Neun große europäische Flüsse sind stark mit Mikro- und Nanoplastik belastet, was erhebliche Risiken für Umwelt und Gesundheit mit sich bringt. Eine internationale Studie zeigt, dass die winzigen Partikel aus Industrie, Landwirtschaft und Alltag stammen – und längst Teil unserer Nahrungskette geworden sind.
In neun großen europäischen Flüssen wird eine besorgniserregende Verschmutzung durch Mikro- und Nanoplastik festgestellt, die Risiken für die Biodiversität und die menschliche Gesundheit mit sich bringt. Darauf weisen die Ergebnisse von 14 Studien hin, die am 7. April in einer Sonderausgabe der Zeitschrift Science and Pollution Research veröffentlicht wurden.
Im Jahr 2019 begab sich das Segelschiff der Umweltstiftung Tara Océan auf die „Microplastics Mission“, um die Belastung durch Mikroplastik (Partikel mit weniger als fünf Millimetern Durchmesser) und Nanoplastik (kleiner als ein Millimeter) in den Flüssen Tiber, Rhone, Ebro, Seine, Loire, Elbe, Rhein, Themse und Garonne zu untersuchen.
Drei Mikroplastikpartikel pro Kubikmeter Wasser
Sieben Monate lang fuhr das Schiff flussaufwärts – von der Mündung bis zur ersten großen Stadt – und entnahm 2.700 Proben, die in 19 Laboren von 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern – darunter Chemiker, Biologen und Physiker – unter der Leitung des französischen Zentrums für wissenschaftliche Forschung (CNRS) analysiert wurden. Alle untersuchten europäischen Flüsse (und vermutlich auch ihre zahlreichen Nebenflüsse) zeigten hohe Verschmutzungswerte, konkret: drei Mikroplastikpartikel pro Kubikmeter Wasser.
Das sind zwar nicht die vierzig Partikel der zehn weltweit am stärksten verschmutzten Flüsse (Ganges, Nil, Indus, Niger, Mekong, Jangtse, Gelber Fluss, Perlfluss, Hai He) – an deren Ufern der Großteil des weltweiten Plastikaufkommens produziert oder entsorgt wird –, aber es ist dennoch ein ernstzunehmender Befund.
Ein langsamer Zersetzungsprozess
„Was wir allgemein als Plastik bezeichnen, gehört zur Gruppe der sogenannten Polymere oder Makromoleküle“, erklärt Professor Giorgio Petrucci, Chemiker und Experte für Polymere. Um ihre Lebensdauer zu verlängern und ihren Abbau durch chemische und physikalische Einflüsse wie Licht, UV-Strahlung, Sauerstoff oder Temperatur zu verlangsamen, werden Polymere mit Zusätzen wie Weichmachern, Antioxidantien, UV-Filtern oder Farbpigmenten versehen. Doch irgendwann erreichen auch sie ihr Lebensende: „Sie beginnen zu zerfallen, zu zerbröseln und sich in immer kleinere Partikel aufzulösen.“ So verbreiten sich die berüchtigten Mikro- und Nanopartikel, die vom Wind oder über Flüsse ins Meer getragen werden.
„In Valence, an der Rhone, beträgt der Durchfluss 1.000 Kubikmeter pro Sekunde, das heißt: drei Plastikpartikel pro Sekunde“, erklärt Jean-François Ghiglione, leitender Forscher für marine mikrobielle Ökotoxikologie beim CNRS. Studien an der Rhone – dem wasserreichsten Zufluss des nordwestlichen Mittelmeers – ergaben, dass sich Plastik innerhalb eines Jahres im Mittelmeerbecken ausbreitet. Mehr als 50 Prozent gelangen bis ins algerische Becken und darüber hinaus, während jene Partikel, die absinken, näher an der Mündung bleiben.
