„Arbeitend leben oder kämpfend sterben!“ – Unter diesem Motto kam es am 21. November 1831 zur ersten Revolte der Seidenweber von Lyon gegen die kapitalistische Ausbeutung.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Lyon eines der Zentren der Seidenweberei in Frankreich. Nicht weniger als 38.000 Arbeiterinnen und Arbeiter waren an den Webstühlen und Maschinen der Stadt beschäftigt, was rund 25 Prozent der Bevölkerung entsprach. Indirekt lebte gut die Hälfte der Menschen in und um Lyon von der Seidenproduktion, wobei Seide als Stoff natürlich ein Luxusgut für die Reichen darstellte.
Das System war 1831 zum größeren Teil noch vorindustriell organisiert, doch es entsprach maximalen kapitalistischen Ausbeutungsbedingungen. Bis zu 400 Fabrikanten beschäftigten etwa 8.000 Webermeister, denen wiederum 30.000 Gesellen oder Arbeiter unterstellt waren, darunter auch Frauen und Kinder. Reich wurden mit der Seidenproduktion natürlich nur die Erstgenannten, während die Weber kontinuierlich trotz Arbeit verarmten. Binnen 20 Jahren hatten sich die Löhne halbiert, viele Arbeiter landeten wegen Schulden im Gefängnis. Ende Oktober 1831 wurde unter Aufsicht des staatlichen Präfekten von Lyon daher ein Mindestlohn verhandelt, um den Arbeitern wenigstens das Überleben zu sichern. Doch am 10. November beschlossen hunderte Fabrikanten, dass sie sich nicht an die Tarifvereinbarung halten würden – dabei beriefen sie sich auf die internationale Konkurrenz und auf die „Freiheit des Marktes“.
Die Arbeiter reagierten am 21. November und riefen einen einwöchigen Streik aus. Die Webstühle standen still und die Streikenden versammelten sich im Vorort Croix-Rousse, um einen Demonstrationszug in die Innenstadt von Lyon durchzuführen. Doch auf dem Weg stellte sich ihnen die Gendarmerie entgegen – sie schoss in die Menge und es gab die ersten Toten. Dies wiederum war für die Arbeiter der Anlass zur Revolte, der Übergang vom Ausstand zum Aufstand. Behelfsmäßig bewaffnet – mit Stöcken und Knüppeln – kehrten sie nach einem vorübergehenden Rückzug an die Front zurück. Berühmt wurde das schwarze Transparent mit der Aufschrift: „Vivre en travaillant, ou mourir en combattant!“ – „Arbeitend leben oder kämpfend sterben!“
Am 22. November gewannen die kämpfenden Arbeiter die Oberhand, nachdem die zivile Nationalgarde zu ihnen übergelaufen war. Die Kaserne Bon-Pasteur wurde eingenommen, wodurch sich die Aufständischen mit modernen Schusswaffen ausstatten konnten. Schließlich räumten die Armee und die Gendarmerie das Feld – und sogar die Innenstadt von Lyon, die evakuiert wurde. Die Arbeiter, die aber auch rund 200 Opfer zu beklagen hatten, besetzten das Rathaus und hielten die Macht in ihren Händen. In diesem Moment zeigte sich jedoch die Begrenztheit der Revolte: Zwar wurde ein Ausschuss gebildet, doch dieser verfolgte kein politisches Programm oder gar revolutionäre Ziele. Explizit wollte man nur die Lohnvereinbarung durchsetzen.
So kam es, wie es kommen musste: Am 5. Dezember rückte die französische Armee mit 20.000 Soldaten an, um den Aufstand auf blutige Weise zu beenden, was mit überlegener Truppenstärke und Bewaffnung auch gelang. 600 Arbeiter wurden getötet, 10.000 aus der Stadt vertrieben, einige, die mit Strafprozessen bedacht wurden, und landeten im Kerker. Der vereinbarte Mindestlohn wurde von einem neuen Präfekten natürlich wieder abgeschafft, d.h. die Seidenweber mussten weiterhin zu Hungerlöhnen arbeiten. Um weitere Aufstände zu verhindern, errichtete die Armee ein neues Militärfort, mit dem das Industriegebiet von Croix-Rousse von der Lyoner Innenstadt getrennt wurde. Trotzdem kam es im April 1834 zu einer neuen Revolte, die abermals nur mittels massiver Anzahl von Soldaten und mit Artillerie niedergeschlagen werden konnte.
Die beiden Aufstände der Seidenweber von Lyon 1831 und 1834 gehören zur frühen Geschichte des mutigen Widerstandes der französischen Arbeiterklasse gegen die kapitalistische Ausbeutung. Dass ein Aufstand jedoch auch ein politischer sein muss, um die Unterdrückung zu überwinden, war damals noch nicht einsichtig. Damit eine Revolte zur Revolution wird, braucht es die politische Organisierung der Arbeiterklasse in Kampforganisationen, ein entsprechendes Bewusstsein und eine Strategie. Dieses Wissen steuerte erst eineinhalb Jahrzehnte später der wissenschaftliche Sozialismus bei, wie er von Karl Marx und Friedrich Engels entwickelt wurde.