Gastbeitrag von Gerhard Oberkofler, geb. 1941, Dr. phil., Universitätsprofessor i. R. für Geschichte an der Universität Innsbruck.
Der Wiener Engelbert Broda (1910–1983) hat als Kommunist Österreich nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht 1938 verlassen müssen. Als Asylant in Großbritannien, wo er am 10. April 1938 angekommen ist, hat er in der britischen Kernenergieforschung mitgearbeitet. Im Frühsommer 1947 ist Engelbert Broda nach Wien zurückgekehrt. Als international beachteter Spezialist für die Chemie radioaktiver Stoffe hat er sich an der Universität Wien mit der Erforschung der Lebensprozesse mit den Methoden der physikalischen Chemie befasst. Im Heute wird Engelbert Broda in der österreichischen Medienwelt mehr oder weniger als „Atomspion“ für die Sowjetunion, der er im Interesse einer auf den Weltfrieden hin orientierten Nachkriegsordnung war, diskriminiert. Sein Lebenswerk galt der Wissenschaft und dem friedlichen Zusammenleben der Menschen. Die Perspektive einer möglichen Weltregierung in gegenseitiger Übereinstimmung der Völker hat Engelbert Broda angesprochen.
Insbesondere und immer wieder hat Engelbert Broda gegen die Atomrüstung mobilisiert. Was ein Atomkrieg, der in der Gegenwart wieder droht, für die Menschen bedeuten würde, präzisierte er 1983 in zwölf „Merksätzen“. Wir wollen diese in Erinnerung bringen, weil in den gegenwärtigen militärischen Auseinandersetzungen nirgends eine Menschlichkeit erkennbar ist, welche die Vernichtung der menschlichen Gattung durch Atomwaffen ausschließt.
Die Erstveröffentlichung dieser „Merksätze“ von Engelbert Broda erfolgte in der Zeitschrift „Fortschrittliche Wissenschaft“, Wien, Nr. 11 (1983), S. 13 f.; wiederabgedruckt in: Engelbert Broda: Wissenschaft. Verantwortung. Frieden. Ausgewählte Schriften. Hg. von Paul Broda / Gitta Deutsch / Peter Markl / Thomas Schönfeld / Helmuth Springer-Lederer. Franz Deuticke Verlag Wien 1985, S. 293 f.; über Engelbert Broda vgl. Gerhard Oberkofler / Peter Goller: Engelbert Broda. Konturen aus seinem Leben (mit Dokumentenanhang und Faksimiles). Hg. Zentralbibliothek für Physik in Wien. Wien 1993; Paul Broda: Scientist Spies: A Memoir of My Three Parents and the Atom Bomb. Matador Leicester 2011.
Zwölf Merksätze über den Atomkrieg
- In Hiroshima und Nagasaki starb während und unmittelbar nach der Katastrophe eine Viertelmillion Menschen – in Hiroshima 40 Prozent der Bewohner.
- Eine einzige strategische Wasserstoffbombe, in 5 km Höhe zur Explosion gebracht, würde in Detroit oder Leningrad 3 Millionen Menschen töten.
- Die Sprengkraft jeder der größten Wasserstoffbomben entspricht der von 6 Millionen Eisenbahnwagen an Dynamit. Die Sprengkraft einer einzigen dieser Bomben ist weit größer als die aller Waffen in allen bisherigen Kriegen der Menschheit zusammen genommen. Beim Vergleich sind Hitzewirkung und radioaktive Strahlung noch nicht berücksichtigt.
- In den Arsenalen liegen derzeit 50 bis 60 000 Atomwaffen. Die gesamte Sprengkraft entspricht 1,5 Millionen Hiroshima-Bomben. Würde jeder Sekunde, Tag und Nacht, eine solche gedachte Bombe eingesetzt, so würde es bis zur Erschöpfung der Lager zwei Wochen dauern.
- Bei der Explosion einer strategischen Wasserstoffwaffe durch Aufschlag würde eine Million an Gestein und Erdreich emporgeschleudert. Der entstehende Strahlenteppich würde eine Fläche ähnlich der eines österreichischen Bundeslandes auf Monate oder Jahre unbetretbar machen.
- Eine solche Waffen könnte ein laufendes Atomkraftwerk vollkommen verdampfen und die in ihm vorhandenen Uran- oder Plutonium-Spaltprodukte mitverbreiten. Spaltprodukte aus Kraftwerken weisen besonders lange Lebensdauer auf, so daß die radioaktive Verseuchung Dutzende und Hunderte Jahre wirksam wäre.
- Die Raketen auf einem einzigen atomaren Unterseeboot sind genügend zahlreich, um sämtliche großen und mittelgroßen Städte einer Weltmacht zu vernichten.
- Die Neutronenwaffe ist dazu bestimmt, Nervensystem und Gehirn augenblicklich zu zerstören. Davon würde in weitem Umkreis auch die Zivilbevölkerung betroffen sein.
- Ausgehend von vorgeschobenen Waffensystemen können atomare Waffen innerhalb weniger Minuten zur Explosion auf strategischen Zielen gebracht werden, beispielsweise auch durch einen ohne Warnung erfolgenden Angriff um drei Uhr früh.
- Schon in Friedenszeiten sind Tausende von Atomwaffen auf die Städte in >gegnerischen<, (zur Sicherheit) auch in neutralen oder sogar in verbündeten Ländern gerichtet. Selbst ohne Absicht muß früher oder später eine solche Waffen durch technisches oder menschliches Versagen losgehen.
- Keine der bisher durchgeführten Abschätzungen kann glaubhafte Daten über die Sekundarwirkungen eines Atomkrieges liefern. Klar ist aber, daß infolge der Zerstörung des komplizierten Netzwerkes unserer Zivilisation die meisten Menschen, die zunächst der Druckwelle, dem Hitzestoß und der radioaktiven Strahlung entgangen sind, dann dem Hunger, der Kälte, dem Schock, den Seuchen und psychischen Störungen zum Opfer fallen werden.
- Für Rüstungen werden alljährlich 500 Milliarden Dollar angelegt, 1 Million Dollar pro Minute. 40 Prozent aller Wissenschaftler und Techniker der Welt sind mit Rüstungen beschäftigt. Eine Technologie zur Zerstörung von Atomwaffen wurde bisher nicht entwickelt.