Die kleine Gemeinde Cintano im Piemont überwindet Traditionen, die zu Recht auf die Müllhalde der Geschichte gehören.
Cintano/Turin. Dem einstigen italienischen faschistischen Diktator Benito Mussolini wird mit sofortiger Wirkung die Ehrenbürgerschaft von Cintano (Metropolitanstadt Turin) aberkannt. Die kleine Gemeinde von Cintano, die etwa 252 Einwohner zählt, radiert somit eine verquere Tradition aus, die 1923 ansetzte, um einen vermeintlichen politischen Konsens um Mussolini (und damit gegen seine Opposition) zu zementieren.
Stattdessen Segre und Modiano zuerkannt
Im Gegensatz dazu wird zwei Opfern des Holocausts die Ehrenbürgerschaft verliehen. Dabei handelt es sich einerseits um die bekannte Senatorin auf Lebenszeit Liliana Segre, die aus einer jüdischen Familie stammt und der im Zuge der italienischen Rassengesetze der Schulbesuch verboten wurde. Mit 13 Jahren wurde sie ins KZ Auschwitz-Birkenau deportiert, ihre Häftlingsnummer lautete 75190. Sie überlebte Auschwitz, den Todesmarsch nach Deutschland und das KZ Malchow (Außenlager des KZ Ravensbrück), ehe sie von der Roten Armee befreit wurde. Beim zweiten handelt es sich um den auf Rhodos gebürtigen Samuel (Sami) Modiano, dem ebenfalls infolge der italienischen Rassegesetze 1938 der Schulbesuch verwehrt wurde. Er wurde im Zuge des Waffenstillstands von Cassibile (1943) zusammen mit anderen 776 Jugendlichen, von denen nur 25 überlebten, im KZ Auschwitz-Birkenau interniert und entkam durch Glück und Zufall mehrmals den Gaskammern.
Für und wider
„Der Entschluss wurde gefasst, um zu gewährleisten, dass künftige Generationen die Shoah niemals vergessen“, erläuterte der Bürgermeister Daniele Contini die Entscheidung, Mussolini die Ehrenbürgerschaft ab- und sie den beiden Holocaust-Überlebenden zuzuerkennen. Auch gehe es dabei um eine definitive Stellungnahme gegen „jede Form von Hass und Rassendiskriminierung“, so Contini.
An sich ein positives Ereignis, das auf einer ideologischen Ebene als Exempel gegen Faschismus, im engeren und vereinfachten Sinne hier als Rassismus interpretiert, sowie als Bekenntnis zu den Opfern des Faschismus dienen kann, jedoch auch die Frage aufwirft, warum dieser Schritt bis ins Jahr 2020 dauern musste. Die Opposition gegen eine Aberkennung der Ehrenbürgerschaften Mussolinis (die nicht nur aus typischen Lega-Exponenten besteht, sondern auch von PD-Leuten unterstützt wird) argumentiert hierbei mit einem falschverstandenen Kampf gegen vermeintlichen Geschichtsrevisionismus, wie es etwa die Bürgermeister von Bergamo oder Salò vor kurzem an den Tag legten, die solche Bestrebungen als „anachronistisch“ oder als „eine Art Revanche im Nachhinein, die aber nichts ändern würde“ (Giorgio Gori, PD), bezeichneten.
Zuletzt wurde Mussolini die Auszeichnung als Ehrenbürger von der etwa 3.000 Einwohner zählenden Gemeinde Nus (Aosta) Mitte Februar dieses Jahres erfolgreich aberkannt.
Quelle: TGCOM24/LaStampa/Cittadinanza