HomeFeuilletonPeter Stöger (18. Mai 1946, Innsbruck – 22. Mai 2024, Innsbruck)

Peter Stöger (18. Mai 1946, Innsbruck – 22. Mai 2024, Innsbruck)

Gastbeitrag von Gerhard Oberkofler, geb. 1941, Dr. phil., Universitätsprofessor i. R. für Geschichte an der Universität Innsbruck.

Anstelle eines Nachrufes drei Briefe von ihm aus der Zeit der beginnenden Covid-19-Pandemie

In unserer gemeinsamen Heimatstadt Innsbruck bin ich dem Humanwissenschaftler Peter Stöger viele Jahre immer wieder in unterschiedlichen Kontexten begegnet. Seit meiner Übersiedlung nach Wien (2020) waren wir ohne Unterbruch im Austausch, manchmal haben wir uns vor der Stephanskirche verabredet. Trotz unterschiedlicher Weltauffassung hat uns der Geist der Befreiung verbunden. Drei seiner Emails zu Beginn der Covid-19-Pandemie spiegeln das ganz persönliche und zutiefst mitmenschliche Denken von Peter Stöger wider. Ohne Scheuklappen ist Peter Stöger auf „andere Menschen guten Willens“ zugegangen, egal, welches „Bekenntnis“ diese Anderen haben.

30. März 2020

Lieber Gerhard! Lieber guter Freund! Hab‘ Dank für Deine Zeilen! Dank auch für Deine Besorgnis. Laurence, Leslie, Luki (Nichte in Mexiko) und ich sind wohlauf.
Säkular und/oder religiös gedacht stehen wir wohl an einer Zeitenwende. Wie oft hab‘ ich mir den Zusammenbruch des kapitalistischen Systems gewünscht: aber durch Bewusstseinsänderung! Ob sich die virusbedingt einstellen wird? Ich will weder in eine Ideologie‑, noch in eine Esoterikfalle hineinstolpern.
Mir selbst bereitet das quasi-klösterliche oder eremitische Leben keine Probleme. Gesundheitlich geht‘s mir gut, eine Bronchitis vor einem Monat hab‘ ich bestens überstanden.
Ich hoffe auch Dir und den Deinen geht es, den Umständen entsprechend, gut.
Im Geiste und im Herzen so oft verbunden!
Peter

14. April 2020 

Lieber guter Freund Gerhard!
Nun sind wir also im Nachklang des österlichen Festes, das archaisch so viele Menschen berührt, seien sie gläubig oder nicht oder nicht mehr gläubig. Ich glaube überhaupt, dass die hochheiligen Feste aller Religionen allen Menschen gehören.
Diese Tage musste ich oft an Bergamo denken, an die Altstadt, die ich zwei‑, dreimal besucht habe, immer dann, wenn ich das Geburtshaus von Johannes XXIII. besucht habe. Es liegt nämlich ganz in der Nähe und heißt Sotto il Monte.
An der Arbeitsstelle von Laurence sind nun schon zehn positive Fälle, zwei davon sind mittlerweile im Spital wieder stabil. Laurence’ Test war negativ, Gottseidank. In 14 Tagen wird sie wieder getestet. Das waren nun zwei bange Wochen.
Was das Virus mit uns machen wird? Bekümmern tut mich eigentlich gar nicht so sehr der medizinische Aspekt, sondern der politische.
Ich habe den Eindruck, dass einige Billionäre den Milliardären nicht mehr den Gewinn vergönnen. Auch wenn wir auf das wirtschaftliche Niveau der Fünfzigerjahre zurückrutschen, so würde mir nicht sonderlich viel abgehen, obwohl ich mich inzwischen wirklich an Bananen und Orangen gewöhnt habe. Aber dieser Gedanke hinkt natürlich gewaltig, ich weiß schon und ich meinte ihn eher symbolisch.

Ich komm‘ mit der Quarantäne recht gut zurecht, ein bisschen lebte ich immer schon wie ein versteckter Mönch. Nun kommt der auf seine Rechnung. Auch die Briefmarken, die ich gerade neu ordne. Dabei habe ich eine wiederentdeckt. Du siehst sie hier. Die Wolken das Kreuz und die zwei Blumen. Spannen und Spannung liegen dazwischen und die Blumen blühen so wunderschön, sind so farbenfroh. Ob darin ein Geheimnis liegt?
Ja, sobald es die Umstände erlauben, werde ich sicher wieder nach Wien kommen und mich freuen, wenn wir uns wiedersehen.
Alles Liebe, auch den Deinen
Peter

3. Juli 2020

Lieber Gerhard,

hab‘ recht lieben und herzlichen Dank für Deine Zeilen und den Artikel.

Deinen Artikel zu Korea habe ich gelesen und die Frage nach der Theodizee stellt sich im Großen wie im Kleinen immer wieder. Theologisch formuliert hieße das: Was ist das für ein Gott, der … kleine Kinder verhungern lässt, Folter zulässt usw.

Ich habe Verständnis dafür, dass Menschen den Hinweis darauf, dass es ja Menschen sind, die Menschen Böses antun, und eben nicht Gott, als zynisch empfinden. Wenn er ja Gott ist, müsste er doch die Macht haben, dass … Kinder nicht verhungern, Menschen nicht gefoltert werden etc.

Ich habe Verständnis dafür, dass der Hinweis darauf, dass der Mensch Freiheit habe, und deshalb nicht verpflichtet sei, gut zu sein, manchen ebenfalls als zynisch erscheint. Er hätte uns dann als Engel erschaffen müssen. Aber wo bliebe dann die Freiheit, böse zu sein. Am Beispiel von Luzifer sehen wir, dass es selbst bei den Engeln nicht geklappt hat. So ist es nicht ganz unlogisch zu sagen: Wenn es schon bei den Engeln nicht geklappt hat, warum sollte es dann bei den Menschen besser klappen?

Und trotzdem bleibt ein Trotzdem. Das ist wohl die dunkle Seite Gottes, die wir nie ergründen werden können. Die lateinamerikanische Theologie der Befreiung sagt ja, dass Jesus in den Gaskammern umgekommen ist, von den Todesschwadronen verfolgt worden ist, und nur dann allmächtig ist, wenn es darum geht, das Gute zu unterstützen, aber nicht allmächtig ist, das Böse zu verhindern.

Aber ich habe alles Verständnis dieser Welt, wenn jemand auch all das zynisch findet.

Wie ist es denn bei Euch? Denn alles wird durch DIAMAT und HISTAMAT, durch Überbau und Entfremdung auch nicht erklärbar sein.

Ich glaube, was uns verbindet, das ist die Solidarität in aller Ohnmächtigkeit, das konditionslose Füreinanderdasein, völlig unabhängig von Weltanschauungen.

Sei recht lieb und solidarisch gegrüßt, lieber Freund Gerhard

Peter

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