Die Wiener Linien gelten als Top-Betrieb. In der gesamten bisherigen Pandemie-Zeit haben Sie den Betrieb nach außen hin reibungslos aufrechterhalten. Wenn man allerdings Bus- und Straßenbahn-Fahrerinnen und ‑fahrern zuhört, ergibt sich ein etwas anderes Bild.
Wien. Fast 9.000 Menschen sind beim größten städtischen Verkehrsbetrieb des Landes, den Wiener Linien, beschäftigt. Etwa 4.000 davon lenken täglich und bei jeder Witterung Bus, Straßen- und U‑Bahn. 2019 haben die Fahrzeuge der Wiener Linien 78,1 Millionen Kilometer abgespult. Das sind täglich 214.000 Kilometer – oder anders gesagt, mehr als fünf Mal rund um die Erde. Die meisten Kilometer legen die Busse zurück (39,6 Mio. km), gefolgt von den Straßenbahnen (22,9 Mio. km) und den U‑Bahnen (15,6 Mio. km).
Als Tochtergesellschaft der Wiener Stadtwerke gehören die Wiener Linien zu 100 Prozent der Stadt Wien, aber eben als ausgliedertes Unternehmen. Deshalb gibt es in der heutigen Belegschaft sowohl Beamte, aus der Zeit, als die Wiener Linien noch direkt zur Wiener Stadtverwaltung gehörten, als auch Beschäftigte nach dem ASVG, also ganz normale ArbeiterInnen und Angestellte. Das führt zum Beispiel dazu, dass es sowohl Betriebsräte, als auch Personalvertreter gibt.
24-Stunden-Betrieb, ständig wechselnde Arbeitszeiten, verkürzte Ruhezeiten
Buslenkerinnen und Buslenker im Ortslinienverkehr Wien (Wiener Linien sowie alle Privatfirmen, die im Auftrag der Wiener Linien fahren) waren auch vor der Corona-Krise elitär mit besonderem Anforderungsprofil:
Buslenker betreiben über 130 Buslinien bei ca. 850 km Linienlänge mit über 200 Millionen Fahrgästen/Jahr und 40 Millionen km – Leistung/Jahr. Dieses bei größtem Verkehrsaufkommen und erhöhten Stresssymptomen mit bis zu 8 Stunden (und mehr) – Schichten/Tag.
Sie decken bei ständig steigendem Anforderungsprofil einen 24 Stundenbetrieb ab. Dieser erfordert Dienstschichten zu allen Tages- und Nachtzeiten, auch an Wochenenden und Feiertagen; kein Tag gleicht dem anderen: Die FahrerInnen haben täglich verschiedene Beginn- und Endzeiten sowie unregelmäßige Pausen. Es ergeben sich dadurch Zeitverschiebungen, die einem Jetlag von mehreren Stunden gleichen.
Medizinisch gesehen wirkt sich aber sogar schon die Zeitumstellung (2x im Jahr Sommer- und Winterzeit) von einer Stunde auf den Körper negativ aus. Um wie viel gesundheitsschädigender ist daher eine Dienstfolge, deren Zeitverschiebungen zwischen zwei Tagen bis zu sechs Stunden beträgt und auch die Folgetage das ganze Jahr über unterschiedlichste Dienstzeiten aufweisen, was ein chronisches Jetlag-Syndrom bewirkt.
Richard Brandl, Betriebsrat bei den Straßenbahnern, erzählt: „Wir erfahren unseren Dienst maximal 4 Tage im Voraus und haben täglich andere Beginn- und Endzeiten. Auch sind die Schichtlängen täglich unterschiedlich und können von beinahe 8 Stunden bis zu 14 Stunden (mit einer unbezahlten Unterbrechung von wenigen Stunden) andauern. Unsere tägliche Ruhezeit darf entgegen dem normalen Job auf bis zu 9 Stunden reduziert werden, bis vor ein paar Jahren waren es sogar nur 6 Stunden. Das muss man sich einmal vorstellen, was das bedeutet, wenn Menschen welche überlange, unregelmäßige und unplanbare Arbeitsschichten mit tonnenschweren Fahrzeugen inklusive vielen zu beförderten Menschen ableisten, dann vielleicht nur 6–8 Stunden Ruhezeit bis zum nächsten Arbeitsantritt Zeit haben.“
Solche Arbeitszeiten sind gesundheitlich noch bedenklicher als die eines momentan gesetzlich anerkannten Schwerarbeiters mit 36 Stunden Nachtarbeit an sechs Werktagen im Monat. Jeder Mediziner (auch Arbeitsmediziner), der seine Verantwortung ernst nimmt und nicht politisch manipuliert ist, müsste das bestätigen.
