HomePanoramaKeuchhusten bei Erwachsenen: Weithin unterschätzt und außerhalb des ärztlichen Radars

Keuchhusten bei Erwachsenen: Weithin unterschätzt und außerhalb des ärztlichen Radars

Wien. Neben Corona, Influenza und gewöhnlichen Erkältungsviren kursiert gegenwärtig vermehrt auch wieder der Keuchhusten, der durch Bakterien der Stämme Bordetella pertussis und Bordetella parapertussis ausgelöst wird. Kürzlich haben die dänischen Behörden eine Epidemie ausgerufen. In Kroatien wird aufgrund eines massiven Anstiegs vor einer Epidemie gewarnt und es wurden bereits Testzentren eingerichtet. Auch in Österreich steigen die Infektionszahlen, wobei keine konkreten, aktuellen Zahlen vorliegen. Im Jahr 2023 waren es bis 19. Oktober 931 gemeldete Infektionen. Die Dunkelziffer dürfte entsprechend höher liegen, da die Krankheit oft nicht richtig diagnostiziert wird.

Keuchhusten ist, wie es Andrea Grisold von der Med Uni Graz laut ORF beschreibt, „eine extrem anstrengende Erkrankung, die zu Beginn eigentlich startet wie ein normaler respiratorischer Infekt, dann aber gekennzeichnet ist durch wirklich heftige und sehr anstrengende Hustenattacken bis hin zum Erbrechen. Von der Dauer muss man sagen, dass eine Keuchhusten-Erkrankung sehr langwierig ist: Das geht von einigen Wochen bis hin zu drei Monaten, gegebenenfalls sogar noch länger.“ Mitunter geht die Krankheit mit schwerwiegenden Komplikationen einher.

Charakteristische Symptome nicht ernst genommen

Ein akut Betroffener wandte sich an die ZdA, um anhand seines Falles darauf aufmerksam zu machen, wie wenig hiesige Gesundheitseinrichtung Keuchhusten auf dem Radar haben: „Anfangs dachte ich natürlich auch, es würde sich um eine normale Erkältung handeln. Dann begannen allerdings die extrem heftigen und charakteristischen Hustenanfälle, die dem Keuchhusten seinen Namen verleihen und mit Erstickungsgefühl, Panik und einem ‚Stridor‘ genannten typischen Geräusch beim Einatmen einhergehen. Weitere Symptome waren enorme Halsschmerzen und Schluckbeschwerden sowie wochenlange Heiserkeit. Bei zwei Arztbesuchen habe ich meine Sorge geäußert, es könnte Keuchhusten sein. Mein Hausarzt kultierte mich aus, hörte mir aber gar nicht zu, als ich ihm von den Hustenanfällen erzählen wollte, geschweige denn, dass er sich näher dafür interessiert hätte. Er schob meine Symptome stattdessen kurzerhand auf die Kombination aus Asthma und einem gewöhnlichen Atemwegsinfekt. Bei einer richtigen Diagnose hätten zu diesem Zeitpunkt Antibiotika die Symptome noch mildern können und innerhalb weniger Tage die Ansteckungsgefahr beseitigt“, so der Betroffene. Während Antibiotika von vielen Ärzten seit Jahrzehnten leichtfertig verschrieben werden, kommt es inzwischen offenbar genauso vor, dass auch dann an ihnen gespart wird, wenn sie sinnvoll wären. 

Da es zwei Wochen später noch nicht besser gewesen sei „und ich mich bei den plötzlichen Anfällen gelegentlich auch übergeben musste, wollte ich zu einem Lungenfacharzt. Ich musste mir aber einen Wahlarzt leisten, denn mein Kassenarzt hätte mir erst für zwei Monate später einen Termin gegeben. Auch der Pulmologe nahm meinen Verdacht nicht ernst, sondern stempelte mich als Hypochonder ab und verschrieb mir einen Magenschutz gegen Reflux. Im Befund hielt er schriftlich fest, bei Keuchhusten sei die Symptomatik ‚ganz anders‘ als meine. Erst nachdem ich schließlich auf eigene Initiative privat zu einem Labor ging, kam heraus, dass es laut Testergebnis eben doch Keuchhusten ist.“

„Kinderkrankheiten“ treffen auch Erwachsene

Keuchhusten wird mitunter als Kinderkrankheit bezeichnet. Für den Betroffenen sei dieses Wort in den letzten Wochen zum Unwort geworden. Es werde von Laien, vielleicht auch von Ärzten häufig missverstanden, so als würde es um Krankheiten gehen, die nur Kinder bekommen könnten oder bei Erwachsenen regelmäßig harmlos verlaufen würden. Tatsächlich drückt das Wort aber etwas anderes aus, und zwar, dass die betreffenden Infektionskrankheiten so hochansteckend sind, dass die meisten Menschen sie bereits in der Kindheit bekommen. Für Erwachsene kann das Wort Kinderkrankheit daher irreführend und verharmlosend wirken.

