Ein Blick auf die Entwicklung der mittleren Realeinkommen in Österreich seit den letzten 25 Jahren zeigt ein ernüchterndes Bild: Stagnation und wachsende Ungleichheit. Laut dem aktuellen Einkommensbericht des Rechnungshofes stagnierten die inflationsbereinigten mittleren Bruttojahreseinkommen von 1998 bis 2023. Während die Produktivität und der Reichtum der österreichischen Volkswirtschaft gestiegen sind, bleiben die Arbeiterinnen und Arbeiter zurück.
Die hohen Teuerungsraten der letzten Jahre haben die ohnehin mageren Lohnzuwächse aufgebraucht. Zwischen 2021 und 2023 sanken die mittleren Bruttojahreseinkommen inflationsbereinigt um zwei Prozent unter das Niveau von 1998. Die Nettojahreseinkommen stagnieren. Was zeigt uns das? Inflation ist kein neutrales Phänomen – sie wirkt als Hebel der Kapitalistenklasse, um die Lebensbedingungen der arbeitenden Menschen zu verschlechtern.
Die wachsende Teilzeitbeschäftigung, auf die im Bericht verwiesen wird, ist jedenfalls alles andere als ein Fortschritt. Vielmehr ist dies Ausdruck eines ökonomischen Systems, das prekäre Arbeitsverhältnisse zementiert. Natürlich bedeutet mehr Teilzeit für einige auch mehr Freizeit, doch in vielen Fällen ist Teilzeitbeschäftigung keine Wahl, sondern Notwendigkeit. Gleichzeitig wächst die Segmentierung des Arbeitsmarktes. Menschen in stabilen Vollzeitjobs konnten seit 1998 ein Reallohnwachstum von sieben Prozent verbuchen, bei Frauen sogar 15 Prozent. Doch diese Zahlen verschleiern die Realität der Mehrheit: Unsichere Jobs, unterbrochene Erwerbsbiografien und der ständige Kampf ums Überleben.
Frauen verdienen in Österreich im Durchschnitt nur 66 Prozent dessen, was Männer verdienen. Auch bereinigt um die höhere Teilzeitquote bleiben sie mit einem Minus von 12 Prozent zurück. Dieser Unterschied ist systematisch: Frauen arbeiten überproportional in Sektoren wie der Gastronomie oder der Gesundheitsversorgung, wo die Kapitalistenklasse niedrige Löhne diktiert. Migrantinnen und Migranten oder auch schlecht qualifizierte Inländer sind ähnlich betroffen.
Die letzten zwei Jahrzehnte waren geprägt von einer Serie kapitalistischer Krisen: von der Weltwirtschaftskrise 2008 über die Pandemie bis hin zur aktuellen Inflationskrise. Wifo-Experte Benjamin Bittschi spricht von einem „erstaunlichen“ Umstand, dass die Reallöhne nicht gesunken seien. Doch was ist das für ein Erfolg? Die wahren Gewinner sind jene, die in Krisenzeiten Vermögen anhäufen.
Das österreichische System der verzögerten Inflationsabgeltung ist ein Symptom der systematischen Unterdrückung. Wirtschaftsforscher erwarten für 2024 einen minimalen Reallohnanstieg von 0,2 Prozent im Vergleich zu 1998. Das ist kein Fortschritt, sondern eine schallende Ohrfeige für die arbeitende Klasse.
Die mittleren Bruttojahreseinkommen lagen 2023 bei 35.314 Euro. Vollzeitbeschäftigte erreichten 61.100 Euro. Das mag sich auf den ersten Blick ganz passabel anhören, doch diese Zahlen verschleiern die Realität. Denn die Mehrheit der Arbeiterinnen und Arbeiter kämpft mit stagnierenden oder sogar sinkenden Einkommen.
Quelle: Der Standard