In der BRD führen Streiks in der Elektro- und Metallindustrie sowie die Ankündigung von VW-Standortschließungen zu Unsicherheit und zunehmendem Druck auf die Regierung. Die IG Metall fordert höhere Löhne, und die Beschäftigten kämpfen gegen Stellenabbau und Werksschließungen.
Berlin. Tausende Arbeiterinnen und Arbeiter haben am Dienstag mit landesweiten Streiks begonnen, um höhere Löhne zu fordern. Die Streiks der gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten in der Elektro- und Metallindustrie mit fast vier Millionen Arbeitern betrafen Unternehmen wie die Porsche AG, BMW und Mercedes.
Der Volkswagen-Konzern hat diese Woche zudem für Aufsehen in der Wirtschaftspolitik gesorgt: Die Unternehmensleitung hat die Schließung von drei Standorten angekündigt.
Auswirkungen auf die Regierung
Die sich verschlechternden Konjunkturaussichten haben den Druck auf die wackelige Koalitionsregierung von Bundeskanzler Olaf Scholz erhöht, die vor den Bundestagswahlen im nächsten Jahr am Rande des Zusammenbruchs stehen könnte, da die politischen Risse größer werden. Scholz war am Dienstag Gastgeber eines Treffens mit Wirtschaftsführern, darunter Volkswagen-Chef Oliver Blume, um Strategien zur Stärkung des deutschen Industriesektors zu diskutieren.
Ziel der dreistündigen Klausurtagung in Berlin war es, politische Maßnahmen zur Förderung des Wachstums, zum Schutz von Industriearbeitsplätzen und zur Stärkung der Position Deutschlands als globaler Industriestandort zu erörtern, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit in einer Erklärung.
Die Gespräche seien der Beginn einer umfassenderen Initiative der deutschen Regierung, deren Folgegespräche für den 15. November geplant seien, so Hebestreit weiter. Als Zeichen der Dysfunktionalität der Regierung hat der Finanzminister für denselben Tag einen weiteren Gipfel angekündigt.
186.000 Arbeitsplätze gehen bis 2035 flöten
Laut einer separaten Umfrage des Verbands der Automobilindustrie (VDA) könnte der Wandel in der deutschen Automobilindustrie bis 2035 zu einem Verlust von 186.000 Arbeitsplätzen führen, von denen etwa ein Viertel bereits verloren gegangen ist.
„Europa – und insbesondere Deutschland – verliert mehr und mehr an internationaler Wettbewerbsfähigkeit“, heißt es in dem VDA-Bericht. Deutsche Unternehmen zahlten bis zu dreimal mehr für Strom als ihre US-amerikanischen oder chinesischen Konkurrenten, während sie mit höheren Steuern und zunehmendem bürokratischen Aufwand konfrontiert seien.
Der Internationale Währungsfonds schloss sich den Forderungen nach Reformen in Deutschland an und schlug der Regierung vor, die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse aufzuheben, um Investitionen zu fördern.
IG Metall fordert siebenprozentige Lohnerhöhung
Die Streiks am Dienstag wurden von der IG Metall organisiert, die auch eine Arbeitsniederlegung während der Nachtschicht im Volkswagenwerk in Osnabrück durchführte, wo die Arbeiterinnen und Arbeiter befürchten, dass der Standort geschlossen wird.
Nach Angaben eines IG-Metall-Sprechers beteiligten sich am Dienstag rund 71.000 Beschäftigte an dem Streik, von dem rund 370 Unternehmen in ganz Deutschland betroffen waren.
Die IG Metall fordert sieben Prozent mehr Lohn als die von den Arbeitgeberverbänden angebotenen 3,6 Prozent über einen Zeitraum von 27 Monaten. Die Unternehmen halten die Forderungen für unrealistisch.
Im Werk Zuffenhausen der Porsche AG in Stuttgart legten 500 Beschäftigte in der Nachtschicht die Arbeit nieder und rund 4.000 Beschäftigte streikten anschließend in der Frühschicht, um sich einer Demonstration anzuschließen, heißt es in einer Erklärung.
Unabhängig davon steht am Mittwoch die nächste Gesprächsrunde zwischen Volkswagen und den Arbeitnehmervertretern an. Zu diesem Zeitpunkt könnten die Ergebnisse des dritten Quartals des Konzerns das Ausmaß seiner Probleme offenbaren, denn Analysten prognostizieren einen Rückgang des Betriebsergebnisses um 40 Prozent im Quartal.
In der bayerischen Stadt Ingolstadt marschierten Arbeiterinnen und Arbeiter zu dröhnenden Beats, bliesen Trillerpfeifen und schwenkten Fahnen in einem Werk von Audi, das Teil des Volkswagen-Konzerns ist.
