HomeFeuilletonZum 12. Februar 1934: Friedrich Wolfs „Floridsdorf“

Zum 12. Februar 1934: Friedrich Wolfs „Floridsdorf“

Gastautor Peter Goller, geb. 1961, Univ.-Doz. Dr. und Archivar an der Universität Innsbruck

Mit den „Matrosen von Cattaro“ hat Friedrich Wolf 1930 an den sozialrevolutionären Antikriegskampf der österreichischen Arbeiterklasse im Jänner/Februar 1918 erinnert.

Wolf baute auf Bruno Freis Dokumentation über die „roten Matrosen von Cattaro“ (1927) auf, mit einer Gedenkwidmung: „Am 11. Februar 1918, 6 Uhr früh, wurden an der Friedhofsmauer von Skaljari bei Cattaro als Rädelsführer der Flottenrevolte wegen Empörung nach § 157 des österreichischen MStG standrechtlich erschossen: der Bootsmannsmaat Franz Rasch, der Deckmatrose Anton Grabar, der Geschützmeister Jerko Sisgoric, der Geschützmeister Mate Bernicevic.“

Ende 1933 kam Friedrich Wolf auf der Flucht aus Deutschland durch Wien. Er sieht die Armut, das Massenelend, den auftrumpfenden Heimwehrfaschismus, die trotz „Illegalität“ um sich greifende Nazidemagogie, aber kaum sozialistischen Widerstand.

In Moskau erfährt Wolf vom Februar-Aufstand der Schutzbundarbeiter. Auch für Wolf ist es die erste große proletarische Klassenschlacht in Europa seit der faschistischen „Machtergreifung“ in Deutschland. Eine Fahrt nach Wien ist nicht möglich, aber in die Sowjetunion emigrierte Schutzbündler berichten Friedrich Wolf für sein „Schauspiel von den Februarkämpfen der Wiener Arbeiter“: „Ich kam Ende 1933 als Emigrant durch Wien und sah dort schon Massen halbnackter Bettler im Novemberwind in der vornehmen Kärntner Straße und am Ring, ich sah die leeren Hotels, die herumstolzierenden faschistischen ‚Hahnenschwänzler‘ des Grafen Starhemberg, ich sah keine einzige ‚linke‘ Zeitung in den Kiosken, dagegen überall Verbotsplakate … Gewitterluft. Als dann zwei Monate später, am 13. Februar 1934, in der ‚Prawda‘ stand: Barrikaden in Wien, da wollte ich gleich hinfahren. Leider ging das nicht. (…) Ich habe dann etwa drei Monate Dutzende von Schutzbündlern, besonders die Kämpfer von Floridsdorf – dem XXI. Stadtteil, dem Industriezentrum von Wien – konsultiert.“

So Friedrich Wolf 1935 in einem Begleitwort zur Uraufführung in Moskau, 18 Jahre später notiert er 1953 aus Anlass der deutschen Erstaufführung am Staatstheater in Dresden: „Als im Februar 1934 die Wiener Arbeiter in bewaffnetem Aufstand gegen den Staatsstreich der klerikalen Dollfuß-Regierung sich erhoben, da hielten wir Antifaschisten in allen Ländern den Atem an. Zum erstenmal während der Hitlerperiode griffen Arbeiter in organisiertem Widerstand zu den Waffen – die Wiener, Linzer, Grazer Arbeiter, die sich seit Jahren im Schutzbund organisiert hatten. In Wien selbst, wo schwere Straßenkämpfe tobten und die Dollfuß-Truppen mit Geschützen in die Arbeiterquartiere schossen, verteidigte die Arbeiterschaft des Stadtteils Floridsdorf in einer dreitägigen Schlacht ihre Wohnblocks. Diese stark bewaffnete Einheit nannte sich mit Stolz das ‚Erste Arbeiterregiment Karl Marx‘.“ 

Neben dem Kollektiv der Schutzbundkämpfer lässt Friedrich Wolf drei Grundtypen auftreten:

  • einen den Untergang der Sozialdemokratie „austromarxistisch“ verschleiernden Otto Bauer als Vertreter einer reformistisch zaudernden, legalistisch an bürgerlich parlamentarischen Illusionen festhaltenden Parteiführung,
  • die literarische Figur des parteitreuen, auf die Scheinmacht des „Roten Wien“ setzenden Floridsdorfer Betriebsrates Schani Hölzl mit seiner Hoffnung auf einen „friedlichen Weg“ zum Sozialismus,
  • und den 1933 zum Schutzbund zurückgekommenen, auch die Einheitsfront von unten mit den Kommunisten nicht scheuenden Feuerwachekommandanten Georg Weissel.

