HomeKlassenkampfFrauenVor 50 Jahren: „Wir haben abgetrieben!“

Vor 50 Jahren: „Wir haben abgetrieben!“

Im Juni 1971 sorgte in der BRD eine Kampagne für die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs für Aufsehen. Der deutsche (und österreichische) Status quo der Fristenregelung ist rechtlich und praktisch unzureichend.

Am 6. Juni 1971 erschien das Hamburger Wochenmagazin „Stern“ mit der Schlagzeile: „Wir haben abgetrieben!“. Damit bekannten 374 deutsche (und österreichische) Frauen, in mindestens einem Fall eine Schwangerschaft abgebrochen und damit gegen damals geltendes Recht der BRD verstoßen zu haben. Die Aktion wurde von Alice Schwarzer initiiert, prominente Beteiligte waren u.a. Romy Schneider, Senta Berger oder Vera Tschechowa. Vorangegangen war eine ähnliche Kampagne im April 1971 in Frankreich, an der sich u.a. Simone de Beauvoir, Catherine Deneuve, Jeanne Moreau und Françoise Sagan beteiligt hatten.

Das Ziel war klar: Es ging um die Abschaffung des Paragrafen 218 des Strafgesetzbuches der BRD, der den Schwangerschaftsabbruch verbot und unter Strafe stellte. Das Bekenntnis der 374 Frauen sollte somit einerseits klarmachen, dass dieses Verbot ein realitätsferner Anachronismus war, denn es fanden ja trotzdem viele Schwangerschaftsabbrüche statt – eben auf illegale Weise und somit auch unter gefährlichen Bedingungen. Darüber hinaus entsprach die Forderung nach einer Legalisierung freilich auch dem Recht der Frau auf Selbstbestimmung über ihren Körper. Es versteht sich von selbst, dass reaktionäre und konservative Kreise, die Unionsparteien und die Kirchen diese Initiative strikt ablehnten. Doch die – polarisierende – Diskussion erhielt trotzdem neuen Elan, gleichzeitig bekam die Frauenbewegung generell Auftrieb, die sich freilich schon mit der 68er-Bewegung deutlicher manifestiert hatte.

Reaktionäre BRD, fortschrittliche DDR

In politischer, d.h. legislativer Hinsicht dauerte es noch ein paar Jahre, bis Konsequenzen gezogen wurden. Die CDU befürwortete schließlich eine Indikationslösung, während SPD und FDP im April 1974 mit knapper Mehrheit im Bundestag die liberalere Fristenregelung (die natürlich auch Indikationsfälle einschließt) beschlossen – damit wäre der Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen zwar nicht legal, aber generell straffrei gewesen. Dies wurde jedoch im Februar 1975 vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben, im Mai 1976 wurde eine Indikationslösung eingeführt, die Straffreiheit für bestimmte Fälle vorsah, nämlich für medizinische Schwierigkeiten oder bei Vergewaltigung – so blieb es in der BRD im Wesentlichen bis 1992. Dass es dann doch einen Fortschritt in Richtung Fristenlösung gab, ist nicht unwesentlich der DDR zu verdanken.

Denn die DDR war in der Frage des Schwangerschaftsabbruchs der BRD deutlich voraus: In der Volkskammer wurde bereits am 9. März 1972 – neun Monate nach der „Stern“-Aktion – die Fristenregelung beschlossen, auf Initiative der SED und bei religiös motivierten Gegenstimmen der CDU-Abgeordneten. Mit der Annexion der DDR durch die BRD im Oktober 1990 galten in Ost und West zunächst unterschiedliche Regelungen, zumindest übergangsweise. Doch schließlich setzte sich im gesamten Bundesgebiet die Fristenlösung durch, die nach ihrem Beschluss 1992 in den Jahren 1995 und 2010 novelliert wurde. In diesem Bereich wurde also letztendlich das fortschrittlichere DDR-Recht, freilich in angepasster Form, übernommen.

Fristenregelung und Straflosigkeit

Den 50 Jahre alten Forderungen von Alice Schwarze und ihren Kolleginnen von 1971 entspricht dies alles allerdings immer noch nicht: Denn das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs steht nach wie vor im Strafgesetzbuch – im Gegensatz zu Indikationsfällen ist die Abtreibung nach Fristenregelung an sich somit bis heute rechtswidrig, d.h. ein Schwangerschaftsabbruch in den ersten drei Monaten bleibt lediglich straffrei. Man kann dies für eine juristische Spitzfindigkeit halten, doch das ist es nicht, sondern immer noch Ausgangspunkt für kriminalisierende Kampagnen sowie für Bestrebungen von konservativer und kirchlicher Seite, die geltenden Regelungen wieder zu verschärfen. Und es ist die Grundlage dafür, dass die faktische und flächendeckende Ermöglichung des Schwangerschaftsabbruchs unter sicheren und kostenlosen Bedingungen immer noch hintertrieben wird.

In Österreich trat am 1. Jänner 1975 die bis heute gültige Fristenlösung in Kraft – das entsprechende Gesetz war bereits 1973 im Nationalrat gegen die Stimmen der ÖVP und FPÖ beschlossen worden. Auch hierzulande gilt lediglich eine Straflosigkeit in den ersten zwölf Wochen, während der Schwangerschaftsabbruch an sich grundsätzlich eine Straftat ist. Auch in Österreich ist diese Rechtssituation also unbefriedigend und problematisch, ebenso sind es die vielerorts mangelnden praktischen Möglichkeiten.

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