Gegen einen der ranghöchsten Generäle Großbritanniens, Gwyn Jenkins, stehen schwerwiegende Vorwürfe im Raum. Wie das BBC-Magazin Panorama berichtet, soll Jenkins in seiner Zeit als Oberst nicht nur Erkenntnisse über mutmaßliche Kriegsverbrechen von Spezialeinheiten in Afghanistan zurückgehalten haben. Es gibt zudem Hinweise darauf, dass afghanische Zeugen, die zur Aufklärung hätten beitragen können, gezielt an der Ausreise nach Großbritannien gehindert wurden. Fünf dieser Personen wurden laut Angaben des früheren Verteidigungsstaatssekretärs Johnny Mercer inzwischen von den Taliban getötet.
London/Kabul/Damaskus. Die Enthüllungen werfen ein grelles Licht auf das Vorgehen britischer Spezialeinheiten – insbesondere des Special Air Service (SAS) und des Special Boat Service (SBS) – in der afghanischen Provinz Helmand. Dort sollen zwischen 2010 und 2013 während sogenannter „capture or kill“-Missionen Dutzende Zivilisten bei nächtlichen Einsätzen getötet worden sein. Zeugenaussagen und interne Militärdokumente belegen laut BBC, dass Leichen nachträglich mit Waffen drapiert wurden, um die Erschießungen zu rechtfertigen. Unter den Getöteten soll sich auch ein Kind befunden haben.
Die unabhängige Untersuchung unter Leitung von Lordrichter Charles Haddon-Cave wurde im Dezember 2022 von Premierminister Rishi Sunak ins Leben gerufen. Aussagen von Veteranen deuten darauf hin, dass innerhalb der Elitetruppen ein regelrechter Wettbewerb um Tötungen bestand. Interne Untersuchungen beschreiben die Berichte der Soldaten als „völlig unglaubwürdig“.
Neue Enthüllungen über britische Kriegsverbrechen in Syrien
Zusätzlich zu den Vorfällen in Afghanistan geraten britische Elitesoldaten nun auch wegen möglicher Kriegsverbrechen in Syrien ins Visier der Justiz. Die Tageszeitung The Times veröffentlichte im November 2024 interne Dokumente der britischen Militärstaatsanwaltschaft (Service Prosecuting Authority, SPA), aus denen hervorgeht, dass neun SAS-Soldaten wegen ihrer Einsätze gegen mutmaßliche Dschihadisten angeklagt werden könnten. In zwei untersuchten Fällen – einer mit einem einzelnen, einer mit acht Beschuldigten – soll es zu exzessiver Gewaltanwendung gekommen sein. Der Verdacht: Die Soldaten hätten Gefangennahmen vermeiden und gezielt töten wollen.
Bereits 2023 berichtete die Daily Mail von Ermittlungen gegen fünf SAS-Angehörige, die einen unbewaffneten Mann im Schlaf getötet haben sollen. Die Soldaten gaben an, er hätte eine Sprengstoffweste tragen können – ein späterer Fund in der Nähe blieb jedoch umstritten. Offen ist, ob es sich dabei um einen der nun in den Times-Akten dokumentierten Fälle handelt.
Ein Ministeriumssprecher wies die Verantwortung pauschal zurück: „Unser britisches Personal genießt weltweit Respekt für höchste Standards – bei Verfehlungen greifen Konsequenzen bis hin zur Entlassung.“ Genauere Angaben zu laufenden Ermittlungen wurden verweigert.
Verbindung zur Afghanistan-Aufarbeitung
Die jüngsten Erkenntnisse erhöhen den Druck auf die britische Militärführung und die Labour-Regierung. Insbesondere die systematische Verhinderung von Zeugenaussagen in der Afghanistan-Untersuchung wirft Fragen zur Transparenz und Rechtsstaatlichkeit auf. General Jenkins, inzwischen in den höchsten Kreisen des Militärs angekommen, war als Nationaler Sicherheitsberater nominiert worden. Premierminister Keir Starmer zog die Ernennung im Vorjahr jedoch zurück – nicht zuletzt, weil sein Generalstaatsanwalt Richard Hermer zuvor afghanische Opfer britischer Gewalt vertreten hatte.
Die Untersuchungen zu Afghanistan und Syrien laufen parallel – und verdeutlichen die Notwendigkeit einer umfassenden und unabhängigen Aufarbeitung britischer Auslandseinsätze.
Quelle: Der Standard/jW