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EGMR weist Menschenrechtsbeschwerde zu Massaker von Kundus ab

Die Bombardierung von zwei Tanklastern in Afghanistan, die auf Befehl der deutschen Bundeswehr 2009 zu Dutzenden zivilen Todesopfern führte, war offenbar menschenrechtskonform – so zumindest ein fragwürdiges Urteil des EGMR.

Straßburg. Am 4. September 2009, recht präzise 70 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkrieges, hat das deutsche Militär den verheerendsten Angriff seit 1945 angeordnet: Auf Befehl der leitenden Bundeswehroffiziere des ISAF-Einsatzes im afghanischen Kundus bombardierten zwei US-amerikanische Kampfflugzeuge zwei Tanklastwagen, die in einer Flussfurt steckengeblieben waren. Der eine hatte Benzin, der andere Diesel geladen. Die beiden LKWs waren zuvor von Taliban-Kämpfern entführt worden, doch nachdem die Flussüberquerung gescheitert war, erschienen zivile Einheimische am Ort des Geschehens, um den Treib- bzw. Brennstoff zu bergen. Die Bundeswehrverantwortlichen forderten Luftunterstützung an, um die „Aufständischen“ zu „vernichten“ – es bestünde eine akute Bedrohungslage für die eigenen Soldaten (die acht Kilometer entfernt waren), Zivilpersonen seien keine in der Nähe, hieß es fälschlich. Obwohl die amerikanischen Bomberpiloten Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes hatten, warfen sie schließlich auf deutschen Befehl zwei Bomben auf die LKWs und die dort befindlichen Personen ab: Es gab bis zu 130 Tote, davon gut zwei Drittel Zivilisten, unter diesen wiederum Kinder und Jugendliche. Verletzte gab es nur wenige, denn es war unwahrscheinlich, die Feuerhölle durch Bombenabwürfe explodierender Tanklaster zu überleben. Man kann diesen Angriff nicht anders als mit dem Wort Massaker beschreiben.

Als kontinuierlich durchsickerte, dass hier ein Fehler passiert war oder womöglich sogar bewusst zivile Opfer in Kauf genommen worden waren, folgten Berichte, Berichtigungen und Rechtfertigungen seitens der Militärs – und der deutschen Regierung, die nur hypothetisches Bedauern äußerste. Der Versuch einer Vertuschung war angesichts einer weitreichenden medialen, öffentlichen und teilweise politischen Empörung an sich zum Scheitern verurteilt. Die US-Streitkräfte vor Ort, aber auch die afghanische Regierung Karsai, außerdem Amnesty International sowie das Internationale Rote Kreuz kamen in Untersuchungen zu dem Schluss, dass der Einsatz zu dutzenden zivilen Todesopfern geführt hatte. Selbst der BND soll die Berliner Bundesregierung dementsprechend informiert haben. Abseits zurückhaltender Selbstkritik, dem Bauernopfer von Arbeitsminister Jung und materiellen Hilfslieferungen (Mehl und Wolldecken) für die Hinterbliebenen übte sich der BRD-Staat in allen Institutionen letztlich in Abwiegelung: Die Militärs hätten nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt, es gäbe kein grobes Fehlverhalten, das berechtigte Ziel seien die Taliban-Terroristen gewesen. Kollateralschäden passieren eben. Die Bundesanwaltschaft stellte ihre Ermittlungen ein, Zivil‑, Verwaltungs- und Strafprozesse in der BRD endeten mit Freisprüchen für die Verantwortlichen, die in der Zwischenzeit durchwegs befördert wurden.

Als letzte Instanz blieb der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg – eine Einrichtung des Europarats, nicht der EU. Dort wurde die Angelegenheit seit Jänner 2016 auf Betreiben des Vaters zweier ziviler Opfer des Massakers von Kundus behandelt – und nun, am 16. Februar 2021, wurde die Menschenrechtsbeschwerde vom EGMR abgewiesen. Damit steht offenbar fest: Das größte deutsche Kriegsverbrechen seit 1945 ist keines. Für die internationale Verfolgung von Völkerrechts- und Kriegsverbrechen sowie Menschenrechtsverletzungen ist dies ein Armutszeugnis. Für den deutschen Imperialismus ist der „entlastende Freispruch“, der von den Systemmedien weitgehend bejubelt wird, indirekt ein neuer Freibrief für militärische Kampfeinsätze im Ausland – Drohnenaufklärung, Kollateralschäden und Bombardierung nach fraglichen Informationen inklusive. Für die Völker der Welt ist dies eine gefährliche Entscheidung, für den Frieden und die Sicherheit der Zivilbevölkerung, nicht nur am Hindukusch, ein Schlag ins Gesicht: Die Bundeswehrmacht darf nach Gutdünken morden, ohne dass es Konsequenzen gibt – ganz „menschenrechtskonform“ und „juristisch einwandfrei“. Deutschland ist unschuldig.

Quelle: FAZ

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