Jerusalem. Während eines offiziell organisierten Besuchs internationaler Diplomatinnen und Diplomaten in der Stadt Dschenin im Westjordanland eröffnete das israelische Militär am Mittwoch das Feuer. Die Schüsse, die das Militär als „Warnschüsse“ bezeichnete, richteten sich gegen oder an einen Konvoi, der unter anderem Vertreterinnen und Vertreter der EU, Deutschlands, Österreichs, Italiens und Spaniens an Bord hatte. Die Delegation wollte das dortige Flüchtlingslager besuchen, um sich ein Bild der katastrophalen humanitären Lage zu machen.
Was als internationaler Beobachtungseinsatz zur Lage in den besetzten Gebieten geplant war, endete in einem diplomatischen Skandal. Die israelische Armee behauptet, die Gruppe sei von einer „genehmigten Route“ abgewichen. Israelische Soldaten hätten die Diplomatinnen und Diplomaten zunächst als Bedrohung wahrgenommen und Warnschüsse abgegeben, um die Menschengruppe auf Distanz zu halten, hieß es weiter. Die Tatsache, dass es sich um deutlich erkennbare Diplomatinnen und Diplomaten in offiziellen Fahrzeugen handelte, die sich zuvor mit der Armee koordiniert hatten, lässt diese Erklärung jedoch fragwürdig erscheinen. Augenzeugenberichten zufolge gab es vor den Schüssen weder Zurufe noch optische Warnungen – entgegen geltenden Vorschriften.
Eskalation eines Besatzungsregimes
Der Vorfall ist kein Einzelfall, sondern Ausdruck eines umfassenderen Problems: Die israelische Besatzungspolitik im Westjordanland ist geprägt von willkürlicher Gewalt, systematischer Vertreibung und fortschreitender Landnahme – begleitet von der faktischen Straflosigkeit für Armee und extremistische Siedler. Seit dem 7. Oktober 2023, als die Hamas einen tödlichen Angriff auf Israel verübte, hat sich die Repression gegen das palästinensische Volk massiv verschärft. Dschenin steht seit Monaten im Fokus israelischer Militäroffensiven.
Der aktuelle Vorfall zeigt deutlich: Selbst diplomatische Vertreterinnen und Vertreter sind nicht mehr sicher. Das israelische Militär demonstriert nicht nur brutale Entschlossenheit, sondern auch erneut eine tiefe Missachtung des Völkerrechts und der internationalen Diplomatie.
Internationale Reaktionen: Empörung und scharfe Verurteilungen
Die Reaktion der internationalen Gemeinschaft war eindeutig. Die Europäische Union forderte eine sofortige und umfassende Untersuchung. Mehrere Länder – darunter Frankreich, Italien und Spanien – bestellten umgehend israelische Botschafter ein. Die UN bezeichneten den Vorfall als inakzeptabel. Österreichs Außenministerin Beate Meinl-Reisinger betonte, „so etwas darf nicht passieren“, bekräftigt aber erneut ihr Vertrauen dem israelischen Staat und den Behörden gegenüber und folgt damit nur konsequent der Linie der österreichischen Politik.
Die israelische Regierung handelt nicht aus Unsicherheit oder Unkenntnis – sie handelt mit Rückendeckung. Massive militärische, finanzielle und politische Unterstützung durch die USA und Teile der EU – und auch des formal neutralen Österreichs – haben ein System geschaffen, das sich jeder Rechenschaft entzieht. Der Eindruck drängt sich auf, dass Israels Regierung nicht nur mit Gewalt herrscht, sondern diese systematisch kalkuliert einsetzt.
Kathastrophale Lage im Gazastreifen und grausame Pläne
Netanjahu sprach unterdessen von einer „in der Geschichte der Kriege beispiellosen Operation“ im Gazastreifen. Er wiederholte, dass das Ziel des Besatzungsstaates die vollständige Einnahme des Gazastreifens sei, und sagte zynisch: „Am Ende dieser Kampagne wird das gesamte Gebiet des Gazastreifens unter der Sicherheitskontrolle Israels stehen.“
Konkret sprach er von „drei Phasen“ im Zusammenhang mit der Bereitstellung von Hilfe – während Tausende Erwachsene, Kinder und Babys in Gaza vom Hungertod bedroht sind. In der ersten Phase solle ein „Hilfsfluss“ erlaubt werden, ohne jedoch nähere Details zu nennen. Bereits jetzt gibt es Berichte, dass selbst diese minimalen Hilfen behindert werden, während Israel in der Vergangenheit Menschen bombardiert hat, die in einer Schlange für ein Stück Brot standen. In der zweiten Phase sollen amerikanische Unternehmen Anlieferungspunkte für Hilfe eröffnen. In der dritten Phase schließlich wird die Besatzungsarmee faktisch versuchen, die Vertreibung der Palästinenser „nach Süden“ zu erzwingen – wie er bezeichnend sagte.
Innerhalb von 24 Stunden wurden erneut viele Menschen durch israelische Angriffe im Gazastreifen getötet, insgesamt 93. Die UNO betont unterdessen, dass die mickrige humanitäre Hilfe, die Lieferungen, von denen in den Medien steht, nicht bei den Menschen angekommen ist. Was in Gaza unter den Augen der Welt – mit der Unterstützung von vielen mächtigen Verbündeten – passiert, ist kaum zu erfassen.