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Kulturrevolution in Krähwinkel

Tibor Zenker, Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreichs (PdA) und freischaffender Autor.

Es bräuchte gar keine Epidemie, denn es war ja immer so. Meine persönliche, langjährige berufliche Tätigkeit im Kunst- und Kulturbereich bedeutet faktisch eines: permanentes Home-Office-Prekariat auf Basis der proletarisierten Ich-AG im Zangengriff von SVA, Überzeugungstäterschaft, Selbstzweifeln und bizarren konformistischen Ratschlägen. Um nicht weinerlich und wehleidig zu wirken: Wenngleich mehr durch Zufall als strategische Voraussicht, so hat sich der Gutteil meiner Publikationstätigkeit (und damit auch der Einkommensbestreitung) in den vergangenen Jahren ohnedies ins Internet verlagert, wo man mit den Streaming-Strömen schwimmen kann/darf/muss. Das ist dann wohl diese ominöse „Digitalisierung“, von der immer alle reden. Insofern betreffen mich abgesagte Theatervorstellungen und ausgefallene Lesungen gegenwärtig nur wenig. Mit einem geflügelten Wort Homers könnte ich der geschätzten Kollegenschaft zurufen: „Macht’s gut, ihr Trottel!“ (nein, nicht Ὅμηρος-Homer, sondern Homer Simpson). Auch gehe ich davon aus, dass man sich keine akuten Sorgen machen muss um Daniel Kehlmann, Stermann & Grissemann, Michael Haneke, Christoph Waltz oder (zumindest nicht finanziell) Wolfgang Ambros. Auch Lukas Resetarits wird schon irgendwie durchkommen.

Der springende Punkt im Bereich des Kunst- und Kultur-Lockdowns ist freilich die Gegenseite zu den Privilegierten – und der letztgenannte Kollege hat das im ORF auch völlig richtig dargelegt: Es geht um Empathie und Solidarität. Zigtausende Kolleginnen und Kollegen kommen nicht durch. Mittlere und v.a. kleine Bühnen, die auch außerhalb von Epidemiezeiten keinen Cent vom Bund sehen, SchauspielerInnen, AutorInnen, MusikerInnen, KabarettistInnen etc., deren Durchbruch noch bevorsteht oder niemals kommt, Rahmenpersonal wie Haustechnik, Catering oder der berühmte „Kartenabreißer“ (meinetwegen auch digital mit Handscanner) – sie alle verzeichnen Einkommensausfälle, als Angestellte oder Selbstständige, die nicht und niemals mehr zu kompensieren sind. Ebenso wie das Krankenhaus‑, Pflege- und Supermarkt-Personal haben die genau gar nix von öffentlichem Balkon- und Fenster-Applaus oder Facebook-Likes. Von den heuchlerischen Wertschätzungsbeteuerungen von PolitikerInnen gar nicht zu sprechen. Damit kann man keine Miete bezahlen und keine Lebensmittel kaufen. 800 Millionen Euro für den deutschen Lufthansa-Konzern wird die Regierung schlussendlich schon aufbringen, aber die „Kleinen“ schauen durch die Finger. Hier entzündet sich zurecht der Zorn.

Die Kunstfertigkeit politischer Entwertung

Man muss nicht jedes einzelne Wort von Lukas Resetarits auf die Goldwaage legen – denn dann hat man Person und Profession nicht verstanden. In der Sache hat er Recht. Es geht auch im Kunst- und Kulturbereich, wo schon grundsätzlich für viele nicht Leben, sondern Überleben auf der Agenda steht, um menschliche soziale Existenzen. Da muss man noch nicht einmal über den kulturellen Verlust für die Gesellschaft schwadronieren (mache ich trotzdem auch – weiter unten). Es liegt auf der Hand, dass es Soforthilfen auf unbürokratische Weise gebraucht hätte, was freilich jeder österreichischen Usance widerspricht, sowie natürlich eine Perspektive. Und wenn man sich mit letzterer schwertut, dann kann man auch mal sagen: Sorry, ich weiß es (noch) nicht. Doch das planlose Herumgeeiere, die inszenierte PK-Ankündigungspolitik und verarschende Vertröstungen tragen denn doch ein wenig zum Unmut bei. Und das war der Moment, als ich mich dabei ertappte, mir Franz Morak zurückzuwünschen.