Unter anderem führt das dazu, dass es viele Erwachsene versäumen, sich regelmäßig eine Auffrischungsimpfung zu holen. Laut Norddeutschem Rundfunk waren 2019 nur 12,5 Prozent der Erwachsenen deutschlandweit gegen Keuchhusten geimpft, bei den über 60-Jährigen waren es gar nur 7,6 Prozent. In Deutschland etwa betreffen laut Robert-Koch-Institut (RKI) 60 Prozent der Keuchhusten-Infektionen Erwachsene. Aktuelle Daten aus Österreich liegen nicht vor.

Unterschiede zwischen DDR und BRD

Die deutschen Zahlen des RKI weisen interessante Unterschiede zwischen Ostdeutschland und Westdeutschland auf: Während in der DDR eine Impfrate von 90 Prozent herrschte und jährlich nur eine von 100.000 Personen an Keuchhusten erkrankte, lag die Impfrate in der damaligen BRD bei nur 10 Prozent. Die Anzahl an verschriebenen Antibiotika zur Therapie und Prophylaxe des Keuchhustens lag dort mit schätzungsweise 100.000 Behandlungen recht hoch – konkrete Infektionszahlen gibt es aus der BRD jedoch erst seit 2013, als endlich eine Meldepflicht eingeführt wurde. 

Nach dem Ende der DDR stiegen vor Ort die Zahlen: 1994 kamen 3,4 Fälle, zehn Jahre später 12,3 Fälle und 2011 bereits 28 Fälle auf 100.000 Einwohner. Ein gewisses Erbe der DDR macht sich jedoch weiterhin zugunsten der Volksgesundheit bemerkbar: So beschrieb das RKI noch im Jahr 2017, dass die Impfrate junger Erwachsener zwischen 18 und 29 Jahren nach wie vor im ehemaligen DDR-Gebiet deutlich höher sei als im Rest Deutschlands, und zwar mit 48,6 Prozent im Vergleich zu 27,2 Prozent. Nach wie vor gäbe es in den „alten“ Bundesländern Mängel in der Umsetzung der Meldepflicht, was zwischenzeitlich zur Verzerrung geführt habe, als wären dort weniger Menschen infiziert als in den „neuen“ Bundesländern. Das Gegenteil sei der Fall. 

Regelmäßige Auffrischungsimpfung notwendig

Weder die Immunität nach einer durchgemachten Keuchhusten-Erkrankung noch nach einer Impfung hält ewig: Nach einer durchgemachten Infektion ist man etwa 7 bis 20 Jahre geschützt, nach einer Impfung hingegen nur 3,5 bis 12 Jahre. Der offizielle österreichische Impfplan empfiehlt Erwachsenen jedoch nur eine Auffrischung alle 10 Jahre, wodurch selbst für jene Personen eine Lücke von bis zu 6,5 Jahren entsteht, die sich an den Impfplan halten. Da laut RKI keinerlei gesundheitliches Risiko von zusätzlich verabreichten Pertussis-Impfungen ausgeht, kann diese Lücke nur als gesundheitspolitischer Mangel verstanden werden. Ganz zu schweigen davon, dass die Kosten der Impfungen für viele Menschen mit niedrigen Einkommen eine deutliche Hürde darstellen können.

Für den Betroffenen, der sich an die ZdA wandte, war es besonders bitter, dass sein Hausarzt mehrere Wochen vor Symptombeginn seinen Impfpass durchging – ihn aber nicht darauf hinwies, dass die Pertussis-Auffrischungsimpfung schon längst überfällig gewesen wäre: „Hätte der Arzt so weit mitgedacht, wären mir wohl die ganze Erkrankung und die vielen damit verbundenen Strapazen erspart geblieben“. Die letzte Kombiimpfung habe er vor wenigen Jahren vom Impfservice der Stadt Linz erhalten. Dort habe man ihm aber lediglich einen Impfstoff gegen Diphterie und Tetanus verabreicht, nicht jedoch gegen Pertussis und Polio. Warum auch immer.

