Unter dem Eindruck der Februarkämpfe von 1934, als revolutionäre Arbeiter im kurzen österreichischen Bürgerkrieg dem Austrofaschismus mit der Waffe gegenübertraten, verfasste der kommunistische Widerstandskämpfer und Schriftsteller Richard Zach (1919–1943) die „Ballade vom Februar 1934“. Er schildert darin die damaligen Ereignisse rund um die „Konsum“-Bäckerei in Graz-Eggenberg, liefert aber gleichzeitig indirekt allgemeingültige Betrachtungen zum antifaschistischen Kampf, zur Niederlage, zum Unterschied zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten sowie zum faschistischen Charakter.
Die Ballade vom Februar 1934
Weil ein weißes Hemd gehisst worden war,
konnten sie den Fabriksbau stürmen.
In die rauchige Wand hatte ein MG
in einem schönen Bogen Löcher gespritzt.
Und in einem großen Loch am Dach
fiel die Sonne hinein.
Über ein umgelegtes Tor
sprangen sie furchtlos
mit gefälltem Bajonett ein.
(Die anderen hatten nämlich
keine Patronen mehr.)
Ganz rückwärts ging ein Leutnant
- man konnte nie wissen -,
ein junger. Herr
Leutnant, sagte der Soldat
zu ihm. Bauerngesicht, rot und
stiernackig wie die anderen. „Herr
Leutnant. Melde gehorsamst…“
Und in seinen Augen
spiegelte sich ein brauner Acker
und die Zigarette,
die der Herr Leutnant rauchte, der Herr.
Er war Akademiker und
hatte einen wirklichen Schmiss.
Dann stieß
er mit dem Fuß einen Stein weg,
einen kleinen, eckigen.
(Er war nämlich auch Fußballer
und überhaupt ein fortschrittlicher Mensch.)
Und ließ sich
vom Fabriksschatten zurückschieben.
Es war nämlich
schmutzig und stank nach Maschinenöl.
Und der junge Kerl mit
dem breiten Bauerngesicht meldete,
dass
dreiundzwanzig Tote gefunden seien,
- nämlich
von den anderen -
und sechs Gefangene.
Und, ja, er
melde das gehorsamst, Herr…
Und er befahl, sie
abzuführen ins Direktionsgebäude, wo
er sein Quartier aufgeschlagen hatte, weil
es ihm kalt wurde.
Es lag
ein zerschossener Treibriemen neben ihm.
Und er wartete.
Und als sie vorbeigingen, die sechs,
(gebunden, selbstverständlich)
ließ er den beiden letzten
eins in den Rücken hauen, weil
sie die Köpfe hängen ließen,
diese Schurken,
und trat
ihnen mit der Stiefelspitze in den Hintern.
Die beiden hatten nämlich
gegen „Ergeben“ gestimmt früher. Aber
nicht deshalb trat er.
Er war ja ein gerechter Mensch und
wusste es auch nicht.
Er war nämlich
auch Fußballer.
Es war schon ziemlich dunkel,
aber, wie gesagt,
er war ein gerechter Mensch und
ließ ihnen noch eine halbe Stunde
Zeit, den sechs.
Dann nahm
er sich noch eine Zigarette,
eine Liebesgabenzigarette,
und ließ sich von dem jungen Kerl
mit dem Bauerngesicht
melden, dass
die sechs an die Wand
des Magazinschuppens gestellt seien
(gehorsamst selbstverständlich).
Er ging die zwanzig Schritte hinüber,
und bevor er die Hand
hob und befahl,
blickte er nochmals die sechs an,
ganz gedankenlos,
bloß
so aus Neugierde.
Und in den zwölf Augen
sah er die zerschossene Fabrik hinten.
Und eine gewisse Bürde
drückte allen die Stirne nieder.
Nur die beiden letzten -
sie sahen aus, wie echte Banditen,
dachte er, weil
er einmal Philosophie studiert hatte -
die beiden letzten
standen ganz gerade.
(Die glaubten nämlich nie
an Amnestie,
aber das wusste er nicht.)
Dann
bemerkte er noch zufällig
die schmutzigen, klobigen Hände,
vorne gebunden
und zerschunden
im Schatten der Wände.
Und er sah, dass auch seine Soldaten
klobige Hände hatten,
nur etwas röter
neben dem Stahl.
Dann zündete er eine Zigarette
an, eine Liebesgabenzigarette,
und schrieb mit einem Rotstift,
dass im Objekt acht
nur zehn Tote gefunden seien.
Rief den jungen Kerl
und schickte ihn
mit einem schönen Gruß und
dem Blatt zum Oberst hinüber.
(Der Oberst war nämlich
auch sein Papa, doch er dachte darüber
nur nach, wenn er
Geld brauchte.)
Er selbst ging
zum Direktionsgebäude
und steckte beide
Hände ein.
Nur unterwegs stieß
er einen Stein
mit dem Fuß weg, einen
kleinen, eckigen.
(Er war nämlich
Fußballer, wie gesagt.)
Und dabei
fiel ihm ein Schlager ein,
der englische, den
die kleine Blonde immer sang
von unten, wenn
es besonders toll wurde.
(Übrigens
hatte der Junge
die gleichen blonden Haare
gehabt wie die Kleine,
nur mehr schmutzig, der Junge von
den Sechsen drüben.)
„Melde gehorsamst, Herr“,
hatte der junge Kerl gesagt
mit dem Bauerngesicht,
„Herr Oberst“, und in seinen Augen
glänzte ein brauner Acker und
die Gewissheit, dass
er Zugsführer wurde nachher.
„Melde gehorsamst‘“, und
er gab das Blatt.
(Nun glänzte auch
in seinen Augen etwas matt
der Stern des Oberst mit, Herrn
Oberst.)
Und der Oberst zündete sieb eine
Zigarette an, eine
Liebesgabenzigarette,
und las: Objekt … zehn
Tote gefunden …,
und sagte: „Ab!“
Dann
nahm er einen Rotstift
(er war nämlich
der Papa, wie gesagt), dann
nahm er einen Rotstift
und strich die Null weg
von zehn.
Die Null!
Quelle: Christian Hawle, Richard Zach – „Gelebt habe ich doch!“, Wien 1989, S. 43–48.