Israels andauernde Bombardierung des Gazastreifens hat einen weiteren leisen Killer auf die dort lebenden Menschen losgelassen – Asbest. Das Mineral, das durch israelische Bombardierungen in Gaza freigesetzt wurde, stellt eine langfristige Gesundheitsgefahr für die eingeschlossenen Palästinenser dar. Experten vergleichen die Asbestbelastung in Gaza mit derjenigen nach dem Zusammenbruch des World Trade Centers.
Asbest ist ein Mineral, das für den Menschen hochgradig krebserregend ist, wenn es sich verteilt und in die Atmosphäre freigesetzt wird. Im vergangenen Jahr haben die israelischen Bomben große Mengen davon in winzige Partikel in der Luft zerlegt, die bei denjenigen, die sie einatmen, auf lange oder kurze Sicht Krebs verursachen können. Dies liegt einerseits an der schieren Menge an Trümmern, die Israels Bomben hinterlassen haben, und andererseits daran, dass es sich beim Gazastreifen um ein Freiluftgefängnis handelt, aus dem lebend kein Entkommen möglich ist.
Seit einem Jahr nun führt das israelische Militär Angriffe in Gaza durch, bei denen Zivilistinnen und Zivilisten bewusst und mutwillig massakriert und die Infrastruktur zerstört werden, was die Region unbewohnbar macht. Nach Schätzungen der UN könnten rund 800.000 Tonnen der zerbombten Trümmer im Gazastreifen mit Asbest kontaminiert sein. Dies sei ein „Todesurteil“ für die in Gaza eingeschlossenen Palästinenserinnen und Palästinenser, sagte der führende Asbestexperte Roger Willey gegenüber Al Jazeera.
World Trade Center als Vergleich
Roger Willey vergleicht die terroristischen Bombardements des Staates Israel in diesem Kontext mit einem anderen wohlbekannten terroristischen Angriff: Die Asbestexposition der Menschen, die von den Folgen der israelischen Bombenangriffe betroffen waren, könne mit der Asbestexposition um das World Trade Center verglichen werden, als dieses am 11. September 2001 in New York City zusammenbrach, so Willey. Jahre später stellte sich nämlich heraus, dass giftige Chemikalien, darunter Asbest, in den Staubwolken enthalten waren. „Ich habe damals [2001] vorausgesagt, dass mehr Menschen an asbestbedingten Krankheiten sterben würden als bei den Anschlägen vom 11. September“, so Willey.
Nach Angaben des World Trade Center Health Program sind seit dem Anschlag 4.343 Überlebende und Ersthelfer an den damit verbundenen Krankheiten gestorben, verglichen mit den 2.974 Menschen, die am 11. September starben. „In Gaza wird es genau dasselbe sein“, so Willey weiter.
„Ins Auto steigen“ und „wegfahren“
Das Beste, was man tun kann, wenn Asbest aufgewirbelt wird und in die Luft gelangt, ist „ins Auto zu steigen und so weit wie möglich wegzufahren“, so Willey. Eine Lösung, die für die mehr als zwei Millionen Palästinenserinnen und Palästinenser, die in der 365 Quadratkilometer großen Enklave eingepfercht sind, einfach nicht möglich ist.
Außerdem können angemessene Aufräumarbeiten Jahre dauern und müssen von Fachleuten durchgeführt werden, sagte Willey.
„Man hat zertrümmerte Asbestteile auf dem Boden und in der Luft, die von der Explosion herrühren, und die Menschen laufen durch sie hindurch und treten sie ständig in die Luft, so dass die Umgebung nie wieder sicher sein wird, solange nicht alles weggeräumt ist“.
Tumore in der Lunge, Kehlkopf und Eierstöcken
„Die Konzentration von Asbest in der Luft wird enorm hoch sein, und das ist eine Garantie für Mesotheliom“, eine Krebsart, die sich häufig in der Lungen- oder Bauchhöhle bildet. Asbestexposition kann auch zu Krebserkrankungen der Lunge, des Kehlkopfs und der Eierstöcke sowie zu Asbestose führen, die das Nationale Krebsinstitut der USA als „entzündliche Erkrankung der Lunge beschreibt, die zu Kurzatmigkeit, Husten und dauerhaften Lungenschäden führen kann“.
„Die Rettungsmannschaften am 11. September … waren 10 bis 12 Stunden lang Asbestpartikeln ausgesetzt, bevor sie am nächsten Tag weiterarbeiteten“, sagte Willey. „Das ist ein Todesurteil … das wird auch für die Menschen in Gaza gelten.“
Eine Tragödie, die noch kommen wird
Der Vergleich mit dem 11. September ist wichtig, da dies einer der wenigen Vorfälle war, bei dem die Asbestexposition nach einer Explosion untersucht werden konnte, sagte Liz Darlison, Geschäftsführerin der Wohltätigkeitsorganisation Mesothelioma UK. „Es ist sehr einfach, sich mit den unmittelbaren Folgen der Zerstörung zu befassen“, sagte sie. Unmittelbare Gefahren durch Bodenkämpfe und Bombardierungen aus der Luft haben immer Vorrang vor langfristigen Gefahren, bemerkte sie.
Die langfristigen Auswirkungen der Asbestexposition werden jedoch eine „Tragödie darstellen, die sich in den kommenden Jahren entfalten wird“, so Darlison. Im Jahr 2016 gab das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) an, dass berufsbedingte Asbestexposition schätzungsweise 209.481 Todesfälle verursacht hat – mehr als 70 Prozent aller Todesfälle durch arbeitsbedingte Krebserkrankungen.
Asbest auch in bombardierten Flüchtlingslagern
Seit Beginn des Krieges gegen die belagerte Enklave hat Israel routinemäßig die Flüchtlingslager im Gazastreifen bombardiert, wo laut UNEP Al Jazeera Asbest „in den älteren Gebäuden und den provisorischen Schuppen und Anbauten in den Flüchtlingslagern“ gefunden wurde.
Im Dezember wurden bei einem Angriff auf das Flüchtlingslager Jabalia im Norden des Gazastreifens 90 Menschen getötet und mehr als 100 verletzt. Im Juni tötete Israel bei einem Überfall auf das Flüchtlingslager Nuseirat mehr als 270 Palästinenserinnen und Palästinenser und verletzte rund 700 weitere. Im Jahr 2009 stellte das UNEP fest, dass eine der gefährlichsten Asbestarten, blauer Asbest (Krokydolith), in denselben beschädigten Gebäuden und Schuppen in den Flüchtlingslagern von Gaza sowie in Abwasserrohren, Kläranlagen und Viehzuchtanlagen gefunden wurde.
Darlison zufolge gäbe es nach einer Explosion, bei der Asbest freigesetzt wird, einfach kein „sicheres Expositionsniveau“. „Was man braucht, ist ein großes Schild mit einem Totenkopf, auf dem steht: ‚Betreten verboten‘, und nur Spezialisten, die eine vollständige Dekontaminationsausrüstung tragen, dürfen in die Nähe der Exposition“, sagte sie.
Quelle: AJ