In einer gewiss gut gemeinten Videobotschaft zieht die „steirische Eiche“ einen Vergleich zwischen dem Kapitolsturm und der „Reichskristallnacht“ – das ist nicht nur unangebracht, sondern auch historisch irreführend.
Los Angeles. Nach den Unruhen vor und im US-Kapitol in Washington D.C. wandte sich der Filmstar und kalifornische Ex-Gouverneur Arnold Schwarzenegger mit einer Videobotschaft an die Öffentlichkeit. Ausgehend von recht persönlichen Erlebnissen nach dem Zweiten Weltkrieg – Schwarzenegger wurde 1947 in der Steiermark geboren – schildert er seine Betrachtungen über den Sturm auf das Kongressgebäude, über die Verantwortung Donald Trumps sowie über die Notwendigkeit, Demokratie und Freiheit zu verteidigen. Hierfür hält er auch eine Filmrequisite aus „Conan, der Barbar“ (oder vielleicht „Conan, der Zerstörer“?) in die Webcam, nämlich sein Fantasy-Schwert. Auch zieht er historische Vergleiche zur größten Barbarei des 20. Jahrhunderts, zum deutschen NS-Faschismus. Das alles war sicher gut gemeint und fiel ihm als Mitglied der Republikanischen Partei wohl auch nicht ganz so leicht, doch ein wenig aus dem Ruder gelaufen ist es denn doch. Denn Schwarzenegger meinte u.a., mit dem Sturm auf das Kapitol habe man in den USA einen „Tag des zerbrochenen Glases“ erlebt, womit eine Parallele zur von den Nazis so betitelten „Reichskristallnacht“ von 1938 gezogen wird.
9. November 1938: „Reichskristallnacht“
Am 9. November 1939 inszenierten und organisierten die herrschenden Nazis in Deutschland ein reichsweites antisemitisches Pogrom, wobei hunderte deutsche und österreichische Juden und Jüdinnen ermordet oder in den Tod getrieben wurden. Tausende Synagogen, Gebetsräume und jüdische Einrichtungen wurden zerstört und in Brand gesetzt. Im Gefolge des Novemberpogroms verfrachtete das faschistische Diktaturregime zigtausende jüdische Bürger in Konzentrationslager. Das ist unterm Strich schon etwas wesentlich Anderes, als wenn ein von Trump aufgehetzter Demo-Mob in das Kapitol eindringt. Nicht nur, dass sich das Schicksal der kurzfristig vertriebenen demokratischen Abgeordneten des Senats und des Repräsentantenhauses kaum mit jenem der jüdischen Bevölkerung Europas vergleichen lässt, die bis 1945 einem millionenfachen, industriellen und systematischen Mord ausgesetzt war, sondern hier hinkt noch mehr. Das bereits seit 1933 an der Macht befindliche NSDAP-Terrorregime setzte mit dem Novemberpogrom den Startschuss zu einem Genozid, während der Trump-Schamane mit Fellmütze und Hörnern wohl eher erst den Sturz der herrschenden Verhältnisse in den USA im Sinn hat. Ein ernsthafter Putschversuch war es trotzdem nicht – nicht nur aus Dilettantismusgründen, sondern weil der Faschismus nur an die Macht kommt, wenn ihm diese von den monopolkapitalistischen Eliten und dem Militär übergeben wird. Diese Erfahrung musste übrigens auch die Hitler-Bagage machen, nämlich an einem anderen 9. November – jenem im Jahr 1923.
9. November 1923: Marsch auf die Feldherrnhalle
An diesem Tag (teilweise am späten Vorabend) fand der gescheiterte Hitler-Ludendorff-Putsch statt. Ausgehend von einer Veranstaltung im Münchner „Bürgerbräukeller“ setzten die Nazis damals bayrische Regierungsmitglieder, demokratische Politiker und Militärs fest, besetzten relevante Gebäude und marschierten zu Tausenden und bewaffnet zum Odeonsplatz (nicht wirklich auf die Feldherrnhalle, denn die ist eigentlich nur ein besseres Denkmal). Dort allerdings eröffnete die in der Residenz stationierte Einheit der Landespolizei das Feuer auf die Putschisten und Hitlers „Machtergreifung“ in München scheiterte. Insgesamt 20 Menschen starben an diesem 9. November 1923, die NSDAP wurde in der gesamten Weimarer Republik verboten und Hitler landete in Landsberg in Festungshaft – vorerst. Denn zu diesem Zeitpunkt hatten die bestimmenden Kreise des deutschen Monopol- und Finanzkapitals noch keine unmittelbare Verwendung für einen an der Macht befindlichen Faschismus. Es sollte noch zehn Jahre dauern, bis man Hitler an die Macht brachte, die systematische Judenverfolgung und ‑vernichtung ins Werk setze sowie schließlich den größten imperialistischen Krieg der bisherigen Geschichte begann.
Faschismus als strategische Reserve der Herrschenden
Wenn Schwarzenegger einen historischen Vergleich anbringen möchte, so sind wir in den USA gegenwärtig eher an diesem Punkt, beim 9. November 1923, nicht 1938: Rechtsextreme, rassistische, faschistische Gruppen sammeln und organisieren sich in den USA, sind aber noch weit davon entfernt, wirklich die Machtfrage stellen zu können. Jeder diesbezügliche Versuch muss in einem Scheitern enden, so wie der Marsch auf die Feldherrnhalle. Er wird erst gelingen, wenn die Herrschenden sich bewusst des Mittels der faschistischen Herrschaftsform bedienen wollen. Dass es jedoch bei der imperialistischen Großmacht USA, die sich langsam ihrer Positionen beraubt sieht, die gravierende innere gesellschaftliche, soziale und ökonomische Probleme sowie internationale Rückschläge aufzuweisen hat, aber immer noch über die größte Militärmaschinerie der Welt verfügt, irgendwann so weit kommen könnte, ist die eigentliche Erkenntnis, die man Herrn Schwarzenegger mit historischen Lehrbeispielen ans Herz legen möchte. Will man eine weitere autoritäre, repressive und aggressive Entwicklung des US-Imperialismus und ‑Militarismus unterbinden, so wird es auch mehr brauchen als den Kampf gegen „Egoismus und Zynismus“ oder hasserfüllte Tweets – und auch mehr als Conans Schwert. Den antiimperialistischen und antifaschistischen Kampf wird man auch nicht mit moralischen Apellen gewinnen sowie insbesondere nicht gemeinsam mit der US-Kapitalfraktion, die gegenwärtig eben der Demokratischen Partei nähersteht als den Republikanern, denn diese sind nur kommunizierende Gefäße und dieselbe Brut. Die politischen Figuren – auch Trump oder jeder US-Präsident – sind austauschbar und werden vom Monopolkapital nach Nützlichkeit eingesetzt, im Sinne der Profimaximierung, der imperialistischen Durchdringung der Welt sowie der optimalen Herrschaftsform, deren strategische Reserve der Faschismus bleibt. Mit aller Konsequenz und mit allen Konsequenzen. Solche Einsichten sind von einem Hollywood-Steirer freilich nicht zu erwarten.
Quelle: Kleine Zeitung