Linz. Die Nachricht aus Linz macht fassungslos, auch noch zwei Tage, nachdem der Fall in den Schlagzeilen war: Eine obdachlose Frau, die nach einem brutalen sexuellen Übergriff Hilfe suchte, wurde im Kepler Uniklinikum abgewiesen. Der Vorfall löst berechtigterweise Empörung aus. Die zuständige Landespolitikerin nennt das Vorgehen „inakzeptabel“, das Spital gelobt Besserung und will sein Personal „sensibilisieren“. Doch reicht das?
Nein – es reicht nicht. Wer diesen Fall nur als Folge mangelnder Schulung oder eines internen Kommunikationsfehlers deutet, verkennt das Grundproblem: Gewalt gegen Frauen – insbesondere gegen wohnungslose, armutsbetroffene oder psychisch belastete Frauen – ist nicht nur ein individuelles, sondern ein strukturelles Problem. Die Abweisung war kein bloßer „Einzelfall“, sondern Ausdruck eines Systems, das einerseits Frauen vielfach nicht glaubt, und in dem Menschen in Armut konsequent an den Rand drängt – und sie im schlimmsten Fall buchstäblich vor verschlossener Tür stehen lässt. Eine obdachlose Frau scheint ihr ein rechtloses Opfer im Kapitalismus. Nicht nur Beschäftigte in Krankenhäusern sind hier zu wenig sensibilisiert, auch Polizei und Justiz haben Nachholbedarf! Der Fall ist umso schockierender, als dass zwei Sozialarbeiterinnen das Opfer ins Kepler Universitätsklinikum begleiteten, diese das Klinikum im Vorfeld anriefen und sich erkundigten, ob sie mit der Frau, die vergewaltigt und gewürgt wurde, zu einer Untersuchung kommen können und sie trotzdem abgewiesen wurden. Die Frau hatte somit sogar Fürsprecherinnen und dennoch wurde man weggewiesen, mit dem Hinweis, dass man keine Aufnahme hätte.
Gewaltschutz beginnt nicht erst mit der Frage, wie medizinisches Personal, die Polizei oder Justiz reagieren. Er beginnt mit dem Recht auf ein sicheres Zuhause. Mit barrierefreiem Zugang zur Gesundheitsversorgung. Mit existenzsichernden Einkommen und psychischer Begleitung, die nicht von der Geldbörse abhängt. Die betroffene Frau hatte all das nicht. Sie war obdachlos, psychisch instabil – und damit im kapitalistischen Normalbetrieb nicht vorgesehen. Das Ergebnis: Verweigerte Hilfe, Retraumatisierung, verlorenes Vertrauen.
Wenn die Politik nun mit erhobenem Zeigefinger auf die Klinik zeigt, lenkt sie ab – auch von der eigenen Verantwortung. Es war dieselbe Politik, die Krankenhäuser kaputtgespart hat, den Sozialstaat ausgehöhlt und einen prekären Wohnungsmarkt befeuert, der Menschen ins Elend treibt. Dass es nun „mehr Sensibilisierung“ braucht, ist richtig – aber es bleibt ein Tropfen auf den heißen Stein, solange die strukturellen Ursachen nicht bekämpft werden, auch Gewaltschutzambulanzen werden das Problem nicht lösen, wenngleich diese natürlich begrüßenswert sind. Es braucht auch ein Recht auf Wohnen. Ein Recht auf umfassende Gesundheitsversorgung – kostenlos, anonym, niederschwellig. Und es braucht eine Gesellschaft, in der menschliche Würde nicht vom Geldbeutel abhängt.
Quelle: Kurier