Pilton, Somerset. Mit einem palästinensischen Keffiyeh um die Schultern und der Faust in der Luft betrat Liam O’Hanna alias Mo Chara, Mitglied der irischen Rap-Gruppe Kneecap, die Bühne des renommierten Glastonbury Festivals – und mit ihm rund 30.000 Menschen, die „Free Palestine“ skandierten. Was folgte, war mehr als nur ein Konzert. Es war ein Akt des kulturellen Widerstands – gegen Repression, gegen politische Zensur und gegen ein Klima zunehmender Kriminalisierung von Solidarität.
Kneecap, bekannt für ihre politische Haltung, ihre irische Identität und ihre kompromisslose Haltung zu sozialen Gerechtigkeitsfragen, wurden im Vorfeld ihres Auftritts Ziel scharfer Kritik – unter anderem vom vermeintlich linken britischen Premierminister Keir Starmer persönlich. Er bezeichnete ihren Auftritt als „unangemessen“. Doch die Bühne gehörte nicht Starmer, sondern der Musik. „F*** Keir Starmer“, rief O’Hanna vor einer jubelnden Menge, die palästinensische Fahnen schwenkte und die Stimmen der Unterdrückten hörbar machte.
Was wie ein starker Moment künstlerischer Freiheit erschien, ist in Wahrheit ein Symptom für eine besorgniserregende Entwicklung: Die Kriminalisierung von Kunst als Widerstand. Denn gegen O’Hanna läuft ein Verfahren nach dem britischen Terrorism Act von 2000 – weil er bei einem Konzert eine Flagge aufgehoben haben soll, die der Hisbollah zugeordnet wird. Die Botschaft der Behörden ist klar: Wer sich zu laut, zu klar und zu öffentlich gegen imperialistische Kriege und koloniale Kontinuitäten stellt, muss mit Repression rechnen.
Diese Repression trifft nicht nur Künstler wie Kneecap. Sie ist eingebettet in eine staatliche Strategie zur Kontrolle dissidenter Stimmen, insbesondere solcher, die sich mit der Sache Palästinas solidarisieren. Die britische Innenministerin Yvette Cooper kündigte jüngst an, die Gruppe Palestine Action verbieten zu wollen – eine Organisation, die mit direkter Aktion gegen Rüstungsunternehmen protestiert, die Israel beliefern. Es ist ein gefährlicher Präzedenzfall: Militanz gegen Waffenexporte soll auf eine Stufe mit Terrorismus gestellt werden. Wer gegen Völkermord protestiert, wird kriminalisiert.
Diese autoritäre Reaktion steht in scharfem Kontrast zur Stimmung in weiten Teilen der Bevölkerung – besonders in Irland. Dort gilt die Unterstützung Palästinas nicht als Extremismus, sondern als Ausdruck historischer Solidarität. Viele Iren sehen in der israelischen Besatzung Parallelen zur britischen Kolonialherrschaft über Irland. Dass Kneecap in dieser Tradition steht, macht ihre politische Haltung nicht radikal, sondern folgerichtig.
Dass die BBC den Auftritt der Band nicht live übertrug, während andere Sets des Festivals frei verfügbar waren, ist ein weiteres Beispiel für die gezielte Marginalisierung subversiver Kultur. Besonders brisant: Auch der vorherige Auftritt des britischen Duos Bob Vylan, das mit scharfen Parolen gegen die israelische Armee auftrat, soll nicht erneut ausgestrahlt werden. Die BBC spricht von „zutiefst beleidigenden Kommentaren“ – und verkennt dabei, dass solche Aussagen keine Provokation um der Provokation willen sind, sondern ein Aufschrei gegen ein Massaker, das laut Gesundheitsministerium von Gaza bereits über 56.000 Todesopfer gefordert hat.
Während die britischen Behörden also Künstlerinnen und Künstler überwachen, Auftritte zensieren und Menschen wegen Palästina-Solidarität strafrechtlich verfolgen, schweigt dieselbe herrschende Klasse weitgehend zu Israels Angriffen, zur systematischen Aushungerung der Bevölkerung Gazas, zur Tötung von Journalistinnen, Kindern und Ärzt*innen.
Kneecap hat gezeigt, dass Kunst auch im Jahr 2025 noch ein Ort des Widerstands sein kann. Dass sie dafür ins Visier genommen werden, ist ein Skandal. Der Fall zeigt exemplarisch, wie notwendig es ist, politische Kultur zu verteidigen – gegen die Repressionsmaschinerie eines Staates, der mehr Angst vor einem Rap-Kollektiv als vor Kriegsverbrechen hat.
Quelle: Al Jazeera