Das nach den Februarkämpfen 1934 durchgesetzte „Ständestaat“-Regime ist in seiner Charakteristik umstritten. Tatsache ist, dass es Österreich binnen vier Jahren dem deutschen Faschismus auslieferte.
Georgi Dimitroff charakterisierte den Faschismus 1935 im Sinne einer besonderen bürgerlichen Herrschaftsform als „die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, der am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.“ [1] Damit ist in wenigen Worten recht viel über Ursache, Herkunft, Funktion und Zielsetzung des Faschismus gesagt, daher nur noch einmal eine kurze Rekapitulation: Der spezifische Klassencharakter des Faschismus ist ein finanzkapitalistischer, d.h. er markiert die Herrschaft der Monopolbourgeoisie oder der Finanzoligarchie, womit seine historische Verortung gleichzeitig am monopolkapitalistischen Stadium des Kapitalismus, am Imperialismus festgemacht ist. Der Faschismus ist weiters die offene Diktatur im Gegensatz zur verdeckten des bürgerlich-demokratischen Parlamentarismus; er ist Terrorherrschaft im Gegensatz zum bürgerlichen Rechtsstaat; die Ausrichtung der faschistischen Diktatur ist besonders reaktionär, d.h. nicht nur antiliberal, sondern v.a. konsequent antisozialistisch und antikommunistisch; der Faschismus stützt sich zumeist auf einen überaus chauvinistischen Nationalismus, im Inneren wie nach außen; zuletzt bedeutet der Faschismus eine aggressive Außenpolitik, nicht nur diplomatischer, sondern v.a. ökonomischer und auch militärischer Natur, in ihrer Intensität freilich nach Maßgabe der regionalen und globalen Stärke des betreffenden Staates.
Das Dollfuß/Schuschnigg-Regime 1934–1938 ist im Rahmen einer Typologie des Faschismus nicht leicht einzuordnen und weist seine Besonderheiten auf. „Das österreichische Ständestaatsregime hat sich“, schreibt Kurt Gossweiler, „nach dem Februar 1934 und der Maiverfassung als die österreichische Ausprägung einer faschistischen Diktatur entfaltet. Damit ist zugleich gesagt, dass sie trotz vielfacher Ähnlichkeiten keine Kopie irgendeines anderen faschistischen Regimes war, weder in ökonomischer noch in politischer oder ideologischer Hinsicht. Die Besonderheiten der Existenzbedingungen des österreichischen Kapitalismus – vor allem die Spaltung der Monopolbourgeoisie und dementsprechend auch des Faschismus in ein großdeutsches und ein österreichisches Lager, die Abhängigkeit des kleinen Landes von den europäischen Großmächten und auch von seinen unmittelbaren Nachbarn – um nur diese Faktoren zu nennen –, mussten dem Austrofaschismus ihren Stempel aufdrücken.“ [2] So nimmt der Austrofaschismus eine Zwischenstellung ein zwischen den beiden Haupttypen der faschistischen Diktatur, nämlich zwischen der totalitär-faschistischen Diktatur („Massenparteifaschismus“; Hitler-Deutschland, Mussolini-Italien) und der autoritär-faschistischen Diktatur („Militärfaschismus“, z.B. Horthy-Ungarn, Pinochet-Chile). Der Austrofaschismus weist Elemente beider Varianten sowie ganz eigentümliche Besonderheiten auf (z.B. die Rolle der katholischen Kirche). Der faschistische Charakter der Dollfuß- und Schuschnigg-Diktatur ist dadurch jedoch nicht in Frage gestellt.
Eine im Hinblick auf das Ende des austrofaschistischen Regimes im März 1938 besonders relevante Eigenheit spricht Gossweiler oben an: die Spaltung der österreichischen Großbourgeoisie. Diese Spaltung bedeutete jedoch nicht etwa einen demokratischen und einen faschistischen Flügel, sondern zwei faschistische Flügel, die nebeneinander verschiedene Konzepte verfolgten und in Konkurrenz standen. Auf der einen Seite waren die austrofaschistischen Kräfte, repräsentiert durch die reaktionärsten Führer der Christlichsozialen Partei (CSP, Vorläufer der ÖVP) und die Mehrheit der Heimwehrbewegung, bemüht, die staatliche Eigenständigkeit Österreichs zu bewahren. Auf der anderen Seite orientierte sich der großdeutsch eingestellte Flügel am deutschen NS-Faschismus.
Dass sich die NS-Orientierung, in Österreich vertreten durch die hiesige Filiale der NSDAP, 1938 letztlich durchsetzte und die Austrofaschisten kapitulierten, war nicht nur der Übermacht Hitler-Deutschlands geschuldet, sondern auch inneren Faktoren. Der Austrofaschismus konnte die Erhaltung der österreichischen Souveränität gegenüber NS-Deutschland gar nicht gewährleisten, was ideologische und äußerst praktische Gründe hatte. „Mit der Niederschlagung der Arbeiterschaft“, schreibt Arnold Reisberg über den Februar 1934, „hatte der Austrofaschismus den Weg zum Nazifaschismus geebnet. Mit dem Verlust der Demokratie war die Widerstandskraft gegen die Lockungen des Hitler-Faschismus geschwächt, mit der Zerschlagung der Arbeiterorganisationen die stärkste Kraft im Kampf um die Unabhängigkeit Österreichs, die Arbeiterklasse, in die Illegalität gedrängt.“ [3] Die österreichischen Arbeiter, die sozialdemokratischen ebenso wie die kommunistischen, waren 1938 zwar willens, gegen die drohende Annexion durch NS-Deutschland mit allen Mitteln zu kämpfen – doch die Voraussetzung dafür war, dass die Schuschnigg-Regierung zu demokratischen und sozialen Reformen bereit war. Doch Schuschnigg hatte mehr Angst vor der Demokratie und der Arbeiterklasse als vor Hitler.
Dass der Austrofaschismus zum antinationalen Totengräber Österreichs wurde, war neben dem faschistischen Charakter des Regimes auch seinem ideologischen Hintergrund geschuldet. Der Austrofaschismus war zwar auf die staatliche Souveränität Österreichs orientiert – dies hatte jedoch bloß innere konkurrenzfaschistische Gründe. Dollfuß und Schuschnigg definierten Österreich explizit als „deutschen Staat“, die Österreicher somit als Deutsche. Die Ideologie des Austrofaschismus war deutschnational, aber antinationalsozialistisch – in diesem Sinne wurde Österreich nicht nur als zweiter, sondern auch als „besserer deutscher Staat“ als das Deutsche Reich propagiert. Auch dies erleichterte dem deutschen Faschismus schließlich die Okkupation und Annexion Österreichs. Dass man in der ÖVP – der alten wie der neuen – Dollfuß und Schuschnigg bis heute für Widerstandskämpfer hält, ist vielsagend. Das Wiedererstehen einer demokratischen und unabhängigen Republik Österreich 1945 ist maßgeblich das praktische wie ideologische Verdienst des tatsächlichen, des kommunistischen Widerstandes.
Endnoten:
[1] Dimitroff, Georgi: Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale im Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus. In: Ausgewählte Werke in zwei Bänden, Frankfurt/M. 1972, Bd. 2, S. 105.
[2] Gossweiler, Kurt: Faschistische Bewegungen und faschistische Diktatur in Österreich. In: Aufsätze zum Faschismus, Köln 1988, Bd. II, S. 679.
[3] Reisberg, Arnold: Februar 1934 – Hintergründe und Folgen. Wien 1974, S. 230.