Der Rechtsstreit um die „Islam-Landkarte“ dauert an, nachdem die Veröffentlichung von Privatadressen zu Übergriffen auf Muslime führte und die Muslimische Jugend erfolgreich deren Entfernung vor Gericht forderte. Trotz der Bestätigung der Entscheidung durch den Verfassungsgerichtshof geht der Rechtsstreit weiter, da die Universität Wien erneut Beschwerde eingelegt hat.
Wien. Was hat mehr Gewicht: die Freiheit der Wissenschaft oder der Schutz persönlicher Daten? Eben diese Frage steht im Mittelpunkt des Rechtsstreits rund um die kontroverse „Islam-Landkarte“, der nun in eine weitere Phase eintritt. In Wahrheit aber muss man schon zu Anfang feststellen, dass die Frage schlecht gestellt ist, denn die Veröffentlichung von persönlichen Daten hat rein gar nichts mit Freiheit der Wissenschaft zu tun.
Seit etwa vier Jahren läuft der Rechtsstreit um die „Islam-Landkarte“. Auf dieser sind rund 300 islamische Einrichtungen und Vereine aus Wien verzeichnet, teilweise auch mit Privatadressen. Da diese Veröffentlichung zu Übergriffen auf Muslime führte, klagte die Muslimische Jugend und verlangte vor Gericht die Entfernung der Adressen.
Verfassungsgerichtshof: Privatsphäre verletzt
Der Verfassungsgerichtshof stellte kürzlich fest, dass die „Islam-Landkarte“ in Teilen aus datenschutzrechtlichen Gründen unzulässig war. Dennoch hat die Universität Wien, die das Forschungsprojekt verantwortet, erneut Beschwerde eingelegt.
Adis Serifovic, der Vorsitzende der Muslimischen Jugend Österreich, fand auch seine Privatadresse auf der „Islam-Landkarte“ veröffentlicht – mit spürbaren Folgen. Wie er gegenüber „Wien heute“ berichtete, stand eines Tages ein Fremder vor seiner Tür: „Eine Person stand vor meiner Tür wollte mal schauen, ob das die Muslimische Jugend ist (…). Ich hab mir irrsinnige Sorgen gemacht und auch danach war das einer der Gründe, warum ich gesagt habe, wir wollen dort nicht mehr wohnen.“
Nicht jeder islamische Verein ist zugleich politischer Islam
Die „Islam-Landkarte“ existiert seit 2012 und wurde 2021 unter der ÖVP-Integrationsministerin Susanne Raab in Zusammenarbeit mit der neu gegründeten Dokumentationsstelle Politischer Islam überarbeitet. Diese Neuauflage führte zu heftiger Kritik an der Universität Wien, die die Website betreibt.
„Damals war es ein Problem, weil es finanziert wurde von der Dokumentationsstelle Politischer Islam. Das heißt alle Organisationen, die dort auffindbar sind, wurden automatisch verbunden mit der Gefahr des politischen Islam, wobei es doch geheißen hat, es soll nur die muslimische Landschaft in Österreich darstellen“, sagte Serifovic.
Antimuslimische Übergriffe
Die Veröffentlichung der „Islam-Landkarte“ führte zu Übergriffen auf Musliminnen und Muslime. Dies war einer der Gründe, warum die Muslimische Jugend seit Jahren rechtlich gegen die Offenlegung von Privatadressen vorgeht. Sie beruft sich dabei auf die Verletzung ihres Grundrechts auf Privatsphäre – eine Argumentation, mit der sie vor Gericht Erfolg hatte.
„Das Bundesverwaltungsgericht ist ganz eindeutig zum Ergebnis gekommen, dass er gesagt hat, für das, was hier die „Islam-Landkarte“ leisten soll, ist es überhaupt nicht notwendig, diese personenbezogenen Daten anzuführen“, erklärte Maria Windhager, Anwältin der Muslimischen Jugend Österreich, im Gespräch mit ORF Wien.
Diese Entscheidung wurde kürzlich auch vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) bestätigt, woraufhin die Adressen der Muslimischen Jugend Österreich von der Seite entfernt wurden. Doch der Rechtsstreit ist noch nicht beendet: Die Universität Wien, die das Forschungsprojekt verantwortet, hat Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof (VwGH) eingelegt.
„Der VwGH werde die Rechtsfragen abschließend klären, so die Erwartung“, erklärte die Universität Wien gegenüber „Wien heute“. Sie betonte, dass die Wissenschaftsfreiheit ein hohes Gut sei, das sorgfältig gegen das Recht auf Datenschutz abgewogen werden müsse.
Adressen im Grunde weiterhin sichtbar
Auch die Muslimische Jugend Österreich sieht weiterhin Handlungsbedarf. Serifovic erklärte, dass die Adresse im Textteil bereits entfernt wurde, was positiv sei, jedoch im Landkartenteil nach wie vor durch Hineinzoomen die Adresse zugänglich sei, wie sie ursprünglich dort abgebildet war.
Es ist schon sonderbar, dass sich die Universität Wien plötzlich so vehement auf die Seite der Wissenschaftsfreiheit stellt, insbesondere bei einem Projekt, das zu Islamophobie beitragen kann. Inzwischen bleibt jedoch die Frage unbeantwortet, warum die Universität nicht genauso energisch gegen die fortschreitende Bildungsökonomisierung vorgeht. Die zunehmende Einflussnahme von Unternehmen auf Hochschulen, die durch das Universitätsgesetz unterstützt wird, ist das eigentliche Problem, wenn man sich plötzlich die Wissenschaftsfreiheit auf die Fahnen schreibt.
Der Universitätsrat, oft besetzt von Wirtschafts- und Bankvertretern, nimmt strategische Entscheidungen über die Hochschulen vor und schränkt die Rechte des gewählten Uni-Senats ein. In der aktuellen Bildungspolitik, die von allen bürgerlichen Parteien gleichermaßen verfolgt wird, geht es zunehmend um die Degradierung der Hochschulen: Die Qualität der Lehre leidet, die Arbeitsbedingungen für Wissenschaftler verschlechtern sich, und Studierende sehen sich mit prekären Lebens- und Lernbedingungen konfrontiert. In diesem Kontext ist es schwer nachvollziehbar, warum die Universität bei Themen wie Islamophobie so problematisch auftritt, während sie tatenlos die neoliberale Umstrukturierung des Hochschulwesens mitträgt. Und wem die Veröffentlichung privater Wohnadressen innerhalb der Wissenschaft nützen soll, bleibt ebensowohl eine unbeantwortete Frage.
Quelle: ORF