Hinzu kommen aber noch weitere Belastungen physischer und psychischer Art, die ein anerkannter Schwerarbeiter nicht hat, außer er ist auch noch Schichtarbeiter, wie uns Herbert Weidenauer, Personalvertreter und selbst Busfahrer, berichtet: „Permanent wechselnder Schlafrhythmus (führt zu Schlafstörungen, Kollegen berichten, dass sie dadurch oft nur 3 – 5 Stunden schlafen können), extremer Zeitdruck auf den Linien (erhöhter Adrenalinspiegel führt zu Herz- und Kreislaufproblemen), Körperverletzungen bis zu Morddrohungen durch Fahrgäste, erhöhtes Infektionsrisiko (Fahrgastwechsel von bis zu 2500 Personen pro Tag), permanente Strahlenbelastung durch Handys (umgekehrter Faraday’scher Käfig), Feinstaub- und Lärmbelastung (ab 65 Dezibel Dauerbelastung gesundheitsgefährdend), Erschütterungen aufgrund schlechter Straßenzustände und Kopfsteinpflaster (ca. 2000 Stöße in den Rücken pro Schicht führen zu Wirbelsäulenproblemen), soziale Isolation aufgrund der Dienstfolgen (Zerstörung familiärer Beziehungen etc.) – um nur einige zu nennen“
Kritiker werden gekündigt
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie schildert Herbert so: „Währenddessen sich halb Wien (auch unsere Direktion) eingeigelt hat, haben wir Wien am Laufen gehalten und sind sozusagen unverzichtbar geworden. Die dadurch entstandenen Turbulenzen halten leider bis heute an: Der Krisenstab besteht aus 15 Personen, Maßnahmen werden zum Teil diktatorisch am Papier zur Wahrheit gestempelt. Ein kleines Beispiel: 7 Personen sind in der Nacht zuständig, in drei Busgaragen alle Fahrzeuge (ca. 400 Stück!!!) zu reinigen und zu desinfizieren.“
Auf ähnliche Missstände hatte Richard Brandl als Personalvertreter bei den Straßenbahnen hingewiesen, nämlich, dass eine tatsächliche Desinfektion der Garnituren mit dem vorhandenen Reinigungspersonal schlicht und einfach unmöglich ist, und wurde dafür mit Zustimmung der SP-Mehrheit in der Personalvertretung gekündigt (wir berichteten). Im übrigen erging es einem Personalvertreter der Wiener Berufsrettung ebenso, weil er in der Terrornacht vom 2. November in der ZIB2 die Missstände und Personalknappheit kritisiert hatte (siehe unseren damaligen Bericht). Auch hier wurde eine Kündigung mit Billigung der SP-Gewerkschafter ausgesprochen. Die alles erdrückende SP-Mehrheit in der Belegschaftsvertretung doppelt sozusagen die SPÖ-Eigentümervertreter auf Gemeindeebene. Zum Teil sogar in ein- und derselben Person. So ist der Vorsitzende der Gewerkschaft Younion, der auch offiziell noch als dienstfreigestellter Personalvertreter der Wiener Linien geführt wird und von dort zusätzlich zu seinem Gemeinderatsbezug auch noch 75 Prozent der Bezüge erhält, ohne je als Personalvertreter tätig zu sein, als SPÖ-Gemeinderat und stellvertretender SPÖ-Klubobmann zugleich Vertreter des Dienstgebers. Dass Kündigungen kritischer Personalvertreter von Meidlinger und seinen FSG-Genossen einfach nur durchgewunken werden, entspricht diesen tatsächlichen Verhältnissen, dass zwischen Dienstgeber und Dienstnehmervertretung de facto kein Unterschied besteht. Beide Personalvertreter haben übrigens angekündigt, ihre Kündigung beim Arbeits- und Sozialgericht zu bekämpfen.
Busfahrer fordern geschlossene Kabinen
Als Schutzmaßnahme für die BuslenkerInnen werden seit Beginn der Pandemie die vordersten Sitzreihen mit einem Absperrband gesperrt (siehe Foto), und der Ein- und Ausstieg ist bei der vorderen Tür nicht mehr möglich. Dies ist zwar besser als nichts, aber „die Viren wissen wahrscheinlich nicht, dass sie beim Bandl nicht vorbeidürfen“, meint ein Buslenker.
Personalvertreter und Busfahrer Herbert Weidenauer verlangt für alle im Wiener Ortslinienverkehr fahrenden Busse gleiche Standards: „Dazu würde unter anderem eine geschlossene Fahrerkabine gehören, wie sie in anderen Ländern längst Standard ist, das reduziert das Infektionsrisiko, schützt vor Feinstaubbelastung sowie tätlichen Angriffen, die derzeit ca. 5000 durch die Absperrungen verloren gegangenen Fahrgastplätze würden auch in kommenden Pandemien dadurch wieder vorhanden sein.“
Zahlenquelle: wienerlinien.at