Atlanta/Heidelberg. Die Risikofaktoren für Krebserkrankungen lesen sich wie eine Liste der gängigsten Neujahrsvorsätze: weniger rauchen, abnehmen, weniger Alkohol trinken, mehr Sport treiben und sich gesünder ernähren. Eine Studie der American Cancer Society hat genau diese Faktoren in den Fokus gerückt und deren Einfluss auf die Krebsentstehung untersucht.
Laut der Untersuchung sind bei US-amerikanischen Erwachsenen ab 30 Jahren etwa 40 Prozent der Krebserkrankungen auf beeinflussbare Risikofaktoren zurückzuführen. Zu den hauptsächlichen Verursachern zählen Rauchen, Übergewicht, Alkohol, Bewegungsmangel, der Konsum von rotem und verarbeitetem Fleisch sowie eine zu geringe Aufnahme von Obst, Gemüse, Ballaststoffen und Kalzium. Auch zu viel UV-Strahlung und krebserregende Infektionen wie Hepatitis‑B oder HPV, gegen die Impfungen möglich sind, gehören zu den vermeidbaren Faktoren. Das liest sich fast wie eine Schuldzuweisung: Was die Naturwissenschaftlerinnen und ‑wissenschaftler nämlich aussparen, sind die gesellschaftlichen Faktoren, die diese Krebsrisiken hervorbringen. Und das ist eben auch der Kapitalismus. Man könnte argumentieren, dass dies nicht ihre Aufgabe ist. Doch diese individualisierte Schuldzuschreibung, die auf Lebensstile abzielt und den Kapitalismus als deren Ursprung ausklammert, macht Einzelpersonen zu Schuldigen, nicht das System und greift damit zu kurz.
Viele Krankheiten dieser Zeit sind eng mit unserem Produktionssystem verbunden oder haben ihren Ursprung in diesem. Der Profit geht eben vor Gesundheit. Das zeigt sich beispielsweise in der Debatte um die Gesundheitsrisiken von hoch verarbeiteten Lebensmitteln. Was nicht heißen soll, dass wir nur noch Hülsenfrüchte oder Ähnliches essen sollen. Vielmehr soll das Beispiel verdeutlichen, dass im Kapitalismus nicht gesundes Essen für alle im Vordergrund steht, sondern der Profit – oft auf Kosten der Gesundheit.
Auch die Pharmaindustrie, Kosten und die Verfügbarkeit von Medikamenten und Impfstoffen, die ebenfalls der Profitlogik folgen, tragen erheblich zu ungleichen Gesundheitsrisiken bei, sowohl national als auch global. Die Reihe der Beispiele ist beliebig erweiterbar.
Gesünder leben, Risiko senken
Individuell kann jeder sein Krebsrisiko senken, indem er gesünder lebt, betont Ute Mons, Leiterin der Abteilung Primäre Krebsprävention im Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ). Es sei nie zu spät, mit einem gesünderen Lebensstil zu beginnen. Dennoch gehört auch die Erkenntnis dazu, dass ein gesunder Lebensstil keine Garantie gegen Krebs bietet. Ein gewisses Maß an Zufall spielt immer eine Rolle. Doch ungesundes Verhalten erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass im Körper etwas schiefgeht, so Mons. Damit vermitteln die Forschenden den Eindruck, dass jeder Mensch sein Schicksal fast ganz allein in der Hand hat und der Rest Zufall sei. Das erinnert an die Diskussion um den Klimawandel, die ebenfalls oft zu einer Lebensstil- statt einer Systemfrage gemacht wird. Die Schuldigen sind dabei meist schnell ausgemacht: Je ärmer, desto schlimmer. Die Arbeiterklasse wird zum Problem erklärt, nicht das System.
Auch das Gesundheitssystem spielt in diesem Zusammenhang keine positive Rolle. Prävention und ganzheitliche Behandlungsformen passen oft nicht in das kapitalistische Gesundheitssystem. Die Studie zeigt somit nicht nur eindrücklich, wie groß der Einfluss von Lebensgewohnheiten auf die Gesundheit ist, sondern vielmehr, wie das System uns künstlich krank macht.
Quelle: ORF