Die Population des europäischen Hamsters hat sich in den letzten Jahrzehnten erheblich dezimiert. Oder vielmehr: Sie wurde dezimiert – durch den Menschen.
Gland/Schweiz. Wie die „Internationale Union zur Bewahrung der Natur“ (IUCN) kürzlich bekanntgab, wurde der europäische Feldhamster auf die „Rote Liste“ der vom Aussterben bedrohten Tierarten gesetzt. Die in der Westschweiz beheimatete internationale NGO, die Beobachterstatus bei der UNO hat, geht davon aus, dass sich die Zahl der Feldhamster seit den 1950er Jahren um bis zu 99% vermindert hat. Wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden, so könnte es in 30 Jahren, zumindest in Europa, keine Feldhamster mehr geben.
Dialektik der Hamsterexistenz
Das stetig dünner besiedelte Verbreitungsgebiet des Feldhamsters (Cricetus cricetus) reicht von Frankreich über Mittel- und Osteuropa sowie Russland bis nach Zentralasien und China. Nicht zu verwechseln ist das Wildtier übrigens mit dem – ursprünglich syrischen – Goldhamster (Mesocricetus auratus), der in Europa nur als Haustier, in privaten Kleintierkäfigen und Zoohandlungen vorkommt. Der Feldhamster ist ein kleiner Nager und Wühler – und als solcher ein scheinbar unscheinbares Tier: Er lebt in verzweigten Erdbauten und ist vor allem dämmerungs- und nachtaktiv. Doch sein deutscher Name ist eine präzise Bezeichnung: Der Feldhamster folgt seit Jahrtausenden dem Ackerbau und gilt der Landwirtschaft als Schädling. Er unterhöhlt bewirtschaftete Feldflächen und ernährt sich von deren Erträgen, von Körnern, Kartoffeln, Rüben, Mais, Hülsenfrüchten. Daher wurde er über Jahrhunderte bekämpft, regelrecht gejagt und sogar unterirdisch vergast. Dies ist mittlerweile freilich verboten, doch die agrarwirtschaftliche Bindung des Feldhamsters verbleibt nichtsdestotrotz in ihrem Doppelcharakter, als seine Lebensgrundlage wie auch gleichzeitig seine größte Bedrohung.
Kapitalistische Landwirtschaft als Gefahr
Großflächige Monokulturen, rasche Ernten und Lichtverschmutzung setzen dem Hamsterleben zu. Die Bauten und Gänge, die sich relativ knapp unter der Oberfläche befinden, halten den rigorosen und großen Maschinen der modernen Landwirtschaft nicht stand. Der Feldhamster steht vor einem Ernährungs- und Reproduktionsproblem, dem mit den bisherigen Schutzmaßnahmen, an denen sich inzwischen auch viele Bauern sorgsam beteiligen, nicht wirksam entgegengetreten werden kann. Denn Konkurrenz und Profitstreben des Kapitalismus, die Rücksichtslosigkeit der Agrarkonzerne sowie fehlende Diversifizierung der Großproduktion lassen wenig (Lebens-)Raum für bedrohte Kleintiere. Es wird notwendig sein, weitere Schutzmaßnahmen und Wiederansiedelungsprojekte umzusetzen, doch dies ist keineswegs nur eine Frage des Willens: Nur eine durch die Gesellschaft planmäßig organisierte Landwirtschaft, die auf Nachhaltigkeit, Naturschutz und zweckmäßige Bedürfnisentsprechung orientiert, wird auch in die Lage versetzt, menschen- und tiergerecht zu sein. Es bleibt zu hoffen, dass der Feldhamster einen längeren Atem hat als der umfassend zerstörerische Kapitalismus.