Am ersten Tag legten die Vertreterinnen und Vertreter Südafrikas ihren Fall dar. Ein Experte spricht gegenüber Al Jazeera von einer beeindruckenden Argumentation. Am zweiten Tag antwortete Israel auf die Vorwürfe des Völkermordes.
Den Haag. Am Donnerstag und Freitag fand die erste Anhörung in der Völkermordklage Südafrikas gegen Israel am Internationalen Gerichtshof (IGH) im niederländischen Den Haag statt. Südafrika reichte die Klage aufgrund des brutalen Krieges Israels gegen den Gazastreifen ein.
Unterstützt wird die Anklage von einer Vielzahl von Nationen, vor allem arabischen Staaten, aber etwa auch von Brasilien, Nicaragua, Namibia, Bolivien sowie dem sozialistischen Kuba. Am 9. Jänner erklärte außerdem die belgische Vizepremierministerin Petra De Sutter, dass sie ihre Regierung ermutigen werde, die Klage ebenfalls zu unterstützen.
Zahlreiche Organisationen, Parteien und Gewerkschaften drückten ebenso ihre Unterstützung für die Klage aus, so beispielsweise Amnesty International, Jewish Voice for Peace oder die US-Amerikanische National Lawyers Guild (NLG), einer Vereinigung von Anwältinnen und Anwälten, Jura-Studierenden und anderen juristischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Auch der Knesset-Abgeordnete Ofer Cassif vom Linksbündnis Chadasch unterstützt die Klage, weswegen ihm nun der Ausschluss aus dem israelischen Parlament droht.
Außerhalb des Gerichts forderten Demonstrantinnen und Demonstranten lautstark ein Ende des israelischen Krieges gegen Gaza.
Tag 1: Die Vorwürfe
Die Anhörung begann mit der Verlesung der Klage. Südafrikas Botschafter in den Niederlanden, Vusimuzi Madonsela, verkündete: „Südafrika erkennt an, dass die völkermörderischen Handlungen des Staates Israel unweigerlich Teil eines Kontinuums illegaler Handlungen sind, die seit 1948 gegen das palästinensische Volk verübt werden.“
Ronald Lamola, Südafrikas Justizminister, sagte, Israels Reaktion auf die Angriffe der Hamas am 7. Oktober habe „eine Grenze überschritten. Kein bewaffneter Angriff auf ein Staatsterritorium, egal wie schwerwiegend er ist, selbst ein Angriff, der Gräueltaten beinhaltet, kann eine Rechtfertigung für Verstöße gegen die Völkermordkonvention von 1948 sein“.
Die Anwältin Adila Hassim, die Südafrika in dem Fall vertritt, listete eine Reihe von Verstößen gegen die Völkermordkonvention auf. Der erste völkermörderische Akt sei die Massentötung von Palästinenserinnen und Palästinensern im Gazastreifen. Niemand, nicht einmal Neugeborene, werde verschont.
Der zweite völkermörderische Akt sei die schwere körperliche und seelische Schädigung von Menschen in Gaza, was einen Verstoß gegen Artikel 2B der Völkermordkonvention darstelle, so Hassim. Bei den israelischen Angriffen wurden fast 60.000 Palästinenserinnen und Palästinenser verwundet und verstümmelt, die meisten von ihnen Frauen und Kinder. Hassim legte dar, dass palästinensische Zivilpersonen, darunter auch Kinder, verhaftet, mit verbundenen Augen gezwungen wurden, sich auszuziehen, auf Lastwagen verladen und an unbekannte Orte gebracht wurden.
Tembeka Ngcukaitobi, ein zweiter Anwalt, der Südafrika vertritt, argumentierte, dass Israels politische Führer, militärische Befehlshaber und Personen, die offizielle Positionen innehaben, systematisch und ausdrücklich ihre völkermörderische Absicht erklärt haben.
Er erinnerte an die Äußerungen des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu vom 28. Oktober, der die Bodentruppen, die sich auf den Einmarsch in den Gazastreifen vorbereiten, aufforderte, sich daran zu erinnern, „was Amalek euch angetan hat“. Damit wurde an einen biblischen Befehl Gottes an Saul erinnert, Vergeltung am Volk der Amalekiter zu üben („Vollstrecke an ihnen mein Urteil. Kämpfe gegen sie, bis du sie völlig vernichtet hast, denn sie sind ein gottloses Volk“). Andere Knesset-Mitglieder riefen wiederholt dazu auf, den Gazastreifen auszulöschen, so Ngcukaitobi.
Dieses Argument ist essenziell für die Anklage. Denn die von südafrikanischen Vertreterinnen und Vertretern vorgebrachten Punkte sind laut der Völkermordkonvention von 1948 nur dann charakteristisch für einen Genozid, wenn sie „in der Absicht begangen werden, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“. Das Vorhandensein dieses Vorsatzes konnte von Ngcukaitobi überzeugend begründet werden.
Nach drei Stunden der Anhörung wurde das Gericht vertagt. Thomas MacManus, Dozent für Staatsverbrechen an der rechtlichen Fakultät der Queen Mary University of London, sagte gegenüber Al Jazeera, dass die Argumentation Südafrikas sehr beeindruckend gewesen sei. „Sie haben auf sehr prägnante Weise einige verheerende Anschuldigungen auf rechtlich solide Weise aneinandergereiht“.
Tag 2: Die Verteidigung
Am Freitag wurde die Anhörung fortgesetzt. Das Wort gehörte nun der Verteidigung. Israels juristische Vertreterinnen und Vertreter wiesen die Klage als „unbegründet“, „absurd“ und einer „Verleumdung“ gleichkommend zurück.
Die Verteidigung drehte sich immer wieder um Israels „Recht auf Selbstverteidigung“, einem Argument, das von Südafrika schon am Vortag entkräftet wurde. Außerdem wurde betont, die israelische Armee habe im Gazastreifen im Einklang mit dem Völkerrecht gehandelt und versucht, den Schaden für die Zivilbevölkerung zu begrenzen.
Nicht nur solche bereits mehrfach wiederholte Argumente, darunter auch schlicht Lügen, wurden von Israels Rechtsvertretung aufgewärmt. Auch neue Vorwürfe gegen den südafrikanischen Staat wurden vorgebracht. Tal Becker, der Rechtsberater des israelischen Außenministeriums, sagte etwa bei der Anhörung vor dem IGH, Südafrika unterhalte enge Beziehungen zur Hamas und versuche daher, ein „verzerrtes faktisches und rechtliches Bild“ zu zeichnen.
Die südafrikanische Regierung wies dies gegenüber Al Jazeera entschieden zurück. „Die südafrikanische Regierung hat erklärt, dass sie keine bilateralen Beziehungen zur Hamas unterhält und dass ihre Haltung in Bezug auf die Unterstützung des palästinensischen Kampfes gegen die Besatzung nicht mit einer Unterstützung der Hamas gleichzusetzen ist“, so Fahmida Miller von Al Jazeera aus Südafrika. In ihrer Präsentation am Donnerstag verurteilten die südafrikanischen Anwälte auch das Vorgehen der Hamas am 7. Oktober.
IGH-Präsidentin Joan Donoghue beendete die zweitägige Anhörung mit der Ankündigung, dass das Gericht seine Entscheidung in den kommenden Tagen bekannt geben werde.
Quellen: Al Jazeera/Al Jazeera/Zeitung der Arbeit/TAZ/News Central/Amnesty International/Jewish Voice for Peace/Völkermordkonvention