Nach der ersten Runde der Wahlen zur französischen Nationalversammlung ist vieles offen. Die Präsidentenpartei ist auf Unterstützung der sozialdemokratisch-grün-linken “Neuen Volksfront” angewiesen, um Le Pens RN zu bekämpfen.
Paris. Die von Präsident Emanuel Macron nach dem für seine Partei verheerenden EU-Urnengang vorgezogene französische Parlamentswahl erbrachte vorhersehbare Ergebnisse: Nur 76 der zu bestimmenden 577 Mandate sind im ersten Wahlgang vergeben, im Rest der Wahlkreise kommt es zur Stichwahl. In dieser wird eine relative Mehrheit reichen, um den jeweiligen Sitz zu gewinnen.
Insofern sagen die Prozentanteile der verschiedenen Parteien und Bündnisse nicht allzu viel aus. Trotzdem ist bemerkenswert, dass die rechtsextreme Liste “Rassemblement National” (RN) von Marine Le Pen hier klar den ersten Platz belegte mit insgesamt 33,15 Prozent der Stimmen, gefolgt von der linken “Neuen Volksfront” (NFP, 28,14 Prozent) und Macrons Konstrukt “Ensemble” (21,27 Prozent). Die einst mächtigen konservativen Gaullisten erreichten in Form der “Republikaner” nur noch 6,57 Prozent.
In Mandaten kann man bislang lediglich sagen, dass der RN und andere rechtsextreme Verbündete 41 Parlamentssitze sicher haben, die NFP 32, “Ensemble” zwei und die Republikaner überhaut nur einen. Die tatsächliche Entscheidung wird also im zweiten Wahldurchgang erfolgen, in dem sich die Frage stellt, ob der RN eine Regierungsmehrheit von 289 Abgeordneten erreichen wird.
Um das zu verhindern, haben Emanuel Macron und NFP-Chef Jean Luc Mélenchon mehr oder minder ein Übereinkommen getroffen. Dieses besteht darin, dass in allen Wahlkreisen, wo die “Ensemble”- oder NFP-Kandidatur nur auf dem dritten Platz rangiert, auf einen Antritt im zweiten Wahlgang verzichtet wird – stattdessen gibt es den Aufruf, für den jeweiligen erst- oder zweitplatzierten “Ensemble”- bzw. NFP-Kandidaten zu stimmen, um den RN zu besiegen.
Diese Entscheidung für einen “Republikanischen Damm” ist Macron wohl nicht leicht gefallen. Mit den Sozialdemokraten, denen er früher selbst angehörte, und den Grünen hat er zwar keinerlei Probleme, aber zumindest von Mélenchons Partei LFI sowie der nominell kommunistischen Partei PCF muss er sich distanzieren. Grund dafür gibt es nicht, denn beide linksradikale Organisationen sind gänzlich harmlos. Daher ist bereits die “Neue Volksfront” ein sozialdemokratischer Irrweg, die abermalige Unterstützung Macrons ist die logische, aber erbärmliche Konsequenz. Neuerlich könnte die “Angst” vor der rechtsextremen Le Pen, die selbst um konservative Akzeptanz bemüht ist, Macrons indirekte Lebensversicherung sein – wie schon bei der letzten Präsidentschaftswahl.
Welche Regierungsmehrheiten oder ‑minderheiten sich dann tatsächlich ergeben, ist allerdings weitgehend offen. Der RN wird massiv gewinnen, aber vermutlich keine eigene Mehrheit erlangen und unterstützende Republikaner brauchen. Aber auch für die liberale Präsidentenpartei sowie für die Volksfrontparteien wird es natürlich nicht reichen. Daher ist zu erwarten, dass es nach der Stichwahl so oder so eine weitere prinzipienlose Kollaboration geben wird – mit einer weiteren arbeiter- und volksfeindlichen Regierung.
Quelle: ORF