Die neuseeländische Labour-Regierung gilt vielen Linken als Vorbild, doch im Umgang mit einem Parlamentarier der Maori-Partei schlägt wieder das Kolonialherrengehabe durch.
Wellington/Te Whanganui-a-Tara. Rawiri Waititi, einer der beiden Abgeordneten der Maori-Partei (Te Pāti Māori) zum neuseeländischen Repräsentantenhaus, wurde in der Sitzung vom 9. Februar des Plenarsaales verwiesen – weil er keine Krawatte trug. Kein Witz. Waititi wollte eine Frage an den Minister für Strafvollzug, Kelvin Davis, stellen. Doch der sozialdemokratische Parlamentspräsident Trevor Mallard unterbrach ihn mehrmals und verwies ihn schließlich der Räumlichkeit, mit dem Hinweis, dass ein männlicher Abgeordneter im Parlament per Gesetz eine Krawatte zu tragen habe. Das ist natürlich grundsätzlich schon eine idiotische Bestimmung, gegenüber der Minderheit der Maori ist es aber eine zusätzliche Frechheit. Waititi, der stattdessen einen traditionellen Maori-Halsschmuck trug, sprach von einer „Unverschämtheit“ und wies berechtigt darauf hin, dass die Krawatte eine „koloniale Schlinge“ sei. Hier wird aus Prinzip eine ohnedies überkommene Kleiderordnung der europäischen Einwanderer als verpflichtend vorgeschrieben, während vergleichbare Accessoires auf Basis der kulturellen Identität der Ureinwohner nicht anerkannt werden. Und natürlich geht es hier nicht wirklich um Krawatten, sondern um den gesamten Umgang der postkolonialen weißen Mehrheitsbevölkerung mit den Maori sowie um deren Lebenssituation.
Denn die indigene Volksgruppe, die etwa 15 Prozent der Bevölkerung Neuseelands stellt, wird immer noch systematisch benachteiligt, was sich in den Bereichen Soziales, Arbeit, Bildung oder Gesundheit deutlich zeigt. Dass es nun die sozialdemokratische Labour-Regierung von Jacinda Ardern ist, die hier keine signifikanten Fortschritte macht, ist vielsagend. Im Hintergrund geht es auch konkret um die „Foreshore-and-Seabed“-Kontroverse, bei der Besitz- und Nutzungsrechte des Küstenlandes und des Meeresbodens diskutiert und die Ansprüche der Maori negiert werden. Auf Basis dieses Streitpunkts hatte sich 2004 die Maori-Partei von der Labour Party abgespalten, um die Rechte der Ureinwohner geltend zu machen. Sie vertritt seither eine sozial progressive und ökologische Position und verlangt die Förderung der Volksgruppe in sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht, nicht zuletzt bezüglich leistbaren Wohnens und der Versorgung. Es stünde Premierministerin Ardern, die weltweit von sozialdemokratischen und linksreformistischen Kräften hochgelobt wird, gut zu Gesicht, den Wünschen der Maori-Gemeinschaft mehr Gehör zu verschaffen – und nicht nur schöne Worte, sondern auch Taten folgen zu lassen. Die Möglichkeit, als Abgeordneter auch ohne europäische Krawatte im Parlament sprechen zu dürfen, wäre da nur ein erster symbolischer Schritt. Das unerträgliche Kolonialherrengehabe sollte im 21. Jahrhundert längst ausgedient haben.
Quelle: ORF
Ergänzung vom 11. Februar 2021: Nachdem das skandalöse Ereignis weltweit Aufsehen erregt hatte, hat die zuständige Kommission des neuseeländischen Parlaments inzwischen entschieden, dass die Geschäftskleidung von Kulturen abseits der britischen Tradition auch anerkannt werden soll. D.h. Waititi darf in Zukunft auch ohne Krawatte im Parlament sprechen. Einstimmig war dieser selbstverständliche Beschluss übrigens nicht, aber nehmen wir ihn mal als symbolischen Erfolg für die Rechte der Maori.