Meldepflicht laut Epidemiegesetz

Keuchhusten ist in Österreich gemäß Epidemiegesetz anzeigepflichtig. Der Betroffene berichtet allerdings, die beiden Mitarbeiterinnen am Schalter des Labors hätten anfangs nichts darüber gewusst, ob die Krankheit meldepflichtig sei oder ob der Patient deswegen etwas beachten müsse. Nachdem ein kurzer Anruf bei einer dritten Kollegin ergab, dass diese es ebenfalls nicht wisse, einigten sich die beiden kurzerhand darauf, dass sie sich doch selbst ausreichend auskennen würden und Keuchhusten sicher nicht meldepflichtig sei. Ganze sechzehn Tage nach der Blutabnahme traf dann doch noch der RS-Brief von der Wiener Magistratsabteilung für Gesundheitsdienst beim Betroffenen ein – im Hintergrund dürfte das Labor die Infektion also korrekt an die Behörden übermittelt haben. Der Brief kam allerdings zu einem Zeitpunkt, als die korrekte Diagnose keinen therapeutischen oder epidemiologischen Unterschied mehr machen konnte. Zumindest hatte der Betroffene nun einen Namen für seine Symptome und konnte sein Umfeld warnen.

Die aktuell steigenden Infektionszahlen seien beim Telefonat mit dem Gesundheitsdienst der Migration aus dem „Ostblock“ in die Schuhe geschoben worden, wo es die Impfung lange Zeit nicht gegeben habe, berichtet der Betroffene. Ein Faktor, der wohlgemerkt eher mit den politischen, ökonomischen und militärischen Auseinandersetzungen und Krisen im kapitalistischen Osteuropa seit den 90er Jahren zu tun hat als mit dem vormaligen osteuropäischen Sozialismus, wo auf ausreichenden und weit verbreiteten Impfschutz großer Wert gelegt wurde. Von diesem möglichen Faktor einmal abgesehen ist das Problem jedoch wesentlich hausgemacht, wie nicht zuletzt durch den Bericht des Betroffenen dokumentiert wird.

100 Tage Husten

Der Betroffene weiß nun, welch Teufel ihn ritt und noch eine Weile reiten wird. Die Symptome der landläufig „100-Tage-Husten“ genannten Erkrankung seien bei ihm inzwischen am Abklingen. Nicht gerade Tag für Tag, zumindest aber Woche für Woche werden sie milder. Noch immer leide er unter ein bis zwei der typischen Anfälle jeden Tag, welche ihm oftmals Stunden des nächtlichen Schlafs kosten. Im Alltag sei er noch eingeschränkt und der Gesundheitsdienst habe ihn darauf aufmerksam gemacht, noch einige Zeit besonders anfällig für weitere Infektionen zu sein.

Übrig bleiben für den Betroffenen zwar Erleichterung darüber, nun einordnen zu können, wodurch die Symptome entstanden waren, sowie die wiedergewonnene Sicherheit, den eigenen Körper schon richtig wahrgenommen zu haben. Übrig bleiben aber ebenso das Gefühl, von den Gesundheitseinrichtungen im Stich gelassen worden zu sein, sowie Ärger und Enttäuschung über die beiden Ärzte, die ihm nicht zuhören wollten, als er seine typischen Hustenanfälle beschrieb. Sein Vertrauen in das öffentliche Gesundheitssystem habe eine Delle abbekommen: „Kostenlos waren der Impfstatus-Check beim Hausarzt, als er die Pertussis-Impfung übersah, der Besuch während der Erkrankung, als mir der Arzt nicht zuhören wollte, und der Lungenarzt-Termin, der erst in ein paar Monaten stattfinden wird. Um alles andere, also um die Recherche für eine korrekte Diagnose, um den Wahlarzt und um das Labor musste ich mich selbst kümmern. Das war mit vielen Belastungen und Kosten verbunden, die sicher nicht immer jeder auf sich nehmen kann.“ 

Quellen: Wikipedia / ORF Steiermark / RIS / Infektionsschutz / RKI / RKI-Epidemiologisches Bulletin / RKI-Epidemiologisches Bulletin / RKI-Epidemiologisches Bulletin / NDR / Berliner Zeitung / The Pediatric Infectious Disease Journal / The System of Epidemic Control in the USSR

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