Zugegeben, das entsprang der „eh schon wurscht“-Attitüde, die mehr emotionale pro-apokalyptische Begeisterung als lösungsorientierter Gedanke ist. Ein psychotischer Schub mit Stil also. Jetzt ist uns die Staatssekretärin Lunacek abhandengekommen – der bisherige Sündenbock ist als Bauernopfer von der einen Wüste in die andere geschickt worden. Damit bleibt es bei der Symbolpolitik. Denn es ist schon die gesamte Regierung, die verantwortlich ist und einstimmige Beschlüsse fasst. Es ist der Kunst- und Kulturminister, der für die ihm beigestellte Staatssekretärin verantwortlich ist – aber Kogler tangieren vielmehr die Geisterveranstaltungen der Fußballbundesliga sowie jene der Formel‑1 in Spielberg (war da nicht mal irgendwas mit Umweltschutz?). Eine Staatssekretärin hat im Ministerrat nicht einmal Stimmrecht – sie tut, was ihr gesagt wird, und muss mit dem Geld auskommen, das ihr der Finanzminister zugesteht. Das wird auch für Lunaceks Nachfolgerin zutreffen. Insofern hatte auch das Lunacek-Bashing der vergangenen Wochen Symbolcharakter, dessen künstlerische Wertigkeit ohnedies langsam zu verblassen drohte, denn auch das Publikumsinteresse schwand. Bei jeder Simmeringer Branntweiner-Rauferei gilt: Wenn einer blutend am Boden liegt, dann wird nicht mehr zugetreten, zumindest nicht gegen den Kopf. Jetzt hat sich Lunacek entschieden, lieber mit ihrer Restwürde liegenzubleiben. Aber, doch noch einmal nachgetreten: Lunacek hat auch im EU-Parlament als angebliche Außenpolitik-Expertin keine positive Rolle gespielt – man könnte Peter Handke fragen. Doch das nur am Rande. Weg ist weg. Ändern tut sich dadurch jedoch vorerst einmal nicht allzu viel, obgleich Anschober sofort einen Zeitplan präsentieren konnte.

Denn es gibt zwei größere Probleme, die der Situation ursächlich zugrunde liegen: Das erste ist die türkise Alleinregierung. Natürlich, jeder normale Mensch freut sich, dass die FPÖ-Rülpser mit ihrer zuverlässigen Zufälligkeit jetzt wenigstens nicht mehr von der Regierungsbank kommen. Wo aber die grüne Substanz der neuen Koalition verborgen liegt, erschließt sich kaum. An den EU-Außengrenzen werden Flüchtlinge misshandelt, im Mittelmeer ersaufen sie weiterhin, das Asylrecht ist überhaupt außer Kraft gesetzt. Der 12-Stunden-Tag, die Reduzierung von Sozialleistungen, die rechtswidrige Kürzung der Familienbeihilfe für ausländische Arbeitskräfte haben Bestand. Und die Klimakrise wurde offenbar einfach abgesagt. Lauter grüne Kernthemen, wie man unterstellen möchte, doch Fehlanzeige. Billiger hätte es Sebastian Kurz nicht haben können. Deshalb der breite Unmut über die Grünen: Weil sich viele Menschen gerade von ihnen mehr erwartet oder zumindest erhofft hätten – nicht nur im Kunst- und Kulturstaatssekretariat.