In einem Kellerabteil des Schlingerhofs versammeln sich Anfang 1934 einige Schutzbündler. Sie sind über das ständige Wegducken der Sozialdemokratie verärgert: „Als der Dollfuß, der kleine Dreck, unsre Abgeordneten [im März 1933 – Anm.] auseinandergejagt hat (…) Das war Nummro 1 und drei Wochen später, im April, als er unsern Schutzbund aufgelöst, das war Nummro 2, und wir haben immer noch ‚gewartet‘ (…) Jawohl, immer, wenn so ein Mordshieb von dem Dollfuß auf uns niederging und wir haben gewartet, dann hab ich ‘nen Nagel reingeschlagen in den [Revolver-] Griff: hier Nummro 3 für den letzten Oktober, als unsre ‚Arbeiterzeitung‘ verboten wurde, und da Nummro 4 für den Dezember nach dem Versammlungsverbot (…) Und die Besetzung unsrer Parteihäuser in Tirol, letzte Woche, das war wohl nix (…) Die Verhaftung unsrer Funktionäre in Schwechat …“ 

Schani Hölzl, der Typ des respektierten und verdienten Vertrauensmannes, 1918 sogar roter Matrose in Cattaro gewesen, nun parteidisziplinierter Betriebsrat im Gaswerk, beobachtet hingegen seit Monaten mit Misstrauen die parteilinke Opposition. Sie scheint ihm mit ihren ständigen Rufen nach dem Generalstreik und nach bewaffnetem Widerstand die Errungenschaften eines idyllischen, in Wirklichkeit brüchigen kommunalen „Wohnbausozialismus“ zu gefährden. Auch die Existenz einer – zum Schein – mächtigen Parteiorganisation sieht Hölzl durch „linke Nörgeleien“ leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Hölzl trägt nicht zufällig als Parteikassier seine Mitgliederkartothek „wie ein Palladium“ vor sich her. Vor 1918 haben wir in Löchern gewohnt, jetzt haben wir die schönen Wohnbauten, wollt ihr das gefährden, schreit er junge Schutzbündler an: „Oder ist das vielleicht nichts: der Karl-Marx-Hof, der Goethehof, der Lassallehof und hier unser Schlingerhof mit ihren Zehntausenden lichten Arbeiterwohnungen, Schulen, Kindergärten, Bädern und Versammlungsräumen! Jawohl, Genossen, das sind die Symbole und sichtbaren Hochburgen eines Sozialismus ohne Blut und Tränen.“ In den Februartagen wird Schani, der sich nun doch mit den Kämpfenden solidarisiert, von Gendarmen schwer misshandelt.

Den Angriffen auf die sozialen Rechte der Eisenbahner und auf die bürgerlich demokratische Verfassung, der Liquidierung des Parlaments, der fortschreitenden Formierung der austrofaschistischen Diktatur, den Umtrieben von Dollfuss als einem verkommenen Louis Bonaparte von Österreich – wie Jura Soyfer dies formuliert – setzt die Sozialdemokratie bestenfalls hilflose Geschäftsordnungskniffe und „scharfe Töne“ entgegen.

Friedrich Wolf lässt Otto Bauer am 15. März 1933 eine Arbeiterdelegation aus dem Schlingerhof abwimmeln. Die Arbeiter, die schon ihre eingemauerten Waffen hervorgeholt haben, fordern „klare Parolen, ob Generalstreik“, ob „der Schutzbund marschiert“. Für Otto Bauer reinste „Tollhäuslerei“ und kommunistische „Barrikadenromantik“: „[Der Schutzbündler Heinz zu Otto Bauer]: „Also … sollen wir die Maschinengewehre wieder vergraben? [Otto Bauer]: Wer hat euch befohlen, sie herauszuholen?! Die Partei hat euch heute gezeigt, wie man mit parlamentarischen Mitteln den Gegner vernichtet, die Partei war und ist weiter bereit zu kämpfen, aber, Genossen, nicht mit der Idee der Gewalt, sondern mit der Gewalt der Idee! Die Partei kämpft mit geistigen Waffen!“ Empört hierüber zerreißt ein alter Schutzbündler sein Parteibuch.

Der Floridsdorfer Feuerwachekommandant Georg Weissel wird von Wolf als Gegenfigur zu Otto Bauer konzipiert. Weissel war „nach dem Juli 27, nach der Sache am Justizpalais aus der Partei ausgetreten“, da er im Schutzbund nur mehr eine biedere Exerziertruppe im Dienst eines zu keinem sozialen Widerstand bereiten Parteivorstandes erkennen konnte. 1933 kehrt er wieder zum Regiment „Karl Marx“ zurück. Weissel erkennt die Schwächen einer sich auf die Verteidigung von Gemeindebauten einbunkernden Schutzbundtaktik. Weissel empfiehlt seinen Genossen – so wie Theodor Körner – den Kampf „in kleinsten Einheiten, gruppenweise, in Fünfer‑, Dreier- und Zweiergruppen“ zu führen: „Schon 1905 haben die Moskauer Arbeiter die ‚neue Barrikadentechnik‘, die Taktik des Partisanenkampfes entwickelt.“

