Berichte von Human Rights Watch und FairSquare werfen Saudi-Arabien schwere Versäumnisse im Umgang mit Arbeitsmigranten vor: Zahlreiche vermeidbare Todesfälle, mangelnde Sicherheitsstandards und fehlende Entschädigungen belasten das Milliardenprojekt rund um die Fußball-WM 2034. Anders als beim vorherigen Gastgeber Katar gibt es bislang keine unabhängige Kontrolle – mit potenziell katastrophalen Folgen.
Riad. Eine größere Anzahl an Arbeiterinnen und Arbeiter aus Ländern wie Indien, Bangladesch und Nepal sind in Saudi-Arabien durch vermeidbare Todesfälle ums Leben gekommen – etwa durch Stromschläge, Verkehrsunfälle, Stürze aus großer Höhe und andere Ursachen. Das geht aus einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hervor, der am Mittwoch veröffentlicht wurde.
Human Rights Watch und eine weitere Organisation, FairSquare, legten am Mittwoch jeweils eigene Untersuchungen vor, die vermeidbare Todesfälle von Arbeitsmigranten durch Arbeitsunfälle und berufsbedingte Krankheiten dokumentieren.
Todesfälle unter den Teppich gekehrt
Die Berichte werfen den saudischen Behörden vor, solche Todesfälle häufig falsch zu melden und nicht zu untersuchen. Dadurch würden die betroffenen Familien daran gehindert, Entschädigungen vom Königreich zu erhalten, auf die sie Anspruch hätten, und zu erfahren, wie ihre Angehörigen ums Leben kamen.
Während Saudi-Arabien mit Hunderten Milliarden Dollar Infrastruktur- und Entwicklungsprojekte vorantreibt – darunter die Fußball-Weltmeisterschaft der Männer 2034 und die futuristische Stadt Neom – warnen Menschenrechtsgruppen vor Tausenden weiteren vermeidbaren Todesfällen in den kommenden Jahren.
Keine Gerechtigkeit für die Hinterbliebenen
In einem Fall, so berichtet Human Rights Watch, wurde ein bangladeschischer Arbeiter bei der Arbeit durch einen Stromschlag getötet. Sein Arbeitgeber habe jedoch die Herausgabe des Leichnams verweigert und der Familie mitgeteilt, dass sie nur dann eine Entschädigung erhalten würde, wenn sie einer lokalen Beisetzung zustimme.
Eine andere Familie berichtete, dass sie fast 15 Jahre auf eine Entschädigung durch die saudische Regierung warten musste.
„Es ist äußerst dringend, dass die saudischen Behörden und die FIFA grundlegende Schutzmaßnahmen für Arbeitsrechte einführen“, sagte Minky Worden, Direktorin für globale Initiativen bei Human Rights Watch, gegenüber der Nachrichtenagentur Associated Press.
FairSquare, das in den letzten 18 Monaten die Todesfälle von 17 nepalesischen Vertragsarbeitern in Saudi-Arabien untersucht hat, warnte in seinem Bericht, dass ohne Rechenschaftspflicht „Tausende unerklärlicher Todesfälle“ unter schlecht bezahlten ausländischen Arbeitskräften zu erwarten seien.
„In manchen Fällen werden Familien von Geldverleihern bedrängt, weil der (verstorbene) Ehemann oder Vater Schulden aufgenommen hatte, um in die Golfstaaten auszuwandern“, sagte James Lynch, Co-Direktor von FairSquare.
Lage schlimmer als in Katar
Saudi-Arabien sieht sich seit Langem mit Vorwürfen wegen Arbeitsmissbrauch und Lohndiebstahl im Zusammenhang mit dem Projekt Vision 2030 konfrontiert – einem milliardenschweren Vorhaben zur Diversifizierung der Wirtschaft über die Ölindustrie hinaus.
Die FIFA teilte der Nachrichtenagentur AP ein Schreiben mit, das sie im vergangenen Monat an Human Rights Watch geschickt hatte, in dem sie die Auswahl Saudi-Arabiens als Gastgeber der Fußball-Weltmeisterschaft 2034 verteidigte.
In dem Schreiben wurden die saudischen Verpflichtungen hervorgehoben, ein „System zum Wohlergehen von Arbeitskräften“ einzurichten und den „landesweiten Arbeitsschutz unter anderem durch eine verstärkte Zusammenarbeit“ mit der Internationalen Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen auszubauen.
Doch diesmal, so warnt Minky Worden, könnte die Situation für ausländische Arbeitskräfte noch schlimmer werden. Denn die Weltmeisterschaft 2034 erfordere mehr Stadien und Infrastruktur, da mehr Mannschaften teilnehmen sollen.
Katar richtete ein Aufsichtsgremium namens Supreme Committee ein, das die FIFA-Baustellen überwachte und Berichte über unsichere Arbeitsbedingungen entgegennahm.
„Ein solches Gremium gibt es in Saudi-Arabien nicht“, sagte Minky Worden und fügte hinzu: „Am Ende hatte Katar konkrete Maßnahmen wie Lebensversicherungen und Hitzeschutz. So etwas gibt es derzeit in Saudi-Arabien nicht.“
Quelle: AssociatedPress