Die Unkultur der Bedürfnisverwertung

Und nun zum abschließenden Punkt. Seit sich der Mensch aus dem Tierreich erhoben hat – über den Nutzen dieser Anstrengung für den Planeten kann man freilich streiten –, hat er auch seine Bedürfnisse kontinuierlich erweitert: Zu Nahrung, Sicherheit und Arterhaltung im unmittelbaren Sinn traten Unterkunft, Mobilität, Glauben und Wissen, Forschung und Technik, Bildung, Freizeitgestaltung und irgendwann auch das Bedürfnis eines kulturellen Lebens, in aktiver und passiver Hinsicht. Als soziales Wesen organisierte die Menschheit dies alles gesellschaftlich, über Spezialisierung und Arbeitsteilung, wiederum zusammengeführt in einem kollektiven Zusammenwirken und Zusammenleben. Kunst und Kultur sind kein Selbstzweck – es gibt sie, weil sie menschliche Bedürfnisse sind, als Ausdrucksform, als gesellschaftlicher Resonanzbereich, als Horizont- und Bewusstseinserweiterung oder auch einfach als Unterhaltung. Wie dies alles organisiert ist, hängt, in einem historischen Prozess, freilich wesentlich von den jeweils vorherrschenden materiellen Bedingungen ab – und unsere gegenwärtigen Bedingungen sind jene des Kapitalismus. Dessen Grundprinzip verlangt die profitable Verwertung von Produkten, und es versteht sich von selbst, dass damit auch die Kunst und ihre Produkte zu Gütern und Waren werden, weswegen auch KünstlerInnen gezwungen sind, ihre geistige und physische Arbeitskraft zu Markte zu tragen. In dieser Kapitalismusfalle – oder überhaupt einer jeden Warengesellschaft – sind wir gefangen. Nach den Ferengi-Erwerbsregeln gilt: Was keinen kommerziellen Profit abwirft, ist nichts wert. In den gegenwärtigen Epidemiezeiten geht dieses falsche Bewusstsein so weit, dass KünstlerInnen, die diese Krise finanziell nicht überleben können, angeblich eh selber schuld und folglich entbehrlich seien. Natürliche Auslese eben. Es handelt sich um eine recht perfide Form gesellschaftlich-wirtschaftlichen „Darwinismus“, der gewiss bis in so manchen Parteivorstand reicht. Natürlich, die Staatsoper, die Burg, die Salzburger Festspiele und die Sängerknaben, ja sogar die misshandelten Lipizzaner – die werden wir uns schon erhalten, aus Prestigegründen, aber nicht zuletzt auch wegen der unsäglichen Verknüpfung mit der so genannten Umwegrentabilität. Aber wenn z.B. im Erdberger Rabenhof Theater keine Witze mehr über die ÖVP gemacht werden, dann knallen in der Lichtenfelsgasse die steuerbefreiten Sektkorken: Passt schon, gut so. Braucht eh niemand. Die Leute sollen lieber was Ordentliches hackeln gehen…

Wer an die Reformierbarkeit des Kapitalismus glaubt, an die Regulierung des Profitsystems und der Marktlogik, kann ja eine andere Partei wählen, die das dann richtet, etwa die Grünen. Ach so, nein, die scheitern ja gerade. Na, dann halt doch wieder die SPÖ. Aber nein, die haben das ja schon jahrzehntelang versemmelt. Vielleicht die radikalkapitalistischen NEOS, hm? Der Markt regelt natürlich gar nichts und lässt sich nicht nachhaltig regulieren, er bestimmt gesetzmäßig, dass eine Handvoll Menschen sehr reich wird, und die Masse der Menschen halt ihr Auskommen hat – sie soll ja weiter für die Reichen arbeiten können. Die Epidemie- und Wirtschaftskrise zeigt wieder das wahre Gesicht kapitalistischer Verwertungsprinzipien: Man darf wieder verarmen und völlig ruiniert werden, auch vorzeitig sterben. Es stellen sich grundsätzliche Fragen, diese gelten etwa für Krankenkassen und Medikamentenproduktion, für Bildung und Wissenschaft, aber eben auch für Kunst und Kultur: Soll wirklich alles dem Kriterium der kapitalistischen Profitmacherei unterliegen? Sind die Menschen für die Lohnarbeit und den Profit da? Oder ist die Arbeit für die Menschen da, um ihren Bedürfnissen zu entsprechen? Ein Krankenhaus muss keinen Gewinn machen, es soll Leben retten – koste es, was es wolle: nicht nur in Epidemiezeiten, sondern immer und überall. Der Mensch soll gut leben, nicht verwertet werden. Und zu diesem Leben gehören auch Kunst und Kultur, frei zugänglich und konsumierbar, frei gestaltbar und entfaltbar, ohne Profitzwänge. Das wird der Kapitalismus niemals ermöglichen, denn er kann es gar nicht – außer für ein paar Privilegierte.

Die Konsequenz daraus ist unbequem, aber, wie Bertolt Brecht schrieb, eine ebenso einfache wie in der Umsetzung schwierige Wahrheit: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“ (K. Marx), spielt’s nur um den Preis der Überwindung des Kapitalismus. Mit oder ohne Epidemie, mit oder ohne Shutdown. Das – durchaus verdiente – Grünen-Bashing ist natürlich viel einfacher. Ändert aber nix. Revolutionäre Grüße aus dem Home-Office!

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