Wien. Die offiziellen Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Österreichs Arbeitinnen und Arbeiter haben 2024 genau 168,9 Millionen Mehr- und Überstunden geleistet – davon blieben 42,3 Millionen Stunden schlicht unbezahlt. Das entspricht rund jeder vierten Überstunde, die weder in Zeit noch in Geld abgegolten wurde. Laut AK-Präsidentin Renate Anderl summieren sich diese nicht ausgezahlten Stunden auf schätzungsweise 2,3 Milliarden Euro. Dass Beschäftigte rund 2,3 Milliarden Euro an bereits erbrachter Leistung nicht sehen, ist für die Arbeiterkammer ein doppelter Skandal: Einerseits entgehen den Menschen die Einkünfte, die sie dringend zum Leben brauchen, andererseits entzieht man so dem Staat wichtige Einnahmen in einer ohnehin angespannten budgetären Lage.
Den Befund, dass immer mehr Betriebe bei geleisteten Mehr- und Überstunden den Lohn „einfach nicht überweisen“, untermauert Ines Stilling, Bereichsleiterin Soziales in der AK Wien. Sie verweist auf eine rapide sinkende Zahlungsmoral der Arbeitgeber: 2020 waren es 14 Prozent unbezahlte Überstunden, zwei Jahre später bereits 21 Prozent. Jetzt sind wir bei 25 Prozent, Tendenz weiter steigend. Das bedeutet konkret: Für viele Beschäftigte wird Leistungsbereitschaft zum Minusgeschäft.
Anhand zweier Beispiele zeigt die AK, wie gravierend solche Fälle ausfallen können:
- Ein Bauarbeiter verzeichnete in nur vier Monaten 242 Mehr- und Überstunden – also das Äquivalent von über sechs Normalarbeitswochen. Statt Geld gab es beim Arbeitgeber nur das große Schweigen. Erst der Gang zur Arbeiterkammer und danach vor Gericht brachte ihm letztlich die rund 5.000 Euro zu, die er erwirtschaftet hatte.
- Ein Online-Marketing-Manager arbeitete regelmäßig zusätzliche Stunden, allesamt sauber im Zeiterfassungssystem dokumentiert. Am Ende des Dienstverhältnisses standen 268 Stunden unbezahlt aus, Wert rund 8.000 Euro. Wieder war es die AK, die für diesen Mann das Geld vor Gericht durchsetzen musste.
In beiden Fällen wurde deutlich, dass nur die rechtzeitige Einschaltung der Arbeiterkammer und eine detaillierte Arbeitszeiterfassung zum Erfolg führten. Nach Ablauf weniger Monate oder Jahre sind solche Forderungen in vielen Verträgen schon verfallen. Da droht eine Situation, in der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht mehr ans Geld kommen, das sie längst erwirtschaftet haben, warnt die Arbeiterkammer.
Es zeigt sich hier ein altbekanntes Muster: Betriebe profitieren von einer immer weiter gesteigerten Arbeitsintensität, während die arbeitende Klasse, die den Mehrwert eigentlich schafft, oft leer ausgeht. Dass Arbeitgeber betriebswirtschaftliche Kennzahlen in den Vordergrund stellen, überrascht nicht. Umso bezeichnender ist, dass Gesetze offenbar Schlupflöcher zulassen, damit reihenweise geleistete Arbeit schlicht „verpuffen“ kann – zum Vorteil der Unternehmenskassen, zum Nachteil aller anderen.
Das Kapital streicht den Ertrag ein, während Mehrarbeit billigend in Kauf genommen wird – gepaart mit massiver Arbeitsverdichtung. Damit wird einmal mehr klar, dass im Kapitalismus die arbeitenden Menschen nicht nur dem Preisdruck, sondern immer häufiger auch einem Zwang zur „unbezahlten Leistung“ ausgesetzt sind.
Die AK rät allen Beschäftigten, die Zweifel an ihrer Entlohnung haben, zum sofortigen Gang zur Arbeiterkammer. Entgangenes Geld verjährt schnell, besonders wenn im Arbeitsvertrag Verfallsklauseln vorgesehen sind.
Quelle: Arbeiterkammer