr vermehrt sammeln. Die Orcas scheinen nun gelernt zu haben, dass menschliche Fischereiflotten die Schwärme nicht nur massiv ausdünnen, sondern mit industriellen Methoden regelrecht ganze Meeresgebiete leerfischen. Anders gesagt: Die kapitalistische Ausbeutung der Meere und die maßlose Überfischung bedrohen die Nahrungssicherheit und Lebensgrundlage der Schwertwale – wie es freilich auch die Verschmutzung der Ozeane durch den Menschen tut. Letzterer Kontext dürfte den erstaunlich klugen Säugetieren zwar nicht einsichtig sein, doch wer die Fische klaut, ist offenbar kein Geheimnis mehr, und Schwertwale sind auch in der Lage, untereinander solche Informationen weiterzugeben. Schiffe und Boote wurden wohl als potenzielle „Nahrungskonkurrenten“ erkannt und sollen nun aus den Jagdgründen vertrieben werden. Die Botschaft der Orcas erscheint eindeutig: Die Fische gehören uns – Menschen raus aus unserem Lebensraum!

Quelle: The Guardian

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