„Es ist ein enormer Druck im Pott. Beschäftigte, Betriebsrat, IG Metall stehen zusammen und suchen nach Alternativen zum Stellenabbau und auch zu den Werksschließungen“, sagte IG-Metall-Chefin Christiane Benner bei dem Streik gegenüber Reuters.
„Wir werden versuchen, intelligente Konzepte zu entwickeln. Und wir akzeptieren nicht, dass die Beschäftigten für die Fehler des Managements zahlen sollen.“
Salzburg bleibt vorerst bestehen
In Salzburg sollen die VW-Schließungen jedoch vorerst keine Auswirkungen haben, da die Porsche Holding Salzburg als größter Autohändler Europas zu 100 Prozent im Besitz von VW ist. Die Porsche Holding vertreibt die Konzernmarken VW, Audi, Porsche, Skoda und SEAT in vielen Ländern weltweit, und die Auswirkungen der Krise in der BRD seien derzeit kaum spürbar, erklärte Hans Peter Schützinger, der Vorstandsvorsitzende der Porsche Holding in Salzburg.
Kündigungen stünden momentan nicht zur Debatte. Schützinger betonte, dies sei auch nicht nötig, da die Holding in vielen ihrer Märkte – darunter Österreich mit knapp 40 Prozent Marktanteil – als Marktführer agiere. Die Lage sei stabil und insgesamt positiv einzuschätzen.
Auch österreichischer Markt in der Krise
Der Automarkt befinde sich auch in Österreich in der Krise, betonte Schützinger. Für dieses Jahr rechne man mit rund 250.000 verkauften Neuwagen, während in guten Jahren etwa 100.000 mehr verkauft worden seien. Die Kunden seien durch die politische Lage verunsichert, und Österreich befinde sich bereits in einer leichten Rezession, was die Menschen zum Sparen zwinge, erklärte er.
40 Prozent aller neu zugelassenen Fahrzeuge in Österreich stammten aus dem VW-Konzern. Als Reaktion auf den Rückgang der Verkaufszahlen setze die Porsche Holding auf das Nicht-Nachbesetzen frei werdender Stellen. Auch die demografische Entwicklung helfe dem Unternehmen, da Personalreduzierungen durch Fluktuation, Vorruhestand und ähnliche Maßnahmen möglich seien, erläuterte Schützinger.
Die Herausforderungen in der deutschen Automobilindustrie beträfen jedoch nicht nur VW, sondern alle Hersteller, erklärte Günter Graf, Geschäftsführer des Automobilhandels Pappas in Salzburg. Besonders in Europa und speziell in Deutschland seien die Kosten hoch, etwa die Personal- und Energiekosten, führte er aus.
Hinzu komme, dass die Elektromobilität ins Stocken geraten sei. Bei der Porsche Holding liege der reine E‑Anteil bei knapp 20 Prozent, bei Mercedes sei dieser Anteil ähnlich, so Graf weiter. Außerdem drängten chinesische Automobilhersteller massiv auf den europäischen Markt, ungeachtet der Strafzölle auf chinesische Elektroautos, die die EU seit Mittwoch erhebe. Dies geschehe jedoch gegen den Widerstand der deutschen Autohersteller, die Restriktionen für deutsche Autoexporte nach China fürchteten – dem weltweit größten Automarkt.
VW kündigt stattdessen Lohnkürzung an
Volkswagen hat nun wiederum am Mittwoch seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu einer 10%igen Lohnkürzung aufgefordert und argumentiert, dies sei die einzige Möglichkeit, Arbeitsplätze zu retten und wettbewerbsfähig zu bleiben, da die Gewinne auf ein Drei-Jahres-Tief gesunken seien und die Gewerkschaften ja mit Streiks drohten. Es war die erste offizielle Bestätigung von Kostensenkungsmaßnahmen, die VW umsetzen will, um sein Schicksal zu wenden.
Arne Meiswinkel, Personalchef der Marke VW und Verhandlungsführer des Autobauers, betonte, dass eine Senkung der Arbeitskosten dringend erforderlich sei, um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, und dass auch die Belegschaft hierzu einen Beitrag leisten müsse. Am selben Tag veröffentlichte Volkswagen seine Ergebnisse für das dritte Quartal, während die zweite Runde der angespannten Verhandlungen mit den Gewerkschaften über Löhne und die Zukunft des Unternehmens begann.
Indes ist es mehr als dreist, wenn die Führungsetage eines Unternehmens, das satte Gewinne erwirtschaftet, von den Beschäftigten verlangt, selbst für die „Wettbewerbsfähigkeit“ auf einen Teil ihres Einkommens zu verzichten. Während das Management stets auf stabile Umsätze pocht, werden gerade diejenigen, die die sogenannte Wertschöpfung tagtäglich stemmen, zur Kasse gebeten. Der Ruf nach „Beiträgen der Belegschaft“ klingt da wie ein Schlag ins Gesicht der Arbeiterinnen und Arbeiter, die ohnehin mit den steigenden Lebenshaltungskosten kämpfen.