Dank innovativer technischer Methoden konnten auch die kleinsten Fragmente identifiziert werden, die „sich über die gesamte Wassersäule verteilen und von vielen Tieren und Organismen aufgenommen werden“, was offensichtlichen Schaden für Ökosysteme, Artenvielfalt und unsere Gesundheit bedeutet. Gerade Nanopartikel dringen besonders leicht in die Nahrungskette ein.
Umweltverschmutzung hängt mit industrieller Produktion zusammen
Die Studie zeigt einen direkten Zusammenhang zwischen industrieller Produktion und Umweltverschmutzung. Ein Viertel der an den Ufern der Flüsse und an der französischen Küste gefundenen Plastikteile – gesammelt im Rahmen der Aktion Plastique à la loupe, an der jedes Jahr 15.000 französische Schülerinnen und Schüler teilnehmen – besteht aus sogenannten „Mermaid Tears“, den Rohgranulaten der Kunststoffindustrie. An den Flussufern wurden jedoch auch viele Einwegverpackungen, insbesondere aus dem Lebensmittelbereich, gefunden.
Leider wird erwartet, dass die Plastikproduktion, die sich in den letzten 15 Jahren bereits verdoppelt hat, bis 2060 verdreifacht. Auch die Landwirtschaft, insbesondere der Gartenbau, trägt stark zur Belastung bei, wie Petrucci betont: Im Fokus stehen Gewächshäuser, aber auch die Plastikfolien, mit denen der Boden feucht gehalten wird und die Produkte vor Schmutz schützen sollen. Somit tragen auch die ländlichen Gebiete zur Kontamination bei. In den Städten hingegen zeigten Proben oberhalb und unterhalb der Städte keine signifikanten Unterschiede.
Die Plastisphäre und der „Schwamm-Effekt“
Inzwischen existieren auch ganze Ökosysteme, die sich auf Kunststoffabfällen ansiedeln und weite Strecken zurücklegen. Die französischen Forscher entdeckten auf Mikro- und Nanoplastikpartikeln erstmals krankheitserregende Bakterien, die für den Menschen gefährlich sind: Shewanella putrefaciens, ein Erreger von Bakteriämie, Infektionen an Ohren und Weichteilen sowie von Bauchfellentzündungen.
Bereits Anfang des Jahres hatte eine andere Studie gezeigt, dass Plastik antibiotikaresistente Bakterien verbreiten kann. Darüber hinaus transportieren Mikro- und Nanoplastikpartikel nicht nur die Chemikalien, aus denen sie bestehen, sondern sie wirken wie Schwämme, die weitere toxische Umweltstoffe wie Pestizide oder Schwermetalle aufnehmen – und so zu einem hochkonzentrierten Giftcocktail werden. Die Wissenschaft hat gezeigt, dass sich Plastikpartikel in allen Organen unseres Körpers wiederfinden.
Bereits 2023 stellte ein Bericht des italienischen Umweltinstituts ISPRA über zwölf italienische Flüsse (u.a. Tiber, Etsch, Po, Ombrone, Magra) fest, dass 85 Prozent des dort gefundenen Abfalls aus Plastik besteht, davon 35 Prozent Einwegprodukte. Eine Studie der Universität Tor Vergata (veröffentlicht im Marine Pollution Bulletin, 2024) zeigte insbesondere im Tiber eine hohe Konzentration von Polystyrol und Mikroplastik am Meeresgrund nahe der Flussmündung.
Das neue Projekt Plasticentro von Legambiente richtet sich speziell gegen die Plastikverschmutzung in den Flüssen Tiber, Aniene und Tronto. Manche Quellen von Mikroplastik liegen außerhalb unserer Kontrolle, andere jedoch nicht: Laut der EU gehören zu den größten Verursachern von Mikroplastik das Waschen synthetischer Kleidung und Heimtextilien sowie die Verwendung von Peeling-Produkten. Ganz zu schweigen von der täglichen Flut an Einwegplastik: Portionsverpackungen, Lebensmittelbehälter, Küchenutensilien und andere Alltagsgegenstände.
Quelle: IlFattoQuotidiano