Der Schutzbund muss sich neben der Sicherung der rückwärtigen Linien, also dort wo das Floridsdorfer Polizeikommissariat zu einem Hinterhalt des weißen Terrors hochgerüstet worden war, offensiv auf die Sicherung der Donaubrücken, der lokalen Bahnhöfe zwecks Unterbindung von Truppentransporten, auf Angriffe Richtung Bisamberg mit seinen Sendeanlangen und mit den unzähligen Militärbunkern konzentrieren, von Friedrich Wolf so dargestellt:
„[Der Schutzbundkommandant Heinz:] Also, Genosse Weissel, gleich konkret! Du weißt ja – wir sprachen schon oft davon -, der Plan der Schutzbundzentrale geht bloß auf Verteidigung unsrer Wohnhäuser. Ich sprach dir von unserm Gegenplan. Aber jetzt, da du zu uns gehörst, müssen wir deutlicher sprechen. Es sind da wichtige Objekte in unserm Plan, Angriffsobjekte, Punkte von größter Bedeutung: Wir müssen unbedingt den Bisamberg besetzen mit seinem Sender und seinem Artilleriestandplatz.

[Weissel:] Wenn dort auch noch das Munitionsdepot ist, so müssen gleich in der ersten Minute eins bis zwei harte Bataillone von uns auf diesen Punkt geworfen werden …

[Der Schutzbündler Karl:] Auch gegen den Nordbahnhof, gegen Panzerzüge und Truppentransporte …

[Heinz:] Und gegen die Floridsdorfer Brücke zum XX. Bezirk, zur Verbindung mit dem Karl-Marx-Hof und zum Vormarsch in die Innenstadt …

[Weissel:] Ausgezeichnet. Aber Genossen, bedenkt auch die rückwärtige Verbindung, das Polizeikommissariat, das wie eine fette Spinne in unserm Zentrum liegt und das alle unsre Fäden zerreißen oder verwirren kann; auch dies Kommissariat müssen wir in der ersten Viertelstunde des Vorstoßes nehmen – Hat jemand Papier. (…)

Das Kommissariat, da zwischen Brünner und Prager Straße, dies Polizeikommissariat ist der wichtigste Punkt in Floridsdorf. Ich kann [zeichnet] von meiner Feuerwache aus beobachten, wie an unruhigen Tagen ganze Züge und Überfallkommandos drin verschwinden; wisst ihr wo? In einem unterirdischen Tunnel, einem Kanal, der bis zu meiner Feuerwache führt. Diese bewaffneten weißen Kommandos aber in eurem Rücken wären eine enorme Gefahr.“

Friedrich Wolf lässt den Gefangenen Georg Weissel – am 14. Februar 1934, einen Tag vor seiner Ermordung – vor dem Standgericht in einer Weise auftreten, die an Georg Dimitroffs Verhalten im Leipziger Reichstagsbrandprozess erinnert: „Es ist Ihnen gewiss ebenso bekannt, Herr Vorsitzender, dass die Regierung seit März 1933 ein dutzendmal die Verfassung gebrochen hat, dass sie das Parlament verjagte, Arbeiterorganisationen zerschlug, Betriebsräte verhaften ließ, dass die Überfälle der Heimwehrler auf Arbeiterhäuser sich mehrten. (…) Die Instruktionen der Parteileitung … die hießen: Abwarten, solange bis der Dollfuß und die Heimwehrler den letzten Funktionär und Betriebsrat verhaftet und das letzte Parteihaus umgestülpt hatten. (…) Es lebe das kämpfende und siegende Proletariat!“

  • Friedrich Wolf: Floridsdorf. Ein Schauspiel von den Februarkämpfen der Wiener Arbeiter [1934/35], in derselbe: Gesammelte Werke 4, Aufbau-Verlag, Berlin 1960, 5–122, hier 14f., 25f., 30–33, 38, 45,103f., 111.
  • Friedrich Wolf: Meine Arbeit an „Floridsdorf“ (1935), in derselbe: Gesammelte Werke 15, Aufbau-Verlag, Berlin-Weimar 1967, 453–456.
  • Friedrich Wolf: Weshalb schrieb ich „Floridsdorf“? (1953), in derselbe: Gesammelte Werke 16, Aufbau-Verlag, Berlin-Weimar 1968, 482–484.
  • Werner Jehser: Friedrich Wolf. Sein Leben und Werk, Berlin 1982, 128–145.
  • Arnold Reisberg: Februar 1934, Wien 1974, 33–36.
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