HomeInternationalesPräsidentschaftswahlen in der Türkei – es geht in die Stichwahl

Präsidentschaftswahlen in der Türkei – es geht in die Stichwahl

Erdoğan hat gegenüber Kılıçdaroğlu knapp die Nase vorn, die Stichwahl am 28. Mai wird voraussichtlich den neuen Präsidenten küren. Wie haben wahlberechtigte Türkinnen und Türken in Österreich gewählt und was sagt die Kommunistische Partei der Türkei zu den vorangegangen Wahlen?

Ankara. Recep Tayyip Erdoğan übernahm das Amt des Ministerpräsidenten im Jahr 2003 und ist seit 2014 der Staatspräsident der Türkei. Im Wahlkampf hob er die Großprojekte in den Bereichen Infrastruktur und Rüstungsindustrie als Erfolge seiner Regierungszeit hervor. Angesichts einer starken Inflation versprach Erdoğan Wahlgeschenke wie Lohnerhöhungen für Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst. Der Oppositionsführer Kılıçdaroğlu, 74 Jahre alt, stellt sich als Kandidat für ein Bündnis aus sechs Parteien mit verschiedenen ideologischen Ausrichtungen zur Wahl, etwa auch mit Unterstützung der Kommunistischen Partei der Türkei (TKP). Er hat unter anderem das Versprechen abgegeben, das Präsidialsystem abzuschaffen, das Land zu demokratisieren und die hohe Inflation von etwa 44 Prozent zu reduzieren.

Umfragen hatten ein knappes Rennen prognostiziert. Nun steht fest, dass es in der Türkei zu einer Stichwahl am 28. Mai kommen wird, wie der Vorsitzende der Wahlbehörde am Montag bekanntgab. In der ersten Runde erhielt der derzeitige Präsident Erdoğan 49,51 Prozent der Stimmen, während sein Herausforderer Kılıçdaroğlu 44,88 Prozent erzielte. Um in der ersten Runde am Sonntag zu gewinnen, wäre eine absolute Mehrheit erforderlich gewesen.

Der Kandidat Sinan Ogan von der ultranationalistischen Ata-Allianz landete abgeschlagen auf dem dritten Platz mit 5,17 Prozent. Das Ergebnis der gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahl ist noch nicht bekannt. Laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu betrug die Wahlbeteiligung vorläufig 88,92 Prozent im Inland und 52,69 Prozent im Ausland.

Aufgrund der erwarteten innen- und außenpolitischen Auswirkungen galt die Wahl in der Türkei als eine der wichtigsten weltweit in diesem Jahr.

In Österreich wird Erdoğan gewählt

Laut den bisherigen Auszählungsergebnissen der Wahlurnen erhielt der amtierende Präsident knapp 72 Prozent der Stimmen aus Österreich. Diese Zahlen wurden von der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu veröffentlicht, jedoch stehen offizielle Zahlen der Wahlbehörde noch aus. Der Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu erhielt nur knapp 26 Prozent der Stimmen. Damit zeigt sich, dass bei der Präsidentschaftswahl die wahlberechtigten Türkinnen und Türken in Österreich erneut klar ihre Unterstützung für Erdoğan zum Ausdruck gebracht haben. Auch in Deutschland konnte er knapp zwei Drittel der Stimmen für sich gewinnen. Demnach erhielt Erdoğan in Deutschland knapp 65 Prozent der Stimmen, während Kılıçdaroğlu nur auf knapp 33 Prozent kam. Eine Ausnahme bildet die Schweiz, wo sich Kılıçdaroğlu durchsetzen konnte. Nachdem alle Wahlurnen ausgezählt wurden, erreichte der Oppositionskandidat dort 57,60 Prozent, während Erdoğan lediglich 40,33 Prozent erhielt.

Einschätzung der Kommunistischen Partei der Türkei (TKP): Die große Illusion

Die TKP veröffentlichte just nach den Wahlen ein längeres Statement, in welchem die Wahl zwischen Erdoğan und Kılıçdaroğlu im Nachhinein kritisch hinterfragt wird. Das sogenannte Bündnis der Nation (auch bekannt unter dem Namen Millet-Bündnis), worum sich mehrere Oppositionsparteien geschart hatten, wird darin als „große Illusion und Täuschung“ bezeichnet:

„Die AKP zu besiegen, indem man wie die AKP wird, war eine große Illusion und Täuschung der Gesellschaft. Das so genannte Millet-Bündnis ist der Gegenstand dieser Illusion und des Versuchs, die Öffentlichkeit zu täuschen.

Die AKP hingegen hat das Land seit mehr als 20 Jahren getäuscht. Jetzt hat sie die Möglichkeit, dies noch eine Weile im Parlament und möglicherweise im Präsidentenamt fortzusetzen. Trotz all der Armut, der Ungerechtigkeit und der durch das Erdbeben verursachten Verwüstungen wollen große Teile der Wähler von AKP und MHP nicht über die von der Regierung geschaffene Illusion hinausgehen.

Damit sie dies tun, waren Interventionen nötig, die ihre politischen und ideologischen Präferenzen, die eigentlich ziemlich erschüttert waren, ins Wanken brachten. Das Millet-Bündnis hingegen hat seine gesamte Strategie darauf ausgerichtet, diese Eingriffe zu verhindern. Nur die Verteidigung des Laizismus, des Antiimperialismus und die Infragestellung der durch die Marktwirtschaft verursachten tiefen Ungleichheit hätten die soziale Basis der Volksallianz mobilisieren können.“

Möglicherweise hätte die Mobilisierung bei den Wahlen nicht das gewünschte Ergebnis erzielt, aber es hätte zu einer drastischen Veränderung des aktuellen Bildes in der Türkei geführt, so die TKP. Um dies zu verhindern, wurde das Bündnis der Nation ins Leben gerufen, denn die Volksallianz und das Bündnis der Nation ergänzen sich in diesem Kontext gegenseitig: „Beide Bündnisse dienten dazu, einen Zustand der Illusion zu schaffen, der einen bedeutenden Teil der Gesellschaft auf ihre Seite zieht, wobei Erdoğan derjenige war, der hier einen Schritt nach vorne gemacht hat.“

So sei auch die Partei der Grünen Linken (die Partei, unter der die HPD zu den Wahlen antrat) mit ihrer ideologischen und politischen Vielfalt und ihrem Einfluss in der kurdischen Bevölkerung „in dieses Bild eingefügt worden“. „Diese Organisation“, so die TKP „die entsprechend den Lücken und Spannungen innerhalb der bürgerlichen Politik agiert und weiter agieren wird, wird von derselben Illusion genährt und hat die Chance verloren, ein unabhängiger Akteur zu werden.“

Die Kommunistische Partei der Türkei hingegen habe sich der Illusion hingegeben, dass sie ihre Stimmen in einem Wahlkampf vermehren könne, in dem sie kompromisslos den Laizismus, die Unabhängigkeit, den Etatismus, den Republikanismus, den Sozialismus verteidigt und die fortschrittlichen menschlichen Werte betont.

„Um unsere Stimmen zu erhöhen, mussten wir mehr tun, ohne unsere Werte, Grundsätze und unsere Haltung zu kompromittieren. Das konnten wir nicht. Natürlich werden wir uns nicht an dieser großen Täuschung beteiligen, weil wir es nicht können. Am 15. Mai haben wir gesagt, dass wir unseren Kampf fortsetzen werden. Unsere Partei misst sich nicht nur, oder etwa hauptsächlich, an Stimmen. Die Kommunistische Partei der Türkei wird alles tun, damit die großen Teile der Bevölkerung, die von der AKP getäuscht wurden, nicht sich selbst überlassen werden. Die wirtschaftlichen und politischen Realitäten der Türkei werden die ‚surreale Welt‘, an die sich diejenigen klammern, die für Erdoğan gestimmt haben, weiterhin stören.“

Verzweiflung muss beiseitegeschoben werden

Die tiefe Enttäuschung über das Wahlergebnis des Bündnisses der Nation zeige indes bereits ihre Wirkung. Die größte Befürchtung der TKP war, dass ein großer Teil der Anti-AKP-Bevölkerung durch den Wahlausgang demoralisiert werden würde. Dieser Demoralisierung, so die TKP, könne die Partei nur entgegenwirken, indem sie erklärt, dass das Bündnis der Nation zur Enttäuschung verdammt sei, und indem sie den Glauben der Menschen an ihr Land stärkt. Zum gegebenen Zeitpunkt aber stehen die Stichwahlen an und die TKP positioniert sich weiterhin gegen einen Sieg Erdoğans und zählt die künftigen Bewährungsproben der Partei und der türkischen Völker auf:

„Die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen steht vor der Tür. Die Verzweiflung muss beiseite geschoben werden und es müssen Anstrengungen unternommen werden, damit Erdoğan verliert. Die TKP wird wirksame Arbeit in dieser Richtung leisten.

Die wirkliche Bewährungsprobe wird jedoch angesichts der sich verschärfenden Angriffe des Kapitals gegen die Werktätigen und die Arbeiterklasse in der Türkei stattfinden. Die wirkliche Prüfung wird darin bestehen, den Säkularismus in einem politischen Umfeld zu verteidigen, das immer reaktionärer wird. Die wirkliche Bewährungsprobe wird der Kampf gegen die NATO und die internationalen Monopole angesichts einer Regierung sein, die die Türkei mit der Demagogie des Antiimperialismus in neue Verhandlungen und Abenteuer in der Welt hineinziehen will.

Die TKP hat sich über diese Themen nie Illusionen gemacht. Im Gegenteil, wir haben eine sehr realistische Position. Wir gehen unseren Weg mit der gleichen Entschlossenheit weiter. Wenn unsere Leute uns nicht als Wahlpartei sehen, werden wir es ihnen nicht übel nehmen. Wie wir gesagt haben, sind wir am 15. Mai hier. Für den Laizismus, für die Republik, für den Sozialismus.“

Quellen: FAZ / ORF / TKP